Stephanie zu Guttenberg:Gegen den gefährlichen "Porno-Chic"

In ihrem Buch über sexuellen Missbrauch tritt Stephanie zu Guttenberg Politik und Gesellschaft auf die Füße. Doch sie zeigt auch Lösungen.

Sarina Pfauth

Sie ist schön und wohlhabend, adelig und gut vernetzt. Und die Frau eines einflussreichen Politikers. Da gehört ein bisschen Charity selbstverständlich zum Pflichtprogramm.

'Die 8 Kanzler' Vernissage

Setzt sich seit vielen Jahren gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein: Stephanie zu Guttenberg.

(Foto: Getty Images)

Stephanie zu Guttenberg, Ehefrau des Verteidigungsministers und Mutter von zwei Mädchen, hat sich für ihr ehrenamtliches Engagement allerdings ein Thema ausgesucht, bei dem ihr keiner gerne zuhört.

Die 33-Jährige setzt sich seit sechs Jahren gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein - und hat jetzt ein Buch geschrieben, mit dem sie vielen auf die Füße tritt.

Sie schimpft in Schaut nicht weg! auf die Politik - einschließlich der schwarz-gelben Koalition, mit der sie familiär verbandelt ist ("Die Bundesregierung ist in ihrem Bemühen, gegen Kinderpornographie im Internet anzugehen, keinen Schritt vorangekommen. (...) Mich macht das mehr als sprachlos").

Sie mahnt die Eltern ("Was leben wir unseren Kindern heute vor? Oft leben wir ihnen vor, dass Äußerlichkeiten immens wichtig sind. Wir leben ihnen vor, dass auch wir keine gesunde Grenze zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit ziehen können. Wir leben ihnen vor, dass Beziehungen nicht tragfähig sind. Und wir leben ihnen vor, dass wir nur dann etwas wert sind, wenn wir etwas leisten. (...) Wir liefern ihnen keine tauglichen Vorbilder").

Und Guttenberg wettert gegen eine ganze Reihe von Publikumslieblingen - von Heidi Klum bis Rihanna.

Die Autorin macht unbequeme Vorwürfe. Zu großen Teilen ist Schaut nicht weg! jedoch keine Anklageschrift, sondern ein Ratgeber und eine Übersicht zum Thema sexueller Missbrauch. Dabei steht der Titel zugleich für den Inhalt: Guttenberg versucht mit ihrem Buch in erster Linie, den Leser mit dem unbequemen Thema zu konfrontieren und ihn aufmerksam zu machen auf die verschiedenen Formen von Missbrauch und die Anzeichen dafür - und zwar sehr konkret und lebensnah. Sie beschreibt zum Beispiel, dass Kinder unterschiedlich auf Grenzüberschreitungen reagieren, einige Symptome aber immer wieder auftreten: Aggression oder Lethargie, unvermittelter Rückzug oder Distanzlosigkeit, Bettnässen, mangelnde Hygiene oder Selbstverletzungen.

Angriff auf den "Porno-Chic"

Guttenberg betrachtet den sexuellen Missbrauch aber nicht losgelöst, sondern im Kontext der Gesellschaft, in der er geschieht. Dabei äußert sie auch Thesen, die umstritten sind - und den Beschuldigten kaum gefallen dürften.

So wirft die 33-Jährige den Schauspielerinnen, Sängerinnen und Moderatorinnen der Nullerjahre vor, mit ihrem "Porno-Chic" einen schlechten Einfluss auf Jugendliche zu haben. Zwar distanziert sich Stephanie zu Guttenberg ausdrücklich von der These des ehemaligen Augsburger Bischofs Walter Mixa, der die zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft für den Kindesmissbrauch an katholischen Einrichtungen mitverantwortlich machte.

Dass die öffentliche Präsenz von Sexualität nicht ohne Folgen bleibt, glaubt aber auch Guttenberg: "Meiner Meinung nach gibt es insofern einen Zusammenhang zwischen der Sexualisierung unserer Gesellschaft und sexueller Gewalt, als dass die suggestiven, stark sexuell aufgeladenen Bilder, mit denen Mädchen und Jungen heute aufwachsen, eine gesunde Beziehung zum eigenen Körper und gute Wahrnehmung der eigenen Grenzen erschweren."

Oft glaubt sexuell missbrauchten Kindern niemand

Christina Aguilera im Latex-Korsett, Heidi Klum in Overknee-Lederstiefeln, Rihanna im durchsichtigen Ganzkörper-Spitzenanzug und Britney Spears an der Striptease-Stange: "Die Mädchen und Jungen von heute wachsen auf mit Popsängern, die einerseits den Mainstream verkörpern und andererseits aussehen wie Pornostars", beklagt Guttenberg. Musik, Fernsehen und Werbung würden die Botschaft transportieren: "Sex ist heute die Währung, die zählt!" Sexclips im Internet seien für Kinder und Jugendliche leicht zu erreichen - fast 80 Prozent der 14- bis 17-Jährigen, zitiert Guttenberg eine Studie, hätten schon einmal gezielt einen Porno geguckt, meist im Netz.

Sorgen machen der Ministergattin auch die frauenverachtenden Songs von Rappern wie Bushido und Sido - und die Sänger werden für ihre provozierenden Texte aus Guttenbergs Sicht auch noch belohnt: "Bushido, Urheber des Vergewaltigungssongs Gang Bang, verkaufte in den letzten Jahren über eine Million Platten und wurde dafür sogar mit Echo-Preis und MTV Music Award ausgezeichnet. Als Mutter zweier Töchter frage ich mich immer wieder: Wie kann es sein, dass so offensichtlich frauenverachtende Männer wie Bushido mit Preisen geehrt werden?" Bushido habe zuguterletzt sogar die Ehre erhalten, in Bernd Eichingers Biopic Zeiten ändern dich sich selbst zu spielen.

Die 33-Jährige schreibt zusammenfassend: "Trägt nicht auch unsere Mediengesellschaft eine Mitschuld daran, dass heute viele Kinder und Jugendliche immer weniger in der Lage sind, ihre persönlichen Grenzen zu wahren?"

Die Frage danach, welchen Schaden medial vermittelte Bilder anrichten können, ist nicht ganz neu - und die Antwort darauf ist umstritten. Der Leipziger Sexualwissenschaftler Kurt Starke sagte kürzlich zu sueddeutsche.de, das Urteilsvermögen der Jugendlichen werde völlig unterschätzt. "Der größte Irrtum ist, dass Pornos auf hirnleere Jugendliche treffen und sie für das Leben versaut werden", sagt er. Jakob Pastötter hingegen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung, warnt eindringlich davor, Kinder und Jugendliche mit Pornographie zu konfrontieren: "Kinder haben ein Recht darauf, vor Erwachsenensexualität geschützt zu werden", sagte er zu sueddeutsche.de. Bis zum Alter von 15 Jahren könnten Jugendliche nicht zwischen medialen Bildern und Realität unterscheiden. "So wird der Sex im Porno als 'normal' aufgefasst. Das aber will doch jeder - 'normal' sein."

Stephanie zu Guttenberg kennt und zitiert die unterschiedlichen Standpunkte - doch auch, wenn zahlreiche Forschungsergebnisse der Diagnose, ein beträchtlicher Teil der Jugend sei sexuell verwahrlost, widersprechen, hält die Autorin daran fest, dass Pornographie bei Jugendlichen zu einer großen Unsicherheit darüber führt, was Sexualität ist und wo diesbezüglich die eigenen Grenzen liegen.

Nicht nur Anklage, auch Ratgeber

Die Ururenkelin des ersten deutschen Reichskanzlers, Otto von Bismarck, beklagt in ihrem 180-seitigen Buch jedoch nicht nur die veränderte Medienwelt. Sie versucht in den fünf Kapiteln des Buches, das Thema Missbrauch von allen Seiten zu beleuchten

Nicht alles davon ist unbedingt neu: Dass sexueller Missbrauch ein Gesellschaftsproblem ist, dass es eine öffentliche Beschäftigung mit dem Thema vor 15 Jahren noch nicht gegeben hätte, dass die Verjährungsvorschriften für sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zu kurz sind - das alles haben in den vergangenen Monaten schon viele vor ihr gesagt.

Doch Guttenbergs Buch hat eine große Stärke: Es gibt Eltern und anderen, die mit Kindern leben und arbeiten, viele praktische Tipps. Guttenberg erläutert ausführlich Warnzeichen und Symptome, die sexuell missbrauchte Kinder und Jugendliche zeigen. Sie beschreibt, welche typischen Strategien die Täter nutzen, um ihre Opfer zum Schweigen zu bringen. Und die Autorin nennt und bewertet Programme, Spiele und Gesprächsformen, die Erziehenden dabei helfen können, ihre Kinder vor Missbrauch zu schützen - oder zumindest davor, darüber zu schweigen.

In einem weiteren Kapitel werden therapeutische Möglichkeiten für traumatisierte Kinder beschrieben und eingeordnet. Ausführlich erklärt Guttenberg auch, welche Auswirkungen Missbrauchserfahrungen auf das Leben der Betroffenen haben können - so besitzen Missbrauchsopfer laut einer amerikanischen Studie ein bis zu 460 Prozent höheres Depressionsrisiko und eine um 1220 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs.

Die Autorin - von Beruf nicht Sozialpädagogin oder Psychologin, sondern Textilwirtin - hat sich für ihr Buch fachliche Hilfe von Experten geholt. Als Präsidentin der deutschen Sektion des Vereins "Innocence in Danger" hat Guttenberg in den vergangenen Jahren aber auch zahlreiche Gespräche und Korrespondenzen mit Betroffenen geführt - immer wieder zitiert sie deshalb aus Briefen, E-Mails und Gesprächen.

Die bitteren Wahrheiten und bedrückenden Zeugnisse machen das Buch zwar zu einer schweren Kost - sie bereichern die Missbrauchsdebatte, die vor einigen Monaten in Deutschland aufgeflammt ist, jedoch um einen wertvollen Aspekt: Schaut nicht weg! bietet praktische Hilfe.

Und die ist nötig, denn immer noch sind die Zahlen erschreckend: Laut Guttenberg muss ein sexuell missbrauchtes Kind bislang im Schnitt acht Erwachsene ansprechen, bis ihm endlich geglaubt wird. In Deutschland wird Schätzungen zufolge jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis zwölfte Junge sexuell belästigt, 80 Prozent der Fälle finden im sozialen Nahraum statt, also in Familie, Nachbarschaft, Schule oder Vereinen.

Schon die Statistiken lassen schaudern - dabei zeigen die Zahlen noch nicht einmal, welcher Schmerz und welche Folgen hinter jedem einzelnen dieser Fälle steckt.

"Schaut nicht weg! Was wir gegen sexuellen Missbrauch tun müssen." Stephanie zu Guttenberg mit Anne-Ev Ustorf. Erschienen im Kreuz Verlag. ISBN: 978-3-7831-3485-8.

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