Freizeit:Ist man je zu alt für eine neue Sportart?

Fünf Trainer berichten, wie es ist, wenn Erwachsene nochmal ganz von vorne anfangen - und Ballett, Parcours, Boxen, Schwimmen oder Surfen lernen.

Von Silke Stuck

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Nicole Merkt, Schwimmtrainerin

Nicole Merkt, Schwimmtrainerin

Quelle: Fritz Beck

"Die meisten wollen zu viel auf einmal. Wie im Job, so im Sport"

"Eine meiner Schülerinnen hat das ganze Jahr Kurse bei mir gebucht. Nicht weil sie tierisch ehrgeizig ist, sondern weil sie ein kleines Kind hat und nicht immer wieder neu mit ihrem Mann über freie Termine verhandeln möchte. Im Durchschnitt sind acht Personen in meinem Kurs, am Ende sind es oft nur noch drei, vier. Es erstaunt mich, wie schwer es für viele erwachsene Menschen ist, an etwas dranzubleiben. Die meisten, die zu mir kommen, merken, dass sie was für ihre Gesundheit tun müssen. Jetzt möchten sie die richtige Kraultechnik lernen. Gerade zu Beginn wollen viele zu viel auf einmal. Sie wollen zeigen, wer sie sind und was sie besser können. Wie im Job, so im Sport. Einige Erwachsene sind nicht ganz einfach in der Kritikfähigkeit. Ich versuche deswegen anfangs immer, die Kritik allgemein zu halten, je besser ich die Schüler kenne, desto individueller wird das Feedback. Ich empfehle allen, während des Kurses zu trainieren, und auch danach sollten sie weiter zweimal die Woche schwimmen gehen. Wer das schafft, schafft eigentlich alles."

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Lucie Catelani Mcateer, Surflehrerin

Lucie Catelani Mcateer, Surflehrerin

Quelle: Marion Blomeyer

"Erwachsene sind ja viel schlimmere Besserwisser als Kinder"

"Dass immer mehr Menschen jenseits der 30 mit dem Surfen anfangen, ist nicht ganz neu. Das ging vor etwa 15 Jahren los, als überall Surfschulen aufmachten. Surfen war davor ein Sport, den man nur durch Abgucken und Ausprobieren gelernt hat. Das macht man eben als Kind oder Teenager. Heute bieten die Schulen zum Surfen auch noch Yoga an, die Leute nehmen sich eine Auszeit vom Büro, möglichst gegensätzlich zu ihrem Alltag. Und es gibt durchaus begabte Erwachsene. Ich kenne eine Frau aus der Schweiz, also eigentlich gar keine Meerfrau, eher eine Bergfrau, die war über 50, als sie angefangen hat, und ein paar Jahre später hat sie mannshohe Wellen gesurft, bei denen die meisten Kids an den Strand geflohen sind. Älteren geht es auch nicht mehr darum, cool zu sein. Das tut gerade dieser Sportart gut. Außerdem haben Erwachsene viel mehr Respekt, vor den Wellen, den Strömungen, den Felsen - und damit auch vor mir als Lehrerin. Dadurch lernen sie nicht unbedingt schneller, aber es ist gut für mich, dann muss ich nicht alles 500-mal sagen. Nur die Männer haben manchmal zu viel Ehrgeiz und dann Frust. Die wollen gleich am ersten Tag die größten Wellen draußen erwischen, kämpfen sich dann mit letzter Kraft irgendwie viel zu weit raus, wo sie mich nicht mehr hören. Und erwischen dann natürlich keine einzige Welle, während die Kids bei mir im flachen Weißwasser schon 20-mal auf dem Brett gestanden sind. Aber das sehen die dann auch schnell, dass das nichts bringt, und die meisten schaffen es, damit umzugehen. Lustig ist es, erwachsene Paare zu unterrichten. Aus irgendeinem Grund läuft es bei Partnern nie am gleichen Tag gut, und meist erklärt der, bei dem es gut läuft, dann dem anderen, was er alles falsch macht. Erwachsene sind ja viel schlimmere Besserwisser als Kinder. Ein amüsantes Abendessenspiel unter Surflehrern ist: aus den Gesichtern der Paare die Erfolgsverteilung des Tages abzulesen. Aber irgendwann geht es bei jedem voran. Wenn Mitte-40-Jährige das erste Mal so richtig stoned aus dem Wasser steigen, weil sie ihre ersten Wellen erwischt haben, ist das großartig. Das sieht man ja nicht so oft: dass erwachsene Menschen in dicken Gummianzügen vor Glück rumschreien und völlig unkontrolliert im Wasser he- rumspringen. Das mag ich wirklich gern, diesen Anblick."

