Süddeutsche Zeitung

Soziales:"Auch Worte tun weh"

Blöder Spruch, fiese Blicke und immer wieder Geläster: Klingt harmlos, fühlt sich aber fies an. Vier Kinder erzählen.

Von Kathrin Schwarze-Reiter und Nina Himmer

Mia, 16 Jahre

"An meiner Schule sind fast alle geimpft - und lassen mich spüren wie doof sie finden, dass ich es nicht bin. Das fällt auf, weil ich mich viel häufiger testen muss als die anderen. Es kommen blöde Sprüche: Mia, wann hast du endlich deinen Impftermin? Mia, warum bist du so unsolidarisch? Mia, du steckst uns noch alle an! Sogar meine Freunde sagen solche Dinge. Ich finde das sehr verletzend. Besonders, weil ich ihnen die Situation erklärt habe<CF301>: Ich kann mich nicht impfen lassen, weil ich eine angeborene Schilddrüsen-Krankheit habe. Meine Ärzte raten mit deshalb von der Impfung ab. Ich habe extra mehrere gefragt.

Auch mit einer Lehrerin gab es schon Schwierigkeiten. Sie hat in ihrer Stunde die ganze Zeit die Fenster offen gelassen, obwohl es saukalt war. Eigentlich haben wir extra einen Gong, der uns ans Lüften erinnert, aber sie war richtig wütend und hat gesagt: Bis hier alle geimpft sind, bleibt das so! An dem Tag war ich so fertig, dass ich mich von der Schule habe abholen lassen. Was mir geholfen hat: Mit Menschen zu sprechen, die mich verstehen: Meine Mama, mein Freund, Freundinnen. Ein paar besonders fiese Jungs habe ich außerdem angerufen und klare Grenzen gesetzt. Mittlerweile ist es besser geworden. Und falls der Totimpfstoff kommt, kann ich mich auch impfen lassen - ist ja nicht so, dass ich das nicht möchte."

Carlos, 12 Jahre

"So mit sechs Jahren habe ich immer mehr zugenommen. Mit zehn war ich dann übergewichtig, mein Kinderarzt hat sich Sorgen gemacht. Auch ich selbst habe mich nicht mehr wohlgefühlt: Beim Fußballtraining habe ich schlecht Luft bekommen, die Knie taten mir weh. Einmal habe ich abends, nachdem ich in den Spiegel angeschaut habe, zu meiner Mama gesagt, dass ich mich so nicht mehr mag. Auch die Kinder in meiner Schule sagten fiese Dinge zu mir. Dass ich zu dick sei und eh nicht hinterherkommen würde beim Sport. Klar versuchte ich dagegen zu halten, sagte sowas wie: Ich kann abnehmen, aber ihr könnt nicht schlauer werden! Aber ihre Worte haben mich trotzdem traurig gemacht und zuhause habe ich oft geweint. Meine Mama ist dann manchmal zu den Eltern der Kinder nach Hause gefahren und hat sie zur Rede gestellt. Manche wissen ja gar nicht, was ihre Kinder da in der Schule so sagen. Es wurde dann tatsächlich besser, aber ich wollte trotzdem etwas ändern - für mich, nicht für meine Mitschüler. Ich finde es voll okay, so wie jeder ist - dick oder dünn. Man muss sich nur wohlfühlen. Aber das habe ich irgendwann nicht mehr. Deshalb habe ich mich bei einem Abnehmkurs von der Krankenkasse angemeldet. Meine Mama hat gesagt, dass ich das nicht tun muss,weil sie mich so liebt, wie ich bin. Aber ich wollte es unbedingt, um endlich wieder Fußball spielen zu können. Der Kurs ging drei Jahre lang. Heute wiege ich das Gleiche wie vorher, bin aber viel größer. Ich kann wieder Fußball spielen, fahre jeden Tag mit dem Rad zur Schule und gehe viel mit unserem Hund raus. Nur mein Bruder nennt mich manchmal noch Dickerchen - aber das ist liebevoll gemeint."

Frida, 8 Jahre

"Ich hatte früher eine wirklich schöne gelbe Jacke. Meine Mama hat mir so tolle Aufnäher drauf gemacht - einen Kaktus und eine Blume. Eines Tages sagte ein Mädchen aus meiner Klasse, dass sie gelb richtig hässlich findet. Kein Mädchen würde diese Farbe tragen, das wäre ja voll peinlich. Dabei hat sie mich so richtig gemein angesehen. Ich habe ihr gesagt, dass ich die Jacke aber mag. Doch am nächsten Morgen wollte ich sie nicht mehr anziehen. Plötzlich fand ich sie nicht mehr so schön und habe mich für sie geschämt. Damit war aber nicht Ruhe, das Mädchen hat so was danach noch öfter gemacht, Quatsch erzählt, Freundinnen aufgehetzt, Dinge schlechtgemacht, solche Sachen. Irgendwann hat mich das alles so geärgert, dass ich meinen ganzen Mut zusammengenommen habe und ihr gesagt habe, wie gemein sie ist und dass sie damit aufhören soll. Seitdem lässt sie mich in Frieden. Und meine gelbe Jacke mochte ich danach plötzlich wieder richtig gern."

Susan, 12 Jahre

"An meiner Schule, einer Mittelschule in München, geht es ziemlich krass zu. Die Jungs, aber auch die Mädels machen ständig Sprüche. Sie sind nicht immer doof gemeint, aber manchmal verletzen sie schon. Als ich neu in die Klasse kam, gab es zum Beispiel einige Kommentare über meine schwarze Hautfarbe und über meine langen Rastazöpfe. Zwei Jungs haben immer wieder gesagt, dass sie mich hässlich finden. Das hat mich schon verletzt. Worte können ziemlich weh tun. Es gab auch blöde Kommentare, weil mein Papa nicht bei uns wohnt. Zuhause habe ich dann mit meiner Mutter darüber gesprochen. Sie hat mir versichert, dass ich schön bin: 'Manche Kinder machen Sprüche, um sich selbst besser zu fühlen', meinte sie. 'Das sagt mehr über sie aus als über dich.' Dass sie so zu mir gehalten hat, hat gut getan. Genauso wie zu wissen, dass ich mit ihr über alles reden kann. Das ist schon immer so, auf meine Mutter ist Verlass. Sie hat mich auch schon in meiner Kindheit abgehärtet - oder irgendwie habe ich mich selbst hart gemacht, würde ich sagen. Heute lasse ich einfach nicht mehr so viel an mich heran. Das ist manchmal auch nicht gut, klar, weil man dann schnell dicht macht. Trotzdem geht es mir deshalb jetzt ganz gut in meiner Klasse. Ich habe einige Freunde gefunden, mit denen ich viel draußen abhänge und reden kann. Und inzwischen sagt auch niemand mehr, dass ich hässlich bin."

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Quelle:
SZ vom 15.01.2022
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