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Sparen:Endlich genug Geld für alles - dank "Kakebo"?

Lesezeit: 5 min

Es klingt beinahe zu schön um wahr zu sein: Unsere Autorin hat das japanische Haushaltsbuch Kakebo ausprobiert. Über eine ganz besondere Beziehung.

Von Violetta Simon

Das neue Jahr beginnt, ich bin voller Zuversicht, dass alles besser wird. Mehr Sport, mehr Vitamine, mehr Geld - das vor allem.

Um es gleich vorweg zu sagen: Mein Geld und ich, wir haben ein angespanntes Verhältnis. Wir versuchen es jeden Monat aufs Neue miteinander, doch meist komme ich nicht länger als dreieinhalb Wochen mit ihm aus. An mir allein kann es nicht liegen, zu einer Beziehung gehören immer zwei, heißt es. In dem Fall ist aber eindeutig das Geld schuld - weil es nie da ist, wenn ich es am nötigsten brauche.

In so einem kritischen Beziehungsstatus ist man ziemlich anfällig für Neues. Und was soll ich sagen: Im Oktober hatte ich eine Begegnung. Mit einem Haushaltsbuch. Sein Name ist Kakebo, es kommt aus Japan. Ich hatte schon von ihm gehört - angeblich halten mit seiner Hilfe bereits Millionen Menschen weltweit ihre Haushaltskasse in Schach. Sein Aussehen ist gewöhnungsbedürftig oder, sagen wir: Geschmackssache. Es schmückt sich mit Cartoons, und in seinem Inneren tummeln sich rosa Schweinchen und der böse Wolf. Auch sein Benehmen lässt zu wünschen übrig - es duzt einen ungefragt. Aber wenn man anlehnungsbedürftig ist, sieht man über so was hinweg.

Zumal das japanische Haushaltsbuch mich mit den abenteuerlichsten Versprechungen verführt hat: "Endlich genug Geld für alles!" lautet die Botschaft auf dem Cover. Ganz schön dreist. Nun gut - immerhin kennt es meine Bedürfnisse.

Auch sonst scheint es sich seiner Sache sicher zu sein - liegt womöglich an dem einleuchtenden Konzept: Erkenne 1. überflüssige Ausgaben und gewöhne sie dir 2. ab. Dann (3.) MUSS das Geld ja reichen. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Ich werde angeblich lernen, bewusster zu konsumieren und Ausgaben zu hinterfragen.

Klare Struktur, klare Ansage

Die Aufteilung ist klar strukturiert: Für jeden der zwölf Monate stehen fünf Doppelseiten mit Wochen-Tabellen zur Verfügung, die in sieben Tage unterteilt sind. Davor jeweils Tabellen für Einkünfte und Fixkosten, aus denen hervorgeht, welche Summe monatlich zur Verfügung steht. Und die ist ein nicht zu unterschätzendes Detail. Auch wenn es die wenigsten zugeben: Vielen von uns ist nicht wirklich klar, wie viel sie ausgeben dürfen.

In die Tageslisten werden - nach Kategorien getrennt - die Ausgaben eingetragen: Lebensgrundlage, Freizeit und Vergnügen, Kultur, Extras. Am Ende jeden Tages wird die Summe der Auslagen zusammengezählt, am Ende der Woche die Tagessummen und am Ende des Monats wiederum die Wochenausgaben, so dass schließlich zusammengerechnet werden kann, was im Laufe des Monats ausgegeben wurde.

Erste Erkenntnis: Kakebo ist kein Typ für unverbindliche Begegnungen. Und noch bevor ich mit der Buchführung beginne, verlangt es, dass ich ein konkretes Ziel formuliere und ein Versprechen ablege. Ich schreibe also nieder, was ich mir für den kommenden Monat vornehme. Um uns gleich zu Anfang eine Enttäuschung zu ersparen, wähle ich ein erfüllbares Ziel - die Ausgaben täglich in dieses Buch einzutragen. (Sehr wichtig für die Motivation: Nicht zu viel wollen!) Außerdem gelobe ich, keine Anschaffung zu verheimlichen, und sei sie noch so klein.

Zunächst ist es ungewohnt, alle Ausgaben zu dokumentieren, zumal ich mir nicht jede Kleinigkeit merken kann. Also gehe ich dazu über, mir für alles einen Beleg ausstellen zu lassen, sei es beim Bäcker, beim Metzger oder im Blumenladen. Schon bald gehört das Buch zu meinem Alltag - ich gewöhne mir an, die gesammelten Belege zu sichten und abends meine Ausgaben einzutragen. Bin ich übers Wochenende unterwegs, kommt Kakebo mit.

Karten auf den Tisch

Über eines muss man sich im Klaren sein: Führt man eine Beziehung mit einem Haushaltsbuch, sollte man absolut ehrlich zueinander sein, sonst kann man es gleich vergessen. Natürlich lässt sich so ein Buch leicht hinters Licht führen. Doch der Einzige, der am Ende darunter leidet, ist man selbst.

Zweite Erkenntnis: Die Buchführung hat von Anfang an einen bemerkenswerten Einfluss auf mein Konsumverhalten. Einige Einkäufe lasse ich lieber gleich weg, überlege: Muss das wirklich sein, geht es nicht auch ohne? Als moralische Instanz ist mein Haushaltsbuch schon bald omnipräsent - und zwar nicht nur in meinem Kopf, sondern in der ganzen Familie. Bald muss ich mich beim Shoppen fragen lassen: "Was wird dein Kakebo dazu sagen?"

Nach drei Wochen überfliege ich die Eintragungen in den Tabellen und stelle fest: Alltgägliches wie Lebensmitteleinkauf und das Mittagessen in der Kantine kosten mehr als vermutet. Dafür sind Restaurantbesuche eher die Ausnahme. Ansonsten verhalte ich mich vorbildlich: Schuhe gab es nur für den Sohn. Das Einzige, was meinen Schnitt gefährdet, ist die monatliche Rechnung vom Kieferorthopäden - ich trage gerade eine Zahnspange. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ende Oktober ist es so weit: Ich sehe Schwarz auf Weiß, wie viel ich ausgegeben habe - und dass ich immerhin nicht über meine Verhältnisse gelebt habe, auch wenn nicht so viel übrig ist wie erhofft. Das Versprechen "Endlich genug Geld für alles!" ergibt plötzlich einen ganz anderen Sinn. "Was willst du", raschelt es mir aus den Seiten entgegen. "Das Geld hat doch gereicht, also war es genug!" Ja, das schon. Aber ist es auch genug für alles?

Das Ziel für November ist schon konkreter: "Weniger für Kantine und Cafeteria sowie Extras ausgeben", nehme ich mir vor. Ein Versprechen formulieren möchte ich diesmal lieber nicht, die entsprechende Spalte bleibt leer.

Mein Geldbeutel und mein Konto sind der Inbegriff des Jojoeffekts. Einerseits ist es erfreulich zu sehen, dass ich an manchen Tagen gar nichts ausgebe. Dann wieder brechen unvorhergesehene Ausgaben für Reparaturen, Sammelgeschenke und Schulausflüge über meinen Kontostand herein wie ein Schwarm hungriger Wanderheuschrecken. Sie zu bezahlen, ist schon schlimm genug - sie detailliert aufgelistet zu sehen, tut dann richtig weh. Dennoch, es muss sein, Wegschauen macht es auch nicht besser.

Das Fazit am 30. November lautet dann auch: 147 Euro mehr ausgegeben als vorhanden - ein unangenehmes Gefühl, schon beinahe existenzbedrohend. Von wegen, "endlich genug Geld für alles"! Das Kakebo schweigt betreten. Dabei steht die größte Herausforderung noch bevor: Dezember - Zeit der Tannenbäume, Weihnachtsgeschenke, Fressgelage. Und der Kieferorthopäde macht seinen Job vermutlich auch nicht ehrenamtlich, nur weil das Christkind vor der Tür steht. Mit anderen Worten: keine Chance.

Augen zu und durch

Ich ignoriere diese Einsicht und plane für meine Ziele im kommenden Monat, "ungeachtet der Mehrbelastung nicht ins Minus zu rutschen". Gleich darunter notiere ich: "Keine Ahnung, woran ich in diesem Monat sparen könnte." Wäre schön, wenn ich diese Aufgabe jetzt delegieren könnte - an mein Haushaltsbuch.

Dass allein die pflichtbewusste Dokumentation meiner Ausgaben mich reicher machen würde, hatte ich natürlich nicht angenommen. Höchstens gehofft vielleicht. Doch ein Kakebo ist nun mal kein Buchhalter. Es kann durchaus dabei helfen, Geld zu sparen. Allerdings muss man auch Schlüsse aus seinen Notizen ziehen und diese Erkenntnisse konsequent verwerten. Dazu braucht es kein Kakebo, ein Ringbuch tut es auch. Andererseits macht es mehr Spaß, in ein vorgestaltetes Buch zu schreiben, zumindest macht es weniger Arbeit. Doch was letzten Endes zählt, ist Selbstdisziplin.

Um diese auf die Probe zu stellen, ist Weihnachten eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt. Das wäre wohl eher eine längerfristige Aufgabe - womöglich sollte ich dazu erst noch eine Selbsthilfegruppe aufsuchen. Wie der Dezember in finanzieller Hinsicht ausfiel, kann ich Ihnen daher leider nicht genau sagen. Kakebo und ich, wir hielten es für das Beste, während der Weihnachtszeit eine Beziehungspause einzulegen. Es gab da etwas ... ich wusste einfach nicht, wie ich es ihm sagen soll. Nur ein Paar Stiefel, nichts von Bedeutung. Oder doch: für meinen Kontostand.

Ich weiß ja, Ehrlichkeit ist die Basis einer Beziehung. Andererseits sagt man auch: Was der andere nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Ha, schöne Ausrede. In Wirklichkeit bin es natürlich ich, die den Tatsachen nicht ins Auge sehen wollte.

Ich weiß, Weihnachten ist längst vorbei, das neue Jahr hat begonnen. Aber aus irgendwelchen Gründen haben wir noch immer Funkstille. Ob wir uns auseinandergelebt haben? Aber nein, ich bin mir sicher, wir werden schon bald wieder zusammenfinden. Wer weiß, vielleicht gehen wir demnächst sogar eine Vernunftehe ein!

Liebes Kakebo, eines sollst Du wissen: Ich habe nie aufgehört, die Kassenbelege für Dich zu sammeln!

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