Sinn und Unsinn:Alles wird gut

Sinn und Unsinn: Das Paradies kann voller schöner Frauen und gut strukturiert sein, zum Beispiel in "Mohammeds Paradies", eine Miniatur aus der Geschichte des Mohammed aus dem Jahr 1030.

Das Paradies kann voller schöner Frauen und gut strukturiert sein, zum Beispiel in "Mohammeds Paradies", eine Miniatur aus der Geschichte des Mohammed aus dem Jahr 1030.

(Foto: Agentur Bridgeman)

Die Angst vor dem Tod und vor dem Ungewissen hat den Glauben ans Paradies genährt. Nur wie sieht es dort eigentlich genau aus? Fünf Weltreligionen - fünf Modelle fürs Leben danach.

Von Matthias Drobinski

Alles aus? Seitdem die Menschen sich ihrer selbst bewusst sind, hadern sie mit ihrer Sterblichkeit und hoffen, dass der Tod nicht das Ende ist. Vor 25 000 Jahren begannen sie, den Toten Schmuck, Kleidung und Essen mit ins Grab zu geben, damit sie in der Welt, in die sie gegangen sind, auch versorgt sind. