Sinn und Unsinn:Dein Freund, der Tod

Die Menschen haben noch immer große Angst vor dem Lebensende. Eine neue Generation von Bestattern setzt sich für ein entspanntes Verhältnis zum Sterben ein. Der Abschied muss kein trauriger sein.

Von Christiane Lutz

Wann haben Sie zuletzt über Ihren Tod nachgedacht? Darüber, was mit Ihrem Körper geschieht, wenn er, unter der Erde begraben, langsam zu verwesen beginnt? Oder wie Ihr Körper bei einer Feuerbestattung, anstandshalber in einem Sarg verstaut, in Flammen aufgeht, bis nur noch künstliche Hüftgelenke und Knochen übrig bleiben? Solche Gedanken finden Sie erschreckend? Damit sind Sie nicht allein. Denn obwohl uns unsere Sterblichkeit, dieses ewige Grundprinzip des Menschseins, irgendwie bewusst ist, hat der Tod noch immer keinen sehr guten Ruf. Aber es gibt mittlerweile eine neue Generation von Bestattern, die den Tod aus seiner finsteren Ecke herausholen wollen.

Zunächst zu den grundlegenden Dingen. "Jeder Mensch erlebt in Deutschland im Schnitt alle 18 Jahre einen Tod in der engeren Familie", sagt Oliver Wirthmann, Pressesprecher des Bundesverband Deutscher Bestatter. Das klingt so, als ob man relativ lange die Sterblichkeit geliebter Menschen verdrängen kann. Trotzdem: "Medial ist der Tod extrem präsent, aber gegen die Toten aus dem 'Tatort' sind wir immun. Und auch das Flüchtlingsboot ist ja nicht vor unserer Haustür gekentert." Erst wenn der Tod in nächster Nähe passiert, sind wir richtig betroffen. Und furchtbar hilflos.

Die naiven Fragen auf einem Youtube-Kanal beweisen: Es gibt jede Menge Redebedarf

In Menschen wie Caitlin Doughty, 31, hat der Tod eine engagierte Fürsprecherin gefunden. Zuletzt erregte die Amerikanerin Aufsehen mit ihrem Buch "Fragen Sie Ihren Bestatter", in dem sie aus dem Alltag in einem kalifornischen Krematorium plauderte. Doughty führt das Bestattungsunternehmen "Undertaking LA" in Los Angeles. Sie will den Menschen die Furcht vor dem Tod nehmen und sie ermutigen, ihn so zu sehen, wie er ist. Ein protziger Sarg und ein mit Make-up aufgemotzter Verstorbener gehören ihrer Meinung nach da nicht unbedingt dazu.

Doris Amen, funeral home director at her Jurek-Park Slope Funeral Home, doesn't like to dress down when working in New York.

Der letzte Weg des Menschen ist von Ungewissheit begleitet. Aber das muss nicht heißen, dass der Abschied vom Leben ein ausschließlich trauriger sein muss.

(Foto: Julie Glassberg/laif)

Caitlin Doughty spricht deshalb gern, viel und mit jedem über die letzten Dinge. Sie tut das auf ihrem Blog, auf Twitter und einem Youtube-Kanal, wo sie in sehr lustigen Videos Fragen rund um den Tod und die Bestattung beantwortet. Wie lang die Totenstarre anhält, zum Beispiel, ("ab etwa zwei Stunden nach dem Tod bis etwa drei Tage nach dem Tod"), wann die Verwesung einsetzt ("nicht sofort, keine Sorge") und ob von toten Körpern irgendwelche Krankheiten durch die Luft aufsteigen können ("natürlich nicht").

Die teilweise naiven Fragen der Zuschauer belegen, dass es jede Menge Redebedarf gibt. Und sehr viel diffuse Angst. "Ich glaube", sagt sie im Gespräch mit der SZ, "dass tatsächlich viele dieser Ängste aus den Vorstellungen vergangener Jahrhunderte kommen. Tote Körper galten als gefährlich und ansteckend, übertrugen angeblich die Cholera. Wir wissen längst, dass das nicht wahr ist. Unsere Ängste aber haben wir trotzdem noch nicht abgebaut."

Daran sei die Bestattungsindustrie nicht ganz schuldlos. Die trage nämlich, zumindest in den USA, dazu bei, dass Verstorbene zu schnell weggeräumt, Angehörige nicht mit einbezogen würden und auch noch der Eindruck entstünde, das müsse so sein.

