Süddeutsche Zeitung

Sinn und Unsinn:Feuer statt Asche

Einen Bischof wie Stefan Oster hatte die katholische Kirche lange nicht: beliebt, locker und charismatisch. Ein Reformer ist er nicht.

Von Susanne Schneider

Im Grunde hat man schon an diesem 24. Mai vor einem Jahr, einem strahlend schönen Samstag, gesehen, was Stefan Oster von seinen Bischofskollegen unterscheidet und was ihn zum Liebling der Menschen und Medien macht: Ausstrahlung, Empathie, Zuneigung zu den Gläubigen und Nicht-so-Gläubigen. Fast alle der 23 anderen Bischöfe, die mit ihm an diesem Tag in den Passauer Stephansdom einzogen, um bei seiner Bischofsweihe dabei zu sein, entsprachen rein äußerlich den Erwartungen, die man an Kirchenmänner hat. Sie schauten ernst, entrückt und streng. An diesem Tag aber gab es eine kleine Sensation, etwas, was Passau, ja vielleicht ganz Deutschland lange nicht erlebt hatte, wenn es um so etwas Ernstes wie eine Bischofsweihe ging: 2000 verzückte Menschen im Dom und fast noch einmal so viele davor, jubelten Stefan Oster zu, spendeten im Stehen Ovationen. Er war 48 und nunmehr der jüngste Bischof Deutschlands. Die Normalität, die er ausstrahlte, die Direktheit, mit der er sogar bei seiner Bischofsweihe sprach, berührte viele und erschütterte einige. Er bat um Verzeihung für seinen "schlechten Gesang" und dafür, Predigten "in die Länge zu ziehen". Dann zog er durchs Kirchenschiff, lachend, winkend, und erkannte er einen Freund oder Verwandten, zeigte er schon mal ein Victory-Zeichen. Die Erwartungen an ihn waren: riesig.

Was nicht alle wussten, aber vielleicht gespürt haben: Oster hat ein pralles, sehr weltliches Leben gelebt, bevor er beschloss, sich für immer Jesus Christus zuzuwenden. Sieben Jahre lang hatte er eine Freundin, Manuela*, seine "große Liebe". So einen traut man sich auch Monate nach der Weihe in seinem riesigen und ehrwürdigen Konferenzzimmer am Passauer Domplatz zu fragen, ob ein Bischof im Urlaub eigentlich Badehose tragen darf: "Sicher, nur täte er gut daran, sich nicht in Badehose fotografieren zu lassen"; eine Frage, die man dem früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst auch nach drei Wochen im selben Raum nicht stellen würde. Da in etwa liegt der Unterschied zwischen einem modernen und einem althergebrachten Bischofstyp.

Nun, nach einem Jahr im Amt, sagt Stefan Oster im selben Konferenzzimmer, an einem mit Leder bezogenen Tisch sitzend, er habe sich an die Anrede Exzellenz oder Herr Bischof gewöhnt, "und immer öfter stellt sich das Gefühl ein: Ich bin angekommen". Oft hat sein auf die Minute getakteter Tagesablauf wenig mit Jesus zu tun, mehr mit Steher- und Topmanagerqualitäten. Dazu ist er Chef von 10 000 Mitarbeitern im Bistum, davon 300 im Ordinariat, fast alle wollen mit ihm reden. Und manchmal muss er einen kündigen. Trotz des Amtes und seiner Popularität versucht er, "so normal wie möglich zu leben". Aber kann er überhaupt noch im Supermarkt einkaufen? Selbst beim Shampoo-Kauf, glaubt Oster, würden sich die Leute an der Kasse Gedanken machen: Ach, der Bischof braucht was gegen Schuppen?

Ein paar Wochen nach seiner Weihe firmt Stefan Oster in der Kirche Mariä Himmelfahrt von Rotthalmünster 36 Jugendliche. Er kommt auch, um seinen Antrittsbesuch bei der Pfarrgemeinde zu machen, eine von 300 seines Bistums. Der Bischof selbst nennt es: "Raus ins Gelände und die Menschen treffen." Eineinhalb Jahre war das Bistum ohne Bischof, und "jeden Sonntag" haben fromme Menschen wie Anita Garz "in der Messe gebetet, dass wir einen guten Bischof bekommen". Zu seiner Ernennung im Mai 2014 habe er waschkörbeweise Briefe bekommen, erzählt Oster.

Der 85. Bischof von Passau hört zu, er redet als geborener Oberpfälzer mit bayerischer Färbung, er scherzt, er hat sich umgezogen; das rote Messgewand und die goldene Mitra, die Bischofsmütze, hat er getauscht gegen die schwarze Soutane und das violette Käppchen, den Pileolus. Mit jenen Firmlingen, die nach der Messe seine Nähe suchen, redet er ganz unpastoral, als wäre er einer von ihnen. Und das stimmt ja fast. Als Salesianerpater kümmerte er sich früher auch um schwierige Jugendliche. "Ich glaube, das ist mein Charisma, dass ich mit jungen Menschen ganz gut kann."

