Sinn und Unsinn:Oh my God!

Sinn und Unsinn: Ein Tentakel-Ungeheuer als Gott? Wieso nicht, wenn es nach der "Kirche der fliegenden Spaghetti-Monster" geht.

Ein Tentakel-Ungeheuer als Gott? Wieso nicht, wenn es nach der "Kirche der fliegenden Spaghetti-Monster" geht.

(Foto: Niklas Jansson/androidarts.com )

Spaghetti-Monster, Scientology, Swingerclub: In den USA kann jeder einfach eine Religion gründen - und damit Gesetze umgehen. Die üblichen Regeln gelten für Kirchen oft nicht.

Von Michaela Haas

Wie die meisten Eltern wollten Juan Cardenas und Maricela Serna nur das Beste für ihr Kind. Die beiden Amerikaner suchten eine Kindertagesstätte für ihren ein Jahr alten Sohn Carlos, und Freunde empfahlen eine katholische Einrichtung in Indianapolis. Als Katholik fand Cardenas es besonders beruhigend, dass sich Glaubensgenossen um sein Kind kümmern würden. "Ich dachte, sie würden ihren Job besonders gut machen, weil sie Gott verpflichtet sind", erzählte er dem amerikanischen Zentrum für Investigativen Journalismus.

Aber schon in der ersten Woche bekam er einen alarmierenden Anruf von der Tagesstätte: Sein Sohn werde vermisst. Wie kann das sein?, fragte er sich. Er machte sich sofort auf den Weg. Vor der Tagesstätte begegnete ihm ein Notarztwagen mit Blaulicht, aber Cardenas wusste nicht, dass ihm darin sein toter Sohn entgegenfuhr. Als er bei der Tagesstätte ankam, erfuhr er die Wahrheit: Er kam zu spät. Sein Sohn war im 60 Zentimeter tiefen Taufbecken der Kirche ertrunken.

Die Tagesstätte hatte nicht genügend Betreuer eingestellt, die sich um mehr als 50 Kinder kümmern sollten, und die Betreuer hatten Carlos aus den Augen verloren. In den meisten amerikanischen Kindertagesstätten ist genau geregelt, wie viele Betreuer sich um wie viele Kinder kümmern müssen. Aber für Praise Fellowship galt dies nicht: Weil sie einer Kirche gehört, ist die Tagesstätte von den gesetzlichen Regelungen ausgenommen.

Die amerikanische Verfassung garantiert, dass der Staat sich nicht in die Religion einmischt

Religionsfreiheit wird in Amerika groß geschrieben. Der erste Zusatzartikel der Verfassung garantiert, dass der Staat sich in ihre Ausübung nicht einmischen darf. Die wenigsten wissen, dass deshalb in vielen Bundesstaaten religiöse Einrichtungen von gesetzlichen Standards befreit sind. Carlos Cardenas' Tod ist kein Einzelfall. Es sind viele Fälle dokumentiert, in denen Babys und Kleinkinder deshalb starben. In manchen Einrichtungen werden die Kinder geschlagen oder mit Medikamenten ruhiggestellt. Die Justiz ist machtlos oder zieht es vor, nicht einzugreifen. Auch für den Tod von Carlos Cardenas wurde niemand bestraft: Seine Eltern reichten zwar Klage ein, aber sie verloren vor Gericht. Wo gesetzliche Vorschriften nicht gelten, kann auch nicht gegen sie verstoßen werden.

Nun braucht es nicht viel, um in Amerika eine Glaubensgemeinschaft zu gründen. Auch zweifelhafte Götzen segnen ihre Gläubigen mit Steuerbefreiung und zahllosen Rechtsvorteilen. Die Religionsfreiheit ist ein Freibrief, mit dem sich trefflich Gesetze unterlaufen lassen, und sei es nur, um Kosten zu sparen. Vor allem in Staaten wie Alabama, Missouri, Indiana, Florida, Virginia und North Carolina beharren Glaubensgemeinschaften darauf, der Staat dürfe nicht in ihre Geschäfte eingreifen. Gottes Wille geschehe.

Gott ist in Amerika überall. Derzeit endet kaum eine Wahlkampfveranstaltung ohne die Formel: "God Bless America!" Theoretisch schreibt die Verfassung seit 1789 vor, dass der Staat keine Religionsgemeinschaft benachteiligen oder bevorzugen darf. Aber obwohl Religion und Staat getrennt sein müssen, wird Religionsfreiheit sehr weit ausgelegt, vor allem, wenn es um die konservativen Evangelikalen geht.

Allein in der letzten Legislaturperiode wurden 200 Anträge für "Gesetze zur religiösen Freiheit" in amerikanischen Parlamenten eingebracht. Hinter dem schönen Namen verbirgt sich die Freiheit zu diskriminieren. Im Namen der Religionsfreiheit dürfen Vermieter, Arbeitgeber und Geschäftsleute Homosexuelle ausschließen. Konkret heißt das: Ein Arbeitgeber kann entscheiden, dass er keinen Schwulen einstellen will, eine Bäckerin, dass sie für eine Lesben-Hochzeit keine Torte backt, und ein Hotelbesitzer, dass er seine Zimmer keinem gleichgeschlechtlichen Paar vermietet. Als Kündigungsgrund reicht Schwulsein ohnehin in vielen Staaten aus.

