Skandal um Brustimplantate weitet sich aus:250 Britinnen wollen Kliniken verklagen

Welche Risiken das minderwertige Silikon in den Brustimplantaten eines französischen Herstellers wirklich birgt, ist umstritten. Doch die Sorge unter den 200.000 Frauen weltweit wächst - in Großbritannien steht nun eine Sammelklage an.

Lena Jakat

Weltweit tragen Hunderttausende Frauen minderwertige Brustimplantate des französischen Herstellers PIP (Poly Implants Prothèses). Zehntausende fürchten nun gesundheitliche Probleme - wie entzündete Nieren, Herzrasen, geschwollene Lymphknoten und chronische Müdigkeit. Die Silikonkissen stehen außerdem in Verdacht, das Krebsrisiko zu erhöhen. In Großbritannien wollen 250 Betroffene nun juristische Maßnahmen ergreifen.

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Hunderttausende Frauen weltweit tragen Implantate in ihrer Brust, die unter Verdacht stehen, gesundheitsgefährdend zu sein.

(Foto: dpa)

Wie der französische Sender TF1 berichtet, produzierte das umstrittene Unternehmen bis zu seiner Abwicklung im März 2010 etwa 100.000 Brustimplantate jährlich, wovon 84 Prozent ins Ausland verkauft wurden - der Großteil nach Südamerika. Um Kosten zu sparen, hatte der Hersteller nicht das vorgesehene Silikon-Gel, sondern ein billiges Industriesilikon verwendet.

Nach der ersten Warnung durch die französische Behörde für die Sicherheit von Medizinprodukten AFSSAPS (Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé) im Frühjahr 2010 verbannten Argentinien, Kolumbien, Venezuela und Brasilien die Silikonkissen von ihren Märkten. Doch auch in Europa waren Zehntausende der fraglichen Prothesen implantiert worden. Auch dort nahmen die Händler sie nach den Warnungen vom Markt, PIP musste Insolvenz anmelden.

Welche Gefahr tatsächlich von dem Billig-Material ausgeht, ist umstritten: Während Frankreich noch vor Weihnachten einen Aktionsplan vorlegen will, bemühten sich die britischen Behörden am Mittwochabend um Schadensbegrenzung: Man habe sich mit Organisationen aus ganz Europa ausgetauscht, hieß es aus dem Gesundheitsministerium in London. "Sie alle waren sich einig, dass es keinen Beleg für ein erhöhtes Krebsrisiko in Zusammenhang mit den PIP-Implantaten gibt und die Kissen nicht nachweisbar öfter reißen als andere", zitiert der Guardian aus einer Mitteilung des Ministeriums. Auch die brasilianischen Behörden konstatieren, es gebe in Brasilien "keinen einzigen Fall von Krebs" in Zusammenhang mit den PIP-Implantaten.

Betroffene lassen sich nicht beschwichtigen

Anders sehen das die Betroffenen und ihre Vertreter. "Bei mehr als der Hälfte unserer Klientinnen sind die Implantate gerissen, außerdem vertreten wir Frauen, die durch die aktuellen Informationen sehr besorgt sind", sagte Esyllt Hughes laut TF1. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Hugh James vertritt die walisische Anwältin mehr als 165 Frauen mit PIP-Implantaten, die über Beschwerden klagen. In Großbritannien tragen schätzungsweise 40.000 Frauen die umstrittenen Silikonkissen in der Brust.

Insgesamt wollen 250 Britinnen gegen vorerst sechs Kliniken klagen - der insolvente Hersteller steht für einen Rechtsstreit nicht mehr zur Verfügung. Die Kliniken hätten ihren Patientinnen versprochen, dass die Implantate ein Leben lang hielten, begründete James den Schritt. Ein Versprechen, dass sie offensichtlich nicht halten konnten.

Der mögliche Schaden - gesundheitlicher Art für die betroffenen Frauen und finanzieller Art für Kliniken und Versicherungen, die teilweise über kostenfreie Entfernungen der Implantate nachdenken - ist enorm. Der Hersteller sparte sich durch die Verwendung von Billig-Silikon zwar 90 Prozent der üblichen Produktionskosten, die Summe ist jedoch vergleichweise gering: Sie wird auf eine Million Euro jährlich geschätzt.

Bei den Gesamtausgaben einer Brustvergrößerung machen die Materialkosten allerdings nur einen geringen Anteil aus: Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) ist eine Brustvergrößerung hierzulande für einen Preis ab 5500 Euro zu haben - die Preise für Brustimplantate liegen demnach zwischen 400 und 600 Euro und variieren je nach Form und verwendetem Material. Die umstrittenen PIP-Implantate hätten jedoch in einem normalen, mittleren Preisbereich gelegen, betont Sven von Saldern, Präsident der DGÄPC. Der Hersteller gab seine Kostenersparnis also nicht an die Kunden weiter.

Dem Gründer von PIP, Jean-Claude Mas, wird zudem unzureichende Kompetenz vorgeworfen: Der französische Radiosender Europe1 berichtete, dass dieser als Metzger gearbeitet hätte, bevor er mit der Herstellung von Silikonprothesen begonnen habe. Der Pariser Chirurg Patrick Baraf habe Mas deswegen wiederholt angegriffen. "Man könnte sich schon fragen, inwieweit er die Kompetenzen und Voraussetzungen besaß, um sich in die Produktion medizinischen Materials zu stürzen", zitiert der Sender den Mediziner.

In Großbritannien versucht ein Implantathersteller mittlerweile, von dem Skandal zu profitieren: Der dortige Marktführer hat bereits 20 Frauen mit einem kostenlosen Ersatz für ihre PIP-Implantate versorgt. In Deutschland spielt der Skandal bislang eine sehr untergeordnete Rolle, da der Marktanteil des Produkts hierzulande sehr, sehr gering ist.

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