Wann, fragen sich viele, haben sie zuletzt mit einem Mann gescherzt, der sein Leben der Verkündigung des Evangeliums gewidmet hat? Der Bischof sieht gut aus und wirkt auch mit 49 Jahren noch jungenhaft. Er sammelt "Likes" auf Facebook und lebt am Domplatz in einer Vierer-WG.

In seinem alten Leben gab es eine Frau. Seine große Liebe. Er verlässt sie für die Kirche

Ein anderer Tag im Amt. Es ist Sommer, der Bischof ist zu Gast in Pocking, einem Städtchen, das auch zu seinem "Gelände" gehört. Besuch im Behindertenzentrum für Kinder und Jugendliche der Caritas. Jede Gruppe hat etwas vorbereitet, Oster bleiben jeweils nur ein paar Minuten, schon schleusen ihn Direktor, Schülersprecherin und Pressereferentin weiter. In der Turnhalle führen ihm Jugendliche vor, wie sie mit Bällen Pyramiden aus Blechdosen umwerfen. Da schnappt sich der Bischof drei Tennisbälle und jongliert. Später erzählt er, dass er sich das Jonglieren nach dem Abitur beigebracht hat, um sich seine "Reisen durch halb Europa" zu finanzieren.

Eine rasante Kirchenkarriere hat dieser Mann hingelegt, bedenkt man, dass er erst mit 30 Jahren beschlossen hat, Pfarrer zu werden. Als Oster erstmals das Gerücht hörte, er solle Bischof werden, dachte er, "wenn die ein bisschen in meinem Lebenslauf stöbern, komme ich nicht mehr infrage". Der Lebenslauf: 1984, nach dem Abitur, wird er Journalist beim Straubinger Tagblatt, später Moderator bei Radio Charivari in Regensburg, wie Manuela, seine "große Liebe". Jeden Morgen moderiert Oster von fünf bis neun, "und wenn mein Kumpel Wolfi, mit dem ich in einer WG gewohnt habe, gerade anfing, sein Leben interessant zu gestalten, musste ich ins Bett".

Mit 22 Jahren überfällt ihn eine Lebenskrise. Ihm wird klar, dass 80 Prozent seiner Motivation, Radiomoderator zu sein, Eitelkeit ist. Er schreibt sich an der Uni Regensburg für Philosophie und Geschichte ein, "ich war auf der Suche nach dem Sinn des Lebens". Irgendwann aber langweilen ihn die Philosophen, die "einfach nur dieses Leben betrachten". Interessant werden dafür jene, "die die Gottesfrage gestellt haben". Am Ende des Studiums ist er 28, Manuela 32, und ein Gedanke wird immer stärker: "Du musst mit deinem Leben das machen, wofür du brennst. Und Manuela war immer schon ein wenig bange, wie das enden würde. Dabei war sie wirklich die Frau, mit der ich eigentlich leben wollte."

Eines Tages, er soll sich bei einem Buchverlag vorstellen, wird ihm auf der Fahrt klar: "Du musst dich Gott zur Verfügung stellen." Oster ruft seine Freundin an und erzählt ihr unter Tränen, was passiert ist: "Ich glaube, das hat auch was mit uns zu tun, das wird so nicht mehr weitergehen." Er kann diese Geschichte nicht erzählen, ohne feuchte Augen zu kriegen. Natürlich hat er Manuela 19 Jahre später zu seiner Bischofsweihe eingeladen. Sie kam.

1995 geht er ins Kloster, wird Salesianer, gelobt keusch, arm und gehorsam zu leben. Er studiert Theologie, wird 2001 zum Priester geweiht, 2009 Professor für Dogmatik an der Theologischen Hochschule Benediktbeuern. Und 2014 Bischof.

Tilmann Schöberl, Moderator bei Bayern 1 und "Jetzt red i" im Bayerischen Fernsehen, sagt über die gemeinsame Zeit bei Radio Charivari: "Stefan war ein Teil von uns Radiomenschen, aber immer ein bisserl nachdenklicher. Nach seiner Entscheidung ins Kloster einzutreten, war plötzlich klar: Jetzt liegt das letzte Puzzleteil am richtigen Fleck." Es scheint, als hätten ein paar Kirchenmänner, allen voran der Papst, erkannt, dass Stefan Oster ein Bischofstyp ist, den die Kirche braucht. Einer, der längst beherrscht, was Papst Franziskus von anderen Bischöfen noch fordert: Geht raus, redet mit den Leuten, auch mit jenen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben.