Ähnlich wie die Geburt ist auch das Sterben mit größer werdender medizinischer Erkenntnis ein immer klinischerer Vorgang geworden. Noch im 19. Jahrhundert starben die meisten Menschen zu Hause, im Krankenhaus landeten nur die armen Seelen, die niemanden hatten. Der Tod ist heute aber etwas, das die Menschen möglichst schnell an Profis abgeben wollen. "Dabei ist es doch paradox", sagt Oliver Wirthmann vom Bestatterverband, "da pflegen Menschen ihre Oma jahrelang liebevoll bis zum letzten Atemzug - und in dem Moment, in dem sie die Augen schließt, rufen sie nach dem Bestatter." Der soll dann ihren Körper entfernen, weil keiner weiß, ob man jetzt das Kinn hochbinden soll, oder nicht. Deshalb will Caitlin Doughty ihre Botschaft vom schönen Sterben unbedingt zu den Quicklebendigen bringen. Als Kind litt sie selbst unter fürchterlicher Todesangst. Heute sieht sie es so: "Mein Verhältnis zum Tod stelle ich mir wie eine menschliche Beziehung vor. Es gibt Höhen und Tiefen, mal verhält sich der Tod richtig schrecklich und dann ist er wieder okay. Der Tod ist wie ein Lebenspartner, nach dem ich immer mal wieder sehen muss. Die Beziehung zu ihm wird sich im Laufe meines Lebens dramatisch verändern. Aber ich muss immer dranbleiben."

Sinn und Unsinn: Bestatterin Caitlin Doughty.

Bestatterin Caitlin Doughty.

(Foto: Mara Zehler)

Wer noch nicht so weit ist, könnte damit anfangen, sich ein paar unangenehme Wahrheiten über den Tod bewusst zu machen. Die Sache mit den Knochenmühlen wäre so eine Wahrheit. Es ist nämlich mitnichten so, dass ein verbrannter Körper komplett zu zarter Asche zerfällt, wie wir gern glauben. Nein, im Anschluss an die Kremation müssen die Knochen in einer automatischen Knochenmühle pulverisiert werden. Nachdem eventuell anfallende Überbleibsel wie Brustimplantate oder künstliche Hüftgelenke anderweitig entsorgt wurden, versteht sich. So etwas wollen die meisten Menschen gar nicht genau wissen. Dabei werden von den 870 000 Menschen, die in Deutschland im Schnitt jährlich sterben, inzwischen sechzig Prozent feuerbestattet, Tendenz steigend. Die anderen werden erdbestattet, das heißt in einem Sarg beerdigt, sagt Wirthmann.

Alternative Bestattungsmethoden wie die Beisetzung der Urne an den Wurzeln von Bäumen oder auf dem Meer bilden eher die Ausnahme. "Die Deutschen haben sich bei Bestattungen immer sehr stark nach dem gerichtet, was man eben so macht", sagt Wirthmann. "Aber das verändert sich gerade. Die Wertschätzung des Individuums reicht heute immer mehr über den Tod hinaus, die Leute trauen sich mehr, die Biografien des Verstorbenen in den Trauerfeiern zu würdigen. Mochte einer Oldtimer, taucht der Oldtimer heute in der Dekoration bei der Feier auf." Von "alternativen Bestattungsmaßnahmen" hält Wirthmann dennoch wenig. Zum Beispiel die Asche eines Verstorbenen in einen Diamanten weiter zu verarbeiten. Oder sie in den Weltraum schießen zu lassen. So mancher Sonderling treibt sich in der Bestattungsbranche herum, meint er. Was auch daran läge, dass der Beruf in Deutschland nicht zwingend an eine Ausbildung gebunden ist, theoretisch darf jeder ein Bestattungsunternehmen eröffnen.

Diamanten findet Caitlin Doughty ebenfalls albern, sie schwört auf eine möglichst große "Natürlichkeit" bei Bestattungen. Bei "Undertaking LA" kann man den Verstorbenen statt in einen Sarg in ein kompostierbares Tuch packen und so in die Erde legen lassen.

Die Erfahrung von Doughty und Wirthmann ist: Immer mehr Menschen wollen sich mit dem Tod auseinandersetzen und ihre Angehörigen nicht mehr an einen Bestatter abladen wie ein Objekt, für das sie nicht mehr zuständig sind. Die Bestatter haben das erkannt und bieten inzwischen häufig an, mit ihnen gemeinsam den Verstorbenen hygienisch zu versorgen. Den Körper also vor der Bestattung zu waschen, umzuziehen, zu kämmen. Oder den Verstorbenen etwas länger zu Hause lassen, bevor er bestattet wird. In Japan können Familien dafür ganze Räume in speziellen Einrichtungen mieten, in denen sie ihre Verstorbenen aufbahren. Familien versammeln sich in dem für den besonderen Anlass ausgestatteten Haus, um gemeinsam ausgiebig Abschied zu nehmen. Die meisten Wohnungen in den Großstädten sind schlicht zu klein, um eine Großfamilie bei einem Todesfall zu beherbergen.

Caitlin Doughty findet jedenfalls: Man kann nicht früh genug beginnen, sich Gedanken zu machen, auf was alles am Ende hinausläuft. Und sie ermutigt auch, die Eltern nach deren Wünschen zu fragen. Denn eines ist klar: Jeder Mensch ist irgendwann an der Reihe.

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