Space-Design im Raumflugzeitalter:Das Moonboot ist voll

Es ist eine der auffälligsten Design-Ideen der vergangenen Jahrzehnte: der Moonboot. Wie aus dem Klotz am Bein einer der meistkopierten It-Shoes wurde.

Holger Liebs

Vielleicht waren es einfach dieser erste Schritt, das Aufstampfen auf der staubigen Mondoberfläche, die legendären lapidaren Worte - und, Minuten später, das fast schwerelose Hüpfen.

Moonboot, Getty Images

Entwickelte sich seit 1970 zum It-Shoe: der Moonboot.

(Foto: Foto: Getty Images)

Aus der Sehnsucht, es Armstrong gleichzutun, erwuchs jedenfalls eine der auffälligsten und erfolgreichsten, aber auch absurdesten Design-Ideen der vergangenen Jahrzehnte: der Moonboot. So viel Stampfen und Stapfen musste der Alltag schon hergeben - auch und gerade im Sommer. 1970 brachte die italienische Firma mit dem schönen Namen Technica den Plastiktreter auf den Markt, und der Klotz am Bein wurde zu einem der meistkopierten It-Shoes - allein im Herbst 2004, als der Teeniefilm "Napoleon Dynamite" die Polyurethan-Hufe wieder mal zum großen Ding erklärte, verkauften sich Moonboots der Marke Ugg in den USA 14 Millionen Mal.

So wurde der Moonboot Anfang des 21. Jahrhunderts zu einem späten Beispiel für retroaktives Design, welches gefühlsselig die Fortschrittsgläubigkeit des Mondraketenzeitalters wiederholen wollte - indem man diese Rückbesinnung auf eine Zukunftseuphorie der Vergangenheit in kleine, kugelförmige Kunststoffformen goss, welche nicht nur Armstrongs Berufskleidung, sondern ganzen Raumschiffkapseln ähnelte.

Architektenteams wie "Future Systems" und Designer wie Hani Rashid kultivierten denn um die Jahrtausendwende noch einmal jene Weltraumästhetik, die schon im Mondlandungsjahr eine bessere Zukunft verhieß: schwellende, Blasen werfende Formen, grottige Wohnraumhöhlen und plastikbunte Oberflächen.

Zukunftseuphorie dank Sputnik

Tatsächlich setzte ja diese Zukunftseuphorie weit vor 1969 ein; spätestens, als die Sowjets zwölf Jahre zuvor Sputnik 1 ins All geschossen hatten, war sie voll ausgeprägt und wuchs sich zur regelrechten Obsession aus - die auch und gerade die Imagination der industrial designer beflügelte. Jede Cadillac-Heckflosse der Fünfziger verwandelte das eigentlich träge Schiff zumindest optisch in einen Boliden. Schon in den Stromliniendesigns von Raymond Loewy, der 1939 die raketengleiche S1-Dampflokomotive und 1954 den technoiden Greyhound-Bus entworfen hatte, war die Sehnsucht nach dem Orbit spürbar.

Doch erst der Siegeszug des Kunststoffes, "weniger eine Substanz als vielmehr die Idee ihrer endlosen Umwandlung", wie Roland Barthes im Sputnik-Jahr 1957 schrieb, garantierte, dass die Heilserwartung einer sauberen Zukunft aus Atomstrom und Weltraumkolonien auch den gestalterischen Mainstream erreichen konnte. Aus dem Produkt mit "seinen griechischen Schäfernamen (Polystyren, Phenoplast, Polyvinyl, Polyethylen)" (Barthes) konnte, ausgehend von der käsigen Grundmasse, einfach alles werden; alles war imitierbar, wenn man es nur in Form brachte: von den Nylons am Bein über das Kunststoffhaus "Futuro" von Matti Suuronen (1968), das nicht umsonst wie ein Ufo auf Stelzen aussah.

Uterusartige Möbelstücke, helmförmige Fernseher

Pillen, Helme und jede Menge Amöbenformen - das biomorphe Design der Mondfahrt erlebte in den sechziger Jahren einen ungeheuren Aufschwung: Cesare Casatis "Pillola"-Lampe (1971), Vico Magistrettis Leuchte "Eclisse" (1966), Ingo Maurers Riesenglühbirne (1966). Auch in den uterusartigen Möbelentwürfen von Verner Panton ist es spürbar - sowie im helmförmigen Fernseher "3240 GM" aus Japan (1970). Und die Models sahen, mit ihren Pailletten-Stretchhosen und weißen Plastikstiefeletten in den Kreationen von Courrèges oder Paco Rabanne, plötzlich wie Astro-Azubis aus. Die Formensprache des Weltall-Alltags war eigentlich schon vollständig entwickelt, die gestaltete Umwelt wartete sozusagen reisefertig auf den Countdown.

Im Juli 1969 trat also nur der Vollzug älterer Design-Visionen ein - zumal bereits ein Jahr zuvor Stanley Kubrick es schaffte, mit seiner "Odyssee im Weltraum" auch in Sachen Ästhetik noch viel weiter in die Zukunft zu blicken - die bei ihm irgendwie cooler aussah als bei den Astronauten auf dem Mond. Allerdings ist denen zumindest eines nicht zu nehmen: die ersten Schritte auf den Mond gesetzt zu haben. Da können noch so viele Moonboots kommen.

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