Stilberater in Deutschland:"Das sind ganz Sie!"

Wer einen hat, der hat`s geschafft: Auch in Deutschland sind Stilberater und Personal Shopper im Kommen. Aber taugen sie was - oder wollen sie einen nur bevormunden? Ein Selbstversuch.

Verena Stehle

Es ist Fashionweek in Berlin; die Zeit der Cocktailpartys und des Mode-Small Talks. Ein Tipp vorab: Mit der Aussage, dass Sie nur noch Ökomode tragen, lässt sich da ebenso wenig glänzen wie mit weißen Leggings. Aufmerksamkeit erregt man dagegen schon eher mit folgendem, beiläufig eingestreuten Satz: "Ach so, ja, den Rock hat mein Stylist besorgt." Dieser Satz sagt alles: Ich bin zu beschäftigt, um shoppen zu gehen. Ich bin außerdem sehr vermögend. Und: Ich bewege mich in gesellschaftlichen Sphären, in denen solche Berater absolut alltäglich sind.

Der Satz sagt nicht, nicht mehr: Ich hab keinen Schimmer von Mode. Die Filmindustrie ist an dieser Entwicklung nicht unbeteiligt, sie hat den Stylisten aus dem Schatten ans Scheinwerferlichts gezerrt. Seit Patricia Field Carrie in "Sex and the City" einkleidete und Rachel Zoe ihre prominenten Kundinnen und deren Millionen Bewunderinnen auf Size Zero züchtete - seither ist es ausgemachte Sache: Der Stylist ist der neue Marionettenspieler der Mode, der Chefredakteure, Designer, Stars wie Puppen tanzen lässt. Schwappt nun die Welle nach Deutschland rüber?

Nun: Einen genialen Stylisten zu finden, ist nicht leicht. Wenn man keine Nummer in Hollywood ist, kann man Rachel Zoe vergessen. Und übercoole, leicht durchgeknallte Britin Katie Grand arbeitet nur für die Top-Elite. Aber eines Tages lag, wie vom Himmel geschickt, eine Email in meinem Postfach: Eine Dame stellte sich als Sonja Grau, Personal Shopper und Fashion Style Creator vor; ihre Referenz war ein Foto ihres Stammkunden, dem Rennfahrer Alfred J. Kremer. Und am Ende schickte sie noch sonnige Grüße. Oha, Stylisten - die gibt's jetzt auch bei uns? Zweiter Gedanke: Wer ist dieser Herr Kremer? Und dritter: Vielleicht fehlt ja in meinem Kleiderschrank eine gewisse - Sonnigkeit?

Wir verabreden uns für einen Freitag. Auf der Agenda steht: Kleiderschrank-Check mit anschließender Einkaufstour. Wie wird so eine wohl sein? Ein Katalog-Muttchen? Oder ein Label-Nazi?

Vor der Türe steht dann eine Dame, die aussieht, als hätte sich Claudia Effenberg als Mary Poppins verkleidet: Schwarzes Maxi-Kleid, Strohhut mit Plastikzierrat, weinrote Pythontasche. Dazu (statt Regenschirm) ein schwarzes Rentner-Rollwägelchen. Sie selber ist ziemlich attraktiv. Und ihr Lachen sehr gewinnend (und Katie Grand trägt schließlich auch komische Stoffschleifen auf dem Kopf, Neon-Fuchsschwänze und rote Socken in Sandalen).

Es gibt tatsächlich einen Markt in Deutschland für den Beruf Personal Stylist. Die Vorzeige-Vita der erfolgreichsten liest sich so: Irgendwas mit Mode studiert, sich in den Ferien in den Kleiderkammern bei Vogue und MTV herumgedrückt, später Modestrecken und / oder Teenie-Stars vor Musikevents gestylt. Mit den brillanten Kontakten zu Agenten, Modelagenturen, PR-Volk und Modehäusern dann selbständig gemacht.