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Thomas Schuhmacher, Boxtrainer

Thomas Schuhmacher, Boxtrainer

Quelle: Fritz Beck

"Die schwachen Seiten meiner Schüler berühren mich"

"Ich habe interessante Schüler, die mitten im Leben stehen. Aber bei mir zeigen sie ihre schwachen Seiten, das berührt mich. Da gibt es Papis mit Bierbäuchen, die schaffen es kaum eine Minute, die Arme in der Luft zu halten. Erfolgreiche Typen, aber eine Vorwärtsbeuge kriegen sie kaum hin. Schwitzen wie die Tiere, pumpen nach einer Minute Seilspringen wie ein Maikäfer. Die Grundfertigkeiten bekommen die meisten ziemlich schnell drauf. Dann aber folgt die große Überraschung, wie komplex Boxen ist. Aus der Not heraus fangen sie an, sämtliche Bewegungen auseinanderzupuzzeln, wollen jeden Schritt genau verstehen. Total unnötig. Das Großartige am Boxen: Du bist voll fokussiert, in einer ganz anderen Welt. Wenn sie dahin kommen, ist es das Glück. Sich nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper voll auf eine Auseinandersetzung einzustellen. Die meisten würden gern immer nur mit mir trainieren. Das lasse ich aber nicht zu. Die müssen mit anderen in den Ring. Dabei merken sie, dass Austeilen das Eine ist, Einstecken aber das Andere."

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Esther Sebestyen, Ballettlehrerin

Esther Sebestyen, Balletlehrerin

Quelle: Fritz Beck

"Zu Beginn haben alle weite Klamotten an, aber ­irgendwann trauen sie sich, Ballettkleidung zu tragen"

"Ich habe viele Jahre an der Wiener Staatsoper unterrichtet. Als ich dann an der Ballettschule anfing, kam es mir vor wie ein neuer Beruf. Was sollte ich mit Schülern anfangen, die keinen Spagat können oder nicht bis zur Decke springen? Mittlerweile unterrichte ich fast nur Erwachsene, es wurden immer mehr in den letzten Jahren. Das Schöne am Erwachsenentraining: Alle kommen aus freien Stücken. Nicht, weil sie jedes Mal ein neues Tutu anziehen dürfen, nicht wegen der Oma, die alles so süß findet. Sie kennen ihre Beweggründe, oder sie kommen ihnen hier auf die Spur. Zu mir kommen viele erwachsene Schüler, die schon als Kind getanzt haben, manche bekamen damals von der Lehrerin gesagt, sie seien zu dick oder hätten kein Talent. Diese Damen brauchen eine zweite Chance. Es gibt auch welche, die Ballett als Work-out ansehen. An die musste ich mich erst gewöhnen. Ich unterrichte schließlich keine Fitness. Ich merke meistens schon am Telefon, was Sache ist, wenn ich gefragt werde: 'Ich bin nicht die Dünnste, geht das trotzdem? Was kann ich anziehen?' Ich weiß: Wenn ich die Damen erst mal hier habe, gehen sie nicht so schnell wieder weg. Aber Hemmungen sitzen tief. Zu Beginn haben fast alle weite Klamotten an, aber irgendwann trauen sie sich, Ballettkleidung zu tragen. Wie schön ist es, dabei zuzusehen, wie jemand Woche für Woche in seinen Körper zurückkehrt! Man könnte sagen, ich richte sie auf. Schließlich arbeiten wir viel an der Haltung, an der Muskulatur des Rückens. Neulich sagte eine Schülerin zu mir: 'Seitdem ich Ballett mache, stehe ich meinem Chef ganz anders gegenüber.' Eine andere Frau fragte mal: 'Esther, bei dir macht es so viel Spaß, aber warum lobst du eigentlich nie?' Da dachte ich: Ich selber kannte Unterricht ohne Druck überhaupt nicht. Mich hat nie jemand gelobt. Letztlich war ich für die Kritik total dankbar. Meinen Damen ist wichtig, dass ich bei ihnen die Laune hoch- halte. Ich habe etwas Zeit gebraucht, um das zu verstehen. Wenn man mit dem Ballett anfängt, ist vieles erst einmal ungewohnt: die Sprünge, die Handhaltungen. Am Anfang schaut auch alles ziemlich seltsam aus. Am Ende wird es passabel. Klar gibt es auch die, die es nie lernen. Was soll's - sie haben Spaß, tun etwas für sich und fühlen sich nachher besser. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich jemals so reden würde."