In Wahrheit ist Religion eben nicht gleich Religion. Circa 350 000 Glaubensgemeinschaften gibt es in den USA, dazu zählen nicht nur die traditionsreichen Konfessionen, die zum christlichen Gott, zu Allah oder Buddha beten, sondern unzählige Splittergruppen, die in Deutschland niemals offiziell als Kirchen anerkannt würden. Scientology etwa, die Sekte, die wegen umstrittener Methoden in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird, ist in Amerika als Kirche anerkannt - mit allen Vorteilen der Steuerbefreiung.

Pastor Creflor Dollar fliegt mit einem Privatjet, den er sich gekauft hat, steuerfrei natürlich

Oder die "Kirche des fliegenden Spaghetti-Monsters", die von dem amerikanische Physiker Bobby Henderson als Protest gegen die Kreationisten gegründet wurde. Zwar blieb der Gaga-Gemeinde die vollständige Anerkennung als Kirche versagt, weil die Veralberung allzu offensichtlich war, aber immerhin erreichte ihr Gründer, dass er zumindest gültige Ehen schließen darf. Sein unschlagbares Argument: Der Staat könne nicht eindeutig beweisen, dass Spaghetti-Monster nicht existierten und dürfe deshalb nicht diskriminieren. Für 25 Dollar kann man nun auf der Webseite der "Kirche" eine Ordinierung als "Pastafarian Minister" erwerben.

Nun mal ernsthaft: Welcher Richter kann mit Sicherheit entscheiden, dass Gott existiert, aber das Spaghetti-Monster nicht? Dass die religiösen Erweckungserlebnisse von Schwulenhassern real, aber die Begegnungen mit dem Spaghetti-Monster, die auf der Website der Kirche sogar mit Fotos dokumentiert sind, imaginäre Hirngespinste sind? Wo also zieht der Staat die Trennlinie zwischen Ulk und Glaube? Zwischen gottloser Geschäftemacherei und genialer Missionierung?

Als Al Woods die Genehmigung für einen neuen Sexclub direkt neben einer christlichen Privatschule im konservativen Madison, Tennessee, verweigert wurde, änderte er kurzerhand den Status: aus dem Swinger-Club wurde das "United Fellowship Center". "Wir haben die gleichen Pläne eingerichtet, nur die Räume umbenannt", prahlte der Kirchengründer. "Aus dem Kerker wurde der Chorraum, und die Tanzfläche wurde in 'Altarraum' umbenannt." Zwei Tage später bekam er die Genehmigung. Können sexuelle Praktiken nicht Teil religiöser Rituale sein? Manch einer mag einen Orgasmus ja schon als göttlich empfunden haben, und es kann keiner beweisen, dass Gott womöglich unter dem Paradies etwas ganz anderes verstand.

Erst Monate später schwoll der Protest in Madison so massiv an, dass die Stadt sich unter einem Vorwand querstellte: Der Feuerschutz reiche nicht aus, um Veranstaltungen in den Räumen zu erlauben. Daher vermietet Al Woods seine Kirche nun stattdessen an eine richtige Glaubensgemeinschaft, die betet und Halleluja singt.

Der Status als Kirche ist so verlockend, weil er einer Lizenz zum Gelddrucken gleicht. Zahllose Kirchen predigen den "Wohlstands-Gospel", der da lautet: Reichtum ist ein Zeichen der Gunst Gottes. Deshalb rufen die Prediger zum Spenden von "Saat-Geld" auf, mit dem man dann Gottes Liebe ernten wird. Erfolgreiche Fernseh-Prediger wie Mike Murdock versprechen ihren Spendern gar, wenn sie großzügig spendeten, werde Gott "ihre Kreditkarten-Schulden begleichen".

Wer das bloß für gottlosen Blödsinn hält, unterschätzt die Dimension: Unzählige Prediger sind damit schon sehr reich geworden, prahlen mit ihren Privatjets und Mega-Mansions, denn die steuerfreien Spenden dürfen auch für nicht-religiöse Zwecke verwendet werden.

So hat etwa der Pastor mit dem schönen Namen Creflor Dollar zu Spenden aufgerufen, um sich ein 65 Millionen Dollar teures Flugzeug zu kaufen. Sein Kollege Kenneth Copeland leistete sich einen vergleichsweise bescheidenen Privatjet für 20 Millionen Dollar und versprach, ihn nur für Kirchenzwecke zu nutzen, wurde dann aber dabei ertappt, wie er damit zur Jagd nach Texas und zum Skifahren nach Colorado flog. Strafbar ist das trotzdem nicht. Das Flugzeug sei, sagt Copeland, seine "Gebetsmaschine". Auf Linienflügen käme man Gott eben nicht so nahe, da flögen "zu viele Dämonen" mit.

Inspiriert von der Sechs-Millionen-Dollar-Villa, die sich Copeland aus Kirchenspenden gönnte, hat der Comedian John Oliver im letzten Jahr erfolgreich vorgemacht, wie einfach es ist, eine Kirche zu gründen und den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen: Er reichte dazu einen Antrag in Texas ein (einem Staat, in dem er nie gewohnt hat, wo es aber besonders einfach ist, Kirchen zu gründen), deklarierte sein Fernsehstudio als Kirche, das Publikum seiner sonntäglichen Sendung als Gemeinde und die wöchentliche Aufzeichnung als religiöse Praxis. Und schon war "Unsere Liebe Frau der dauerhaften (Steuer-)Befreiung" gegründet. "Schickt mir Saat! Dann werden gute Dinge geschehen!" rief er salbungsvoll in die Kameras. Obwohl seinen Zuschauern natürlich klar war, dass ihr Prediger in Wahrheit ein Blasphemiker ist, erhielt er binnen Wochen Tausende Dollars und Geschenke. "Alles ganz legal!" jubelte er freudig, "Amen!"

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