Süddeutsche Zeitung

Familie:Sport im Familienalltag: fit und fertig

Endlich Zeit für mich. Aber es soll auch maximal was bringen. Sport organisieren Eltern wie den Rest ihres Familienalltags, effizient und durchgetaktet. Unser Autor hat genug davon.

Von Till Raether

Hin und wieder schaue ich diese Fernsehsendungen, in denen Schrotthändler*innen Lagerräume ersteigern, ohne so richtig zu wissen, was drin ist. Es ist recht spannend, und vor ­allem amüsiert mich, dass in jeder, aber auch wirklich jeder dieser Abstellkammern die gleichen Fitnessgeräte stehen, die vor 20 Jahren modern waren: diese seltsamen Ab-Flex-Roller, in denen man sich auf dem Boden quälte, um die Bauchmuskeln zu trainieren, und diese großen Klammer­biegen, mit denen man seine Schenkel beim Fernsehen stählen konnte. Oder ein Ergometer. Ha, denke ich, wie seltsam die Leute waren! Und dann wird mir klar: ungefähr so seltsam wie ich. Denn wenn mein Keller eines Tages versteigert wird, werden die Schrotthändler*innen der Zukunft dort die Geräte finden, mit denen die Eltern der späten 2010er sich fit zu machen versuchten.

Als die Kinder noch ganz klein waren, geriet ich in eine seltsame Sportkonkurrenz zu einer Kollegin, die auch kleine Kinder hatte, und die nun anfing, dreimal pro Woche zu laufen. An unserer Wohnung vorbei. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich merkte, dass viele relativ neue Eltern nicht wie ich auf dem Sofa versanken, sondern, wie sie sagten, endlich wieder was für sich taten. Also fing ich auch an zu laufen, irgendwann schaffte ich sogar eine Stirnlampe an, weil ich dachte: Dann bist du flexibler, abends, im Herbst, wenn am Fluss das Gelände uneben ist.

Die Stirnlampe geht noch, sie liegt im Keller. Meine Kollegin erklärte mir, sie würde in kürzerer Zeit mehr erreichen, seit sie Krafttraining mache. Ich ließ mir im Sportverein den Gebrauch einer Kettlebell-Hantel erklären und bestellte dann eine im Internet. Sie ist sehr schön, Edelstahl und gelb, aber ich sehe sie selten, denn sie steht nun auch im Keller. Die Yogamatte steht noch hier oben, aber im Weg. Ich mache eigentlich jeden Morgen Intervalltraining darauf, aber bin, wie wir Sportschmetterlinge sagen, irgendwie davon abgekommen. Dafür lieben meine Frau und ich die hölzerne Rudermaschine mit dem Wassertank, die wir uns abgespart haben, nachdem ich endlich meine Fitnessstudio-Mitgliedschaft gekündigt hatte. Die Kollegin hat sie auch schon ausprobiert. Sie redet aber immer noch vom Powerplate-Training, das dann doch das effektivste sei.

Wenn schon, dann mit schicken Yogaklamotten

Ich kenne nur wenige Eltern, die das Thema Sport nicht beschäftigt. Und wenn, dann beschäftigt es sie nur deshalb nicht, weil sie entweder vor Jahren schon das Richtige für sich gefunden haben und es einfach machen (erstaunlich oft ­Tennis) oder weil sie früher Leistungssport trieben und jetzt ihre Ruhe haben wollen, und na ja, die Gelenke. Alle anderen haben eine vage elterliche Sportsucht, deren Gefühlscocktail sich wie folgt zusammensetzt: endlich Zeit für mich. Weil es nicht viel Zeit ist, mache ich es mir besonders schön. Also ­besorge ich mir die hübsche Rudermaschine, die schicken Yogaklamotten (siehe der Erfolg von Lululemon). Andererseits darf es nicht zu lang dauern, denn ich möchte ja noch anderes Schönes für mich machen, und die Familie braucht mich (siehe der Erfolg von ultrakurzen Trainingspro­grammen mit Elektroden oder in Kältekammern).

Sport muss also, wie so vieles, was wir tun, möglichst effizient sein. Wir arbeiten 100 Prozent auf der Teilzeitstelle, wir wollen ein Anderthalb-Stunden-Work-out in sieben Minuten. Das Gegenteil erlauben sich, subjektiv beobachtet, nur ein paar Männer, die sowieso schon die meiste Zeit im Büro verbringen, und denen es irgendwie gelungen ist, dass die Familie die Restzeit dann um Papas Marathon- oder Rennradtraining herumplant.

Ein Freund, der Soziologe ist, erklärt mir: Beim Sport gehe es prinzipiell nie um Gesundheit oder Fitness, sondern darum zu zeigen, dass man zu einer Gruppe gehört. Vielleicht sitzen wir deshalb in den Schaufenstern moderner Fitnessstudios oder trainieren in Rudeln im Park: So kann alle Welt sehen, dass wir dazugehören und alles richtig machen.

Ich will ihnen eigentlich was anderes vorleben. Aber wie?

Zum Richtigmachen gehört natürlich auch, die körperlichen Verschleißerscheinungen in der Mitte des Lebens aufzuhalten: nicht zunehmen, endlich abnehmen, mehr Muskelmasse, definierte Oberarme. Was mich nachdenklich stimmt, ist, dass es mir erstens nicht gelingt, und zweitens, dass die Kinder merken, wie gern ich dennoch zumindest eins dieser Ziele erreichen würde: Sie wachsen auf mit einem Vater, der möglichst effizient, aber auch mit Spaß, mit dem bestmöglichen Gerät oder Programm seinen Bauch bekämpfen möchte und ein ums andere Mal daran scheitert.

Das hat den Vorteil, dass der Bauch bleibt, den sie, wie sie glaubhaft und ungefragt versichern, als Teil des Vaters akzeptiert haben und sogar schätzen, da weich und gemütlich. Es hat aber auch den großen Nachteil, dass sie mitbekommen: Der eigene Körper ist ein Gegner, und selbst die Eltern sind irgendwie und immer mal wieder unzufrieden mit ihren Leibern. Ich will ihnen eigentlich was anderes vorleben. Aber wie?

Vielleicht so: Das Rudern auf der Rudermaschine ist unendlich langweilig, also hört meine Frau Musik über Kopfhörer und singt dabei auf unvergleichliche Art mit, in Fetzen, so dass die Kinder und ich raten, welcher Song es sein könnte. Bei ihr hat sich eingeschlichen, was ich eigentlich auch erreichen möchte mit dem ganzen verdammten Sport: Selbstvergessenheit statt Selbstoptimierung, Freude an der Sache statt warten auf Resultate. Ich werde versuchen, es so zu ­machen wie sie. Noch schlechter singen kann ich jedenfalls.

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