Späte Schwangerschaft:Die Last-Minute-Mütter

Vor allem gebildete Frauen verlegen den Kinderwunsch immer weiter nach hinten - Ärzte sehen das mit Skepsis.

Ann-Kathrin Eckardt

Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig. Angelika Hensel hatte gerade ein lukratives Jobangebot erhalten. Nur ein paar letzte Details waren zu klären, der Umzug von Hamburg nach Stuttgart war beschlossen. Da stellt Hensel fest, dass ihr "Projekt" nach fünf Jahren doch noch geglückt war: Sie war schwanger - mit 46.

Späte Schwangerschaft: "Ich weiß nicht, ob ich das alles noch ein zweites Mal durchstehen würde": Christina Cebullas Tochter kam mit Hilfe eines Reproduktionsmediziners auf die Welt

"Ich weiß nicht, ob ich das alles noch ein zweites Mal durchstehen würde": Christina Cebullas Tochter kam mit Hilfe eines Reproduktionsmediziners auf die Welt

(Foto: Foto: oh)

Kinder? Die attraktive Wirtschaftsinformatikerin hatte bei dieser Frage immer den Kopf geschüttelt. Sie war glücklicher Single und Managerin bei einem großen Softwarekonzern. Kinder brauche sie für ihr Glück nicht unbedingt, davon war sie überzeugt. Auch ihrem Mann hat sie das erzählt, als sie ihn mit 35 kennen gelernt hat. Doch der ließ nicht locker - bis sie eines Tages beim Abendessen sagte: "Okay, lass es uns versuchen." Damals war sie 41.

Gleich in der Woche darauf sind sie zum Arzt gegangen. Wer so spät anfängt, hat keine Zeit zu verlieren. "Wir haben das Ganze wie ein großes Projekt gesehen", erzählt Hensel, die ihren richtigen Namen wegen ihres Jobs lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.

Die Ruhestandsfamilie

Nichts konnte sie jetzt mehr davon abbringen. Nicht diese Sätze von Freunden und Verwandten "In deinem Alter noch ein Kind? Überleg dir das gut!" Oder: "Das arme Kind!" Nicht die vielen Arztbesuche, nicht die zwei Fehlgeburten. Sechs Jahre und zehn künstliche Befruchtungen später war sie endlich am Ziel. Heute ist Lena zwei Jahre alt und ihre Mutter gibt ihre Erfahrungen mit der Reproduktionsmedizin im Bekanntenkreis weiter. "Durch Lena habe ich erst gemerkt, wie vielen Frauen es in meinem Umfeld genauso geht wie mir."

Hatten Anfang der neunziger Jahre nur 0,8 Prozent der Erstgeborenen in Deutschland eine Mutter von 40 Jahren und älter, waren es 2003 bereits knapp vier Prozent. Auch das Alter der übrigen Schwangeren steigt: Innerhalb eines guten Jahrzehnts ist die Zahl der werdenden Mütter, die älter als 35 Jahre sind, um zwölf Prozent gestiegen.

Heute ist eine von vier Schwangeren älter als 35. Das Durchschnittsalter werdender Mütter liegt in Deutschland derzeit bei 31,1 Jahren und ist damit eines der höchsten weltweit. Vor allem gut gebildete Frauen verschieben die Familienplanung immer weiter nach hinten. "Eine Umkehr dieses Trends ist erst mal nicht in Sicht", sagt Michaela Kreyenfeld, Soziologin am Rostocker Max-Planck-Institut.

Gründe dafür gibt es viele: Vor allem gut gebildete Frauen finden häufig keinen Partner. Auch die Unsicherheit am Arbeitsmarkt, Probleme mit der Fruchtbarkeit oder immer kürzere Beziehungsdauern spielen eine Rolle - und natürlich das veränderte Rollenbild der Frau. Die Zahl der berufstätigen Akademikerinnen ist seit 1991 um mehr als 70 Prozent gestiegen.

Lautete früher die Frage "Kind oder Karriere?", so machen Frauen wie Angelika Hensel heute einfach beides: Erst Karriere, dann Kinder. Während ihr Mann, ein selbständiger IT-Berater, erst mal zu Hause blieb, trat Hensel schon acht Wochen nach der Geburt ihren neuen Manager-Job in Stuttgart an.