Das Bistum Passau ist klein auf der Weltkarte des Katholizismus, doch als verkündet wurde, dass Oster dort Bischof werden würde, war der Jubel groß. Noch vor seiner Weihe zog er durch Altötting und Passau. Er wollte sich eigentlich nur zeigen und vorstellen, doch Tausende standen Spalier. Die Menschen hielten ihre Handykameras und Kinder hoch und klatschten. "Überwältigend" sei das gewesen, sagt Oster, "absolut überwältigend". Vor den Erwartungen an ihn hatte er einen "Heidenrespekt".

Im Gespräch versucht der Bischof immer wieder den Eindruck zu widerlegen, es ginge ihm um schnelle Erfolge, um Äußerlichkeiten wie Charme. Es wäre ohnehin ein Fehler, von seiner äußeren Lockerheit auf einen lockeren Umgang mit dem Evangelium zu schließen. "Ich vertrete den Glauben der Kirche und habe sehr feierlich versprochen, das auch zu tun", sagt er. "Und nur weil einer wie ich als nett empfunden wird, heißt das doch nicht, dass er den Glauben der Kirche auf den Kopf stellt." Er könnte auch sagen: Ein Richter mag noch so nett sein, er wird sich dennoch ans Gesetzbuch halten.

Wer meinen würde, dass dieser nette, lockere Bischof die verkrusteten Strukturen der katholischen Kirche im Nu aufbrechen könnte, wäre naiv. Die Institution lässt ihm ohnehin nur einen winzigen Bewegungsspielraum; ein einzelner Bischof kann die Regeln und Prinzipien nicht ändern, selbst wenn er wollte. Aber Oster will das auch gar nicht. Er ist kein Reformer, sondern einer, der sich Frauen im Priesteramt nicht vorstellen kann: "Es war mehr als nur ein biologischer Zufall, dass Christus ein Mann war und Maria als das Urbild der Kirche eine Frau. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun, eher mit Heilsgeschichte, die sich auch im Liebesgeheimnis der Geschlechter abbildet."

Das Problem sei nicht der Zölibat, sagt Oster, sondern die "Glaubenssubstanz"

Oster war, wie gesagt, Professor für Dogmatik, und als solcher lehrte er einen der streitbarsten theologischen Inhalte: Formuliert die Kirche ein Dogma, etwa die Unfehlbarkeit des Papstes oder die Jungfräulichkeit Marias "vor, in und nach der Geburt", dann ist der Glaube daran für alle Christen verbindlich.

Man mag auch meinen, dass ein Kirchenmann, der selbst einmal eine Frau geliebt hat, sich für eine Lockerung des Zölibats einsetzen würde. Doch das Gegenteil ist richtig. Osters Hinwendung zu Gott wurde eines Tages so stark, dass für Manuela schlicht kein Platz mehr war: "Ich habe es am eigenen Leib erfahren, dass die Begegnung mit dem Herrn mein Leben dramatisch verändert hat", sagt er. Den Priestermangel schiebt der Bischof nicht auf das Eheverbot, sondern darauf, dass "die Glaubenssubstanz verdunstet". Was wäre denn, wenn die Kirche den Zölibat morgen streichen würde, fragt er: "Meinen Sie, dass dann ein Einziger den Herrgott mehr lieben würde oder in die Kirche käme?"

Sendungsbewusstsein hatte Oster schon immer. Als Moderator wollte er seine Hörer erreichen, als Pfarrer die Gemeinde, als Professor die Studenten, als Bischof die Gläubigen. Ganz abgelegt hat er es nicht, das Professorale, wenn er, Philosoph und leidenschaftlicher Denker, im Konferenzzimmer am Passauer Domplatz erklärt, warum er sich ausgerechnet der Dogmenlehre gewidmet hat: "Die Dogmatik versucht das, was sich der Kirche an verbindlicher Glaubenserfahrung erschlossen hat, verstehbar und erklärbar zu machen. Ich habe mir die Dogmatik nicht ausgesucht, aber Gott hat einen Plan mit einem Menschen, und es geht darum, verstehen zu lernen, was Gott mit einem vorhat. Und ich habe das Gefühl, dass das, was ich jetzt mache, das ist, was Gott mit mir vorhatte."

Jonglieren und Dogmatik - das ist das Spannungsfeld, in dem sich Oster bewegt. Für das eine lieben ihn die Menschen, für das andere achten ihn ein paar eingefleischte Theologen. Wie sagt Oster selbst: "Solange Jesus schöne Geschichten erzählt und Brot vermehrt hat, sind ihm die Menschen in Scharen nachgerannt. Und je konkreter er wurde, je deutlicher sich herausstellte, dass es um eine klare Entscheidung für oder gegen ihn geht und dass Leid und Kreuz dabei eine Rolle spielen, desto mehr sind sie alle davongerannt."

So geht es der Kirche seit Jahren. Ob jemand wie Stefan Oster, der auch sehr schöne Geschichten erzählen kann, daran etwas ändern wird?

* Name geändert

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Quelle:
SZ vom 16.05.2015
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