Frank Wilde und Betty Sommer sind zwei der wenigen Stylisten in Deutschland, die Promis exklusiv einkleiden. Dann gibt es noch die Berlinerin Julia Freitag, Fashion Stylist, Consultant und Herausgeberin des Internetmagazins Styleproofed. Auf dem sie ebenfalls Tipps gibt. Für Personal Styling hat sie hingegen nur selten Zeit, obwohl sie gerne mit Menschen arbeitet: "Models kann man alles anziehen, aber Nicht-Models, gerade Stars, haben eine eigene Meinung."

Ich will es meiner neuen Personal Stylistin auch nicht zu leicht machen. Sie wirft einen kurzen Blick auf meine Kleiderstange, streut ein paar Fragen ein: Welche Silhouetten bevorzugen Sie? Mögen Sie Röcke und Kleider? Arbeiten Sie mit Schmuck? Gürteln? Hüten?. Ihr Fazit: "Sie sind eher der sportlich-lässige Typ. .." - sie hat das Dutzend graue Sweatshirts entdeckt -, "aber auch bisschen - der Abenteuertyp!"

Woran macht sie das fest? An meinen Minnetonka-Indianerschläppchen? Oder den Marlboro Lights auf dem Küchentisch? "Intuition", sagt sie. Die gebürtige Ulmerin kommt aus einer schwäbischen Unternehmerfamilie und arbeitet seit sechseinhalb Jahren für Kunden in Zürich, Kopenhagen, München.

Das Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski ruft sie an, wenn ein dort logierender Geschäftsmann schnell ein Outfit für den Golfplatz braucht. Oder wenn spendable Russen ihre Dolce&Gabbana-, Cartier- oder Gucci-Einkaufslisten abarbeiten wollen. Also: Werde ich in ein paar Stunden Glitzer-Stilettos tragen wie neureiche Moskauerinnen? Oder werde ich so enden wie diese Hausfrauen in den Friseurzeitungen, die mit einem drapierten Schal und einem burgunderroten Kostüm verschandelt werden, unter der Überschrift: "Ich wusste gar nicht, dass das in mir steckt . . ." ?

Pseudowissenschaftlicher Nonsens

Tücher sind ein beliebtes, pseudowissenschaftliches Messinstrument vieler Stilberater, die ihren Kunden nach der "Farbtypenlehre" bunte Stoffbahnen anlegen und dann kategorisch urteilen: Blau ist nichts für Sie! Greifen Sie zu Orange, das schmeichelt Ihnen und unterstreicht Ihren Typ ... Die Theorie geht auf den Schweizer Künstler Johannes Itten zurück, der in den 20er Jahren erstmals Menschen warmen oder kalten Farben zuteilte.

Sonja Grau

Sonja Grau Sonja Grau; Stilberaterin; Personal Shopperin

Die Kategorisierung in Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintertypen, die seit den 80er Jahren so populär ist, wird aber oft als Nonsens an gesehen. Und von Designern oder Hochglanzmagazinen völlig ignoriert. "Der Satz ,Diese Farbe steht Dir nicht' ist fatal. Eine Farbe hat 30 bis 50 Nuancen", sagt auch Sonja Grau, die übrigens heute zwei verschiedene Turnschuhe trägt, "und falls jemand gar kein Rot mag, dann kann er es immer noch am Schuh tragen."

Von Katie Grand oder Rachel Zoe, die ihren Kundinnen durch ihre Outfits ein komplett neues Image, Designverträge oder Anzeigenjobs bei großen Modehäusern und Zehntausende von Schnappschüssen in Celebrity-Magazinen verschaffen, sind solche Strategien natürlich weit entfernt. "Professionelles Personal Styling steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen", sagt auch Julia Freitag, "gute Stylisten lassen sich an zwei Händen abzählen."

In Deutschland gäbe es dafür kein Budget, anders als in Hollywood, wo Stylistezu Manhonorare in die Produktionskosten eingeplant sind. Nichtsdestotrotz spuckt Google 475.000 Treffer aus zum Schlagwort "Stilberater" aus. Im Netz bieten Hundertschaften Typ-, Image-, Stil-, Farbberatern ihre Dienste an. Menschen mit Businesskostümen und Gel-Igelfrisuren, deren Modehorizont sich bisweilen auf Verkaufserfahrungen in der Jeans-Abteilung und einen Stylisten-Schnupperkurs beschränkt.