Bedenken, dass sie zu alt sein könnte für ein Baby, hatte die heute 48-Jährige nie: "Ein Kind hält uns doch jung. Und wenn wir Glück haben, leben mein Mann und ich noch 30, 35 Jahre."

Ähnlich sieht das der amerikanische Zukunftsforscher Alvin Toffler: Er schrieb zum Thema Kinder und Karriere schon Ende der sechziger Jahre: "Zukünftig wird man dieses Problem umgehen, indem man die gesamte Aufgabe des Kinderaufziehens in die Zeit nach der Pensionierung verlegt." Auch einen Namen hat die Soziologie dem Phänomen bereits gegeben: die Ruhestandsfamilie.

Ein unrealistisches Zukunftsszenario oder bald Wirklichkeit? Fest steht: Nicht nur die gesellschaftliche Vorstellung vom Älterwerden und der Umgang damit haben sich zu Gunsten der reiferen Jahre verschoben, auch der weiblichen Fruchtbarkeit wird heute eine wesentlich längere Zeitspanne eingeräumt.

Mit Hilfe der hierzulande verbotenen Eizellspende ist inzwischen selbst eine schwangere Frau weit jenseits der Wechseljahre kein Ausweis medizinischer Kunst mehr. In Spanien etwa setzen Ärzte über 55-Jährigen noch Eizellen ein. So viel zur Theorie. Die Praxis sieht anders aus - ernüchternder.

Christina Cebulla steht ihn ihrer Küche in Rosenheim und schlägt Sahne. Kinder? "Früher wollte ich immer so viele, wie einmal in mein Haus passen würden", sagt die zierliche Frau. Am Boden krabbelt Tochter Carolina, 15 Monate alt, um ihre Beine.

Sie ist Cebullas erstes Kind - und vermutlich ihr letztes. An der Größe des Hauses liegt das nicht, Platz wäre genug. Es ist ihr Alter, das der Chef-Stewardess und ihrem Mann die Großfamilie verwehrt. 43 Jahre ist Christina Cebulla jetzt alt, ihr Mann ist drei Jahre älter.

Schon seit elf Jahren sind sie ein Paar, aber zuerst wollten sie einfach die neue Zweisamkeit genießen, reisen und gemeinsamen Hobbys nachgehen. So folgte bei Cebulla ein Monatsdienstplan auf den nächsten. Es war ein wenig wie auf einer guten Party - irgendwann stellt man erschrocken fest, dass es draußen schon hell wird.

50.000 Euro für ein Wunschkind

Dienstplan streng nach Zyklus

Bei Cebulla kam das Erwachen mit 37. "Ich habe angefangen, meine Dienstpläne nach meinem Zyklus auszurichten", erinnert sie sich, während sie ihre Tochter im Arm wiegt. "Davor habe ich mir die Flüge immer genau andersrum gewünscht."

Doch zum Kinderwunsch kam die bittere Erkenntnis, dass es leichter sein kann, eine Schwangerschaft zu vermeiden, als sie herbeizuführen. Drei lange Jahre haben sie es versucht. "Man hechelt von Monat zu Monat und die Enttäuschung ist jedes Mal riesig. Die Chancen werden ja nicht besser." Ab 35 nimmt die Fruchtbarkeit deutlich ab. Ebenso die Qualität der Eizellen. Die Wahrscheinlichkeit mit 35 ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen ist viermal höher als mit 20.

Immer häufiger sind deshalb Menschen wie Ulrich Noss gefragt. Als der 60-jährige Reproduktionsmediziner vor 25 Jahren zusammen mit zwei Kollegen seine Praxis in München eröffnete, war er einer der ersten in Deutschland. Inzwischen verteilen sich mehr als 110 spezialisierte Kinderwunschpraxen über das Bundesgebiet. Im Schnitt 150 Frauen kommen am Tag in Noss' Praxis, direkt neben dem Marienplatz - die Kinderlosen am Morgen, die Schwangeren am Nachmittag.

Auch Christina Cebulla hat im Liegeraum im fünften Stock schon mehrmals an die Decke mit dem Wolkenbild gestarrt und sich dabei vorgestellt, wie sie endlich diesen pochenden schwarzen Punkt auf dem Ultraschallbild sieht. Am dritten Hochzeitstag saß sie - inzwischen 40 und, wie sie selbst sagt, oft "sehr schwermütig" - mit ihrem Mann zum ersten Mal bei Noss, entschlossen, dem Kinderwunsch mit einer In-vitro-Fertilisation (IVF), einer Befruchtung im Glas, nachzuhelfen.

Zwei Wochen lang musste sie sich Hormone in die Bauchdecke spritzen, um die Eizellproduktion anzuregen. Am Tag des Eisprungs wurden ihr unter Vollnarkose zehn Eizellen entnommen. Im Reagenzglas hat man sie mit dem Samen ihres Mannes befruchtet und fünf Tage später zwei davon wieder in die Gebärmutter eingesetzt. Drei weitere hat man eingefroren.

50.000 Euro für ein Wunschkind

Doch obwohl diese Methode auf viele so erfolgversprechend wirkt, liegen die Chancen in Noss' Praxis nach einer einzigen Behandlung bei einer 35-Jährigen nur zwischen 30 und 40 Prozent, bei einer 43-Jährigen sogar nur noch zwischen zehn und 15 Prozent. "Die körperliche aber vor allem die psychische Anstrengung, die so eine Behandlung mit sich bringt, wird häufig unterschätzt", sagt Noss. Immer wieder muss er in seiner Sprechstunde Frauen trösten, die plötzlich in Tränen ausbrechen und die Behandlung schon nach wenigen Versuchen abbrechen.

"Die Angst, dass es nie klappt, ist für viele Frauen erdrückend", sagt Christine Büchl. Die 48-jährige Sozialpädagogin berät Frauen, die an ihrem Kinderwunsch zu zerbrechen drohen. "Too late"-Gespräche nennt Büchl das. Oft kann sie den Frauen nur noch helfen, sich an den Gedanken, kinderlos zu bleiben, zu gewöhnen.

Eine Mitverantwortung an der "hochriskanten Fortpflanzungsstrategie" gibt Büchl prominenten Last-Minute-Müttern. Sandra Maischberger wurde mit 40 zum ersten Mal Mutter, Halle Berry mit 41, Birgit Schrowange mit 42, Geena Davis mit 46, Holly Hunter mit 47. "Diese Frauen suggerieren, dass es einfach ist, mit 42 oder 45 noch ein Kind zu bekommen."

Um diesem "fatalen Irrglauben" entgegenzuwirken, hat Büchl mit Ulrich Noss und dessen Kollegen Klaus Fiedler die Stiftung "Kinderwunsch" in Leben gerufen. Sie setzt sich bereits bei Jugendlichen dafür ein, dass sich Paare rechtzeitig mit der Familienplanung befassen und nicht erst nach mehreren Jahren des unerfüllten Kinderwunsches zum Arzt gehen.

Nicht zuletzt sind Midlife-Babys auch eine Frage des Geldes. Erst im März hat das Bundessozialgericht bestätigt: Gesetzliche Krankenkassen dürfen Frauen über 40 keine Zuschüsse für eine künstliche Befruchtung zahlen. Und auch bei jüngeren Frauen übernehmen die Kassen seit 2004 nur noch bis zu 50 Prozent der Kosten bei den ersten drei Versuchen. Insgesamt 50.000 Euro haben Angelika Hensel und ihr Mann für ihr Wunschkind-Projekt gezahlt - auch für eine Managerin ist das viel Geld. "Dafür gab es eben kein zweites Auto und keine Reisen", erzählt Hensel. Ob sie trotzdem noch mehr Kinder will? Sie lacht. "Am liebsten noch drei!"

Doch Christina Cebulla hat den Traum von der Großfamilie inzwischen begraben. "Ich weiß nicht, ob ich das alles noch ein zweites Mal durchstehen würde", sagt sie, obwohl sie das Glück hatte, schon nach dem zweiten IVF-Versuch einen pochenden schwarzen Punkt auf dem Ultraschallbild zu erkennen. Aus einer der eingefrorenen Eizellen aus dem ersten Versuch wurde Carolina, ihr "kleiner Eisbär". Irgendwann wird sie ihrer Tochter erklären, woher der Kosename kommt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: