Spontanbesuche:Moment, gleich freu ich mich!

Spontanbesuche: Ooooh, es klingelt - und schon bricht Panik aus.

Ooooh, es klingelt - und schon bricht Panik aus.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Sonntagnachmittag, faules Gammeln auf der Couch. Plötzlich klingelt es, Freunde stehen vor der Tür. Ein Albtraum? Iwo, traumhaft! Ein Lob des Spontanbesuchs.

Von Carolin Gasteiger

Das Grauen kommt unangemeldet: Es ist Sonntagnachmittag, man fläzt im Gammellook auf der Couch. Die Weinflaschen vom Vorabend stehen noch in der Küche herum, die auf dem Boden verstreuten Klamotten können auch später noch in die Wäsche. Gerade als es gemütlich wird, unmittelbar vor dem Einnicken, klingelt es an der Wohnungstür.

Oh Gott! Ein Spontanbesuch.

Vielen wird allein beim Gedanken schlecht, dass jemand unangemeldet vorbeischaut. Dass jemand in unsere Privatsphäre eindringen und uns stören, überraschen, irgendwo hineinplatzen könnte. Uns in einem Zustand antrifft, in dem wir uns lieber nicht zeigen: gänzlich unvorbereitet, womöglich ungeduscht. Dabei sind Spontanbesuche die ehrlichsten Auszeiten. Sie sind kleine, feine Momente im ansonsten perfekt durchgetakteten Alltag - und völlig zu Unrecht total unterschätzt.

Kindheit auf dem Land: Meist klingelte es dann an der Haustür, wenn Muttern gerade, in Decken gehüllt, auf dem Sofa eingeschlafen war. Im besten Fall stand nur die Oma vor der Tür, im schlimmsten Fall Onkel, Cousine und Cousin. Auf dem Rückweg vom Skiurlaub. Also schnell Kuchen auftauen, Kaffee aufsetzen, Wolldecke ordentlich aufs Sofa falten und Kaffeetisch decken. Ach, und natürlich die Haare ordentlich wegkämmen.

In der Stadt bleibt einem die Aufregung erspart - leider. Kaum jemand klingelt heute noch spontan an der Wohnungstür. Weil ein Treffen lange vorher und über diverse Messenger-Kanäle vereinbart wird. Weil unsere lückenlose Freizeitgestaltung selten Spontanität zulässt. Weil wir oft schon vier Wochen im Voraus jedes Wochenende verplant haben, erst recht wenn Kinder da sind.

Vor allem aber weil in einer Großstadt der Freundeskreis so gut wie nie im selben Viertel wohnt. Und man nicht mal eben zur besten Freundin hinüberlaufen kann. Jeder Besuch, zu dem man länger als eine U-Bahn-Station fahren muss, bedarf einer Ankündigung. Nicht zuletzt deshalb, weil Spontanbesuche das Kostbarste angreifen und für sich einnehmen, was wir haben: Zeit. Und über die wären wir gern selbst Herr.

Spontanbesuche sind gerade deshalb authentisch, weil eben nicht alles penibel vorbereitet und man selbst wie aus dem Ei gepellt ist. Wenn jemand spontan vorbeikommt, sagt er damit: "Hey, ich habe gerade an dich gedacht und wollte dich gern sehen." Und zwar jetzt, ohne sich zuvor wie in einem mittelständischen Unternehmen gegenseitig Termin-Slots zuzuwerfen. Solche Formalitäten sind etwas für Leute, die sich verpflichtet fühlen, den anderen - "endlich mal wieder!" - zu treffen.

Klar, im ersten Moment herrscht Panik: wohin mit der Wäsche, den Weinflaschen? Sollte man in Sekundenschnelle notdürftig die Bude aufräumen - oder nicht doch lieber erst mal eine Hose anziehen? Oh Gott, kein Kaffee im Haus - und Kuchen sowieso nicht!

Doch sollte die Freude über das Wiedersehen nicht alle Panik überstrahlen? Und wozu der Perfektionismus? Immerhin stehen ja nicht der Vorgesetzte, der Steuerberater oder der künftige Vermieter vor der Tür. Sondern gute Freunde - Menschen, die nicht erwarten, dass ihnen ein Buffet aufgetischt wird oder man eine ordentliche Hose mit Bügelfalte trägt. Menschen, die einem nachsehen, wenn man im Schlabberlook und mit verwuscheltem Haar auf dem Sofa sitzt. Und die einem im besten Fall noch helfen, das Geschirr vom Vorabend wegzuspülen - vorausgesetzt, man macht jetzt endlich den Prosecco auf.

Die Tugend, im Hier und Jetzt zu leben, wird in der japanischen Gedichtform Haiku perfektioniert. Ein Spontanbesuch würde in so einem Elfsilber folgendermaßen lauten:

Es klingelt an der Wohnungstür / Ich hab nichts an. / Macht nichts. Große Freude!

Mist! Gerade hat es geläutet.

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