"Stilberater" ist genauso wenig geschützt wie "Personal Stylist", es gibt keine staatlich anerkannte Ausbildung. Meine Stylistin ist ebenfalls Autodidaktin, aber hey, Rachel Zoe hat Psychologie studiert, bevor sie 15-Jährige zu Radikaldiäten inspirierte.

Wir ziehen los, in die Münchner Innenstadt. Ich lerne viele neue Ratgeber-Aphorismen wie "Es gibt Leute, die mit der Kleidung nach sich suchen; aber erst soll man wissen, wer man ist und dann nach Kleidung suchen." "Ihr Stil", hatte Sonja Grau auch noch gesagt, "ist eher schlicht. Es wäre es mir wichtig, Akzente zu setzen."

Hinein in die Luxusläden: Ob wir die Akzente bei Theresa, Maendler, Walter Steiger, Max Dietl finden? Bussibussi, man kennt man sich, und die hochnäsigsten Verkäuferinnen schnurren plötzlich wie Babykätzchen - normalerweise hat Sonja Grau ja auch vierzehn Amex Black Cards im Schlepptau. Ich bin übrigens finanziell kein Indianertyp, eher der Cos-Topshop-und-manchmal-Acne-Typ. "Wie wäre es mit einem breiten Flechtgürtel, den Sie locker über ein Kleid tragen?"

Hab' ich schon 2004 gehasst, als Sienna Miller den Boho-Chic losgetreten hat. "Oder hier: Das nachtblaue Top mit Wasserfallausschnitt?" (War der Hit auf meinem Abiball, 1999). "Aber die goldenen Pythonpumps sind doch genial! Diese neutralen Naturtöne passen sich an jeden Typ an. Python schließt den modischen Kreislauf. . . "

"Die sind nichts für Sie."

Die einzigen Schuhe, die mich anlachen, sind klobige Ankle Boots von Acne."Also wenn Sie mich fragen - die sind nichts für Sie", sagt Sonja Grau. Ja, dann - schade.Erste große Erkenntnis: Ich fühle mich null luxuriös mit einem Personal Stylist. Sondern wie mit 12, als meine Mutter mir das lila Oilily-Kleid aufschwatzte, obwohl ich lieber meine neue Homeboy-Jacke tragen wollte.

Julia Freitag ist sich trotzdem sicher: "Natürlich steigt die Nachfrage. Die Leute nehmen sich und ihr Äußeres viel wichtiger als noch vor zehn Jahren. Das liegt an den Casting-Shows und dem Internet: Jeder sieht sich selbst als Star." Der Personal Stylist gehöre heute dazu wie früher der Personal Trainer. Jede Business-Frau, jeder ABC-Promi hat ihn. "Der Personal Stylist ist wie früher der Friseur, ein Kummerkasten." Ein wenig psychologisches Talent gehöre aber auch dazu: "Ein guter Stylist muss auf die Persönlichkeit eingehen, er muss Ängste nehmen und Vertrauen aufbauen. Man muss Menschen mögen, nicht nur Mode."

Schnell wird klar: Der Stilberater-Markt lässt sich nicht nur einteilen in Experten und Amateure, sondern auch in Mode-Verfolger und Mode-Verschmäher. Wer in Deutschland lebt und modischer werden will, sollte sich an einen Stylisten mit Hochglanzmagazin-Hintergrund wenden. Wer sich selbst finden will, ist mit einer Kollegin wie Sonja Grau wahrscheinlich genau das: gut beraten.

Mit Stylisten ist es trotzdem ein bisschen so wie mit den Terrorexperten: Dafür, dass es sie erst so kurz gibt, vertrauen sehr viele Menschen auf ihre Expertise. Als würden nur sie diese Welt verstehen. Und in uns lesen können wie in einer offenen - Vogue? Brigitte, Grazia? Ich jedenfalls muss wohl einfach nur mal wieder zum Frisör.

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