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Andreas Ruby, Parkour-Trainer

Andreas Ruby, Parcour-Trainer

Quelle: Fritz Beck

"Es geht nicht darum, besser zu sein. Es geht darum, besser zu werden"

"Vor zweieinhalb Jahren habe ich angefangen, auch Erwachsene zu trainieren. Es nervte mich, wie all die Eltern auf der Bank saßen, sich kein bisschen bewegten, den Kindern aber dauernd Ratschläge gaben. Parkour hat durch Youtube-Filmchen ein ziemlich klar definiertes Image: weite Sprünge, irre Tricks, wir erobern die Stadt und spielen Stuntman. Jeder normale Erwachsene denkt sich: Verrückt, was die Kids da machen, aber nix für mich. Und ein paar Überhebliche sagen: ,Cool, will ich auch, mach ich aus dem Stand.' Das sind dann die Typen, die mich in den ersten Stunden fragen, ob man mit 40 noch einen Rückwärtssalto lernen kann. Ja, kann man. Wie gut es funktioniert, hängt davon ab, wie beweglich man ist und wie viel man zu üben bereit ist. In den ersten Stunden merken viele erst, dass Parkour ja etwas mit Turnen zu tun hat. Manche sind dann geschockt: Das ist ja wie damals im Schulsport mit den Turnmatten. Andere genießen diese Rückkehr in die Kindheit. Ich habe zum Beispiel einen vierfachen Vater in meiner Gruppe, der unglaublich motiviert ist und einen wahnsinnigen Kampfgeist besitzt. Mittlerweile hat er auch gelernt, sich nicht zu überschätzen. Er ist nicht besonders beweglich, hat ganz viel über seine Motivation hinbekommen. Irgendwann brachte er auch seinen Arbeitskollegen zum Training mit, und dann fingen beide an, kleine Wettkämpfe zu veranstalten. Das sind diejenigen im Training, die sich in Aufgaben richtig verbeißen und fragen: ,Können wir hier noch ein bisschen weitermachen?' Dann gibt es noch die ehemalige Turnerin, Mitte 40, die zusammen mit ihren Kindern kommt. Sie hat nicht die gleiche Sprungkraft wie zu ihrer aktiven Zeit, aber ab und zu packt sie auf der Matte etwas Artistisches aus. Da kommen sofort alle Kinder aus der Nachbarhalle, und sie muss es noch mal vormachen. Für Parkour braucht man sehr viel Kraft und Koordination, aber anfangen kann man auch ohne. Ich ver­suche immer klarzumachen, dass es nicht darum geht, besser zu sein, sondern besser zu werden. Auf den Standardsatz 'Das kann ich nicht' reagiere ich allergisch. Bei Kindern gibt es für den Satz fünf Liegestütze zur Strafe. Ich sollte damit auch mal bei den Erwachsenen anfangen."

© Süddeutsche Zeitung Familie/bavo/eca/pvn
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