Kolumne „Schon schön“:Raus mit euch!

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Auch die Veranstaltung „Klassik am Odeonsplatz“ fiel 2024 ins Wasser – aber der nächste schöne Abend kommt bestimmt. (Foto: Robert Haas)

Weil regenfreie Abende im Sommer 2024 selten erscheinen, gewinnt ein Spruch wieder an Strahlkraft, den man nie mehr hören wollte: Carpe diem.

Glosse von Julia Rothhaas

In diesem Sommer muss man schnell sein. Zum Beispiel am vergangenen Montag in München. Welch seltener Anblick: Keine Regenwolke weit und breit, auf dem Heimweg aus dem Büro hätte man beliebig Passanten küssen können, so selig war man mit einem Mal gestimmt ob des herrlichen Abends! Man sah sich schon im Biergarten, am See, auf irgendeiner Terrasse, Hauptsache draußen. Wer also kommt mit, so die Frage in die Runde, ganz auf die Schnelle? Das nächste Gewitter steht schließlich schon kurz vor Stuttgart.

Niemand. Ist doch Montag – heute bleib ich mal daheim – das ist mir jetzt zu spontan, so der Kanon der vielen Absagen. Das rare Glück eines Sommerabends vor der eigenen Haustür? Muss warten. Aber Achtung: Den Luxus des „Ich bleibe auf dem Sofa“ kann man sich in diesem Jahr wirklich nicht erlauben. So schnell kann man gar nicht „Sofa“ sagen, bis die nächste dunkle Wolke ins Blickfeld zieht. Und so taucht inmitten der Verzweiflung, dass der Sommer eh gleich wieder vorbei ist, ein Sinnspruch aus der Verbannung auf, den man nie wieder hören wollte, geschweige denn sagen: Carpe diem.

„Nutze den Tag“, das stand lange nur noch in Schnörkelschrift auf Emailleschildchen im Pflanzenmarkt oder als Tattoo auf Fußballeroberkörpern – selbst wenn sich natürlich nicht bestreiten lässt, wie wichtig das Es-sich-selbst-an-jedem-einzelnen-Scheißtag-gutgehen-lassen ist. Doch in den kurzen Trockenperioden 2024 entwickelt Horaz’ Sentenz neue Strahlkraft, obwohl sie viel zu euphemistisch klingt. Eher müsste es wohl heißen: Nutze die Stunden, in denen es gerade nicht schüttet!

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Weitere Sinnsprüche von Horaz, dem römischen Dichter, der 8 v. Chr. starb und als Experte galt für Liebe, Freundschaft, Alltäglichkeiten, kann man für diesen Sommer jedoch nicht ohne Weiteres übernehmen. Die funktionieren nur in abgewandelter Form, etwa: Kurz sei dein Bad, wenn immer du ein solches nimmst. Gut gelebt hat, wer von Anfang bis Ende im Biergarten geblieben. Weißt du das Leben draußen nicht recht zu genießen, so weiche Erfahrenen. Sei du der Sommer Herr, nicht Knecht.

Und was machen wir jetzt mit dem nächsten warmen Abend, der sich nicht planen lassen will? „Sapere aude“, ruft da H., unser neuer Kumpel (nein, Kant hat das Zitat nur zitiert), also: Immer schön vernünftig bleiben. Scheint morgens die Sonne, legen wir die Mittagspause bis Ende September eben auf den Abend. Die Gartenparty holen wir jetzt jeden Montag nach. Und statt sich „nur“ mit der besten Freundin im Gartenlokal zu verabreden, setzt man den Kollegen, die Schwester und die neuen Nachbarn für die trockene Stunde des Tages dazu. So schön wie heute wird es sicher nicht mehr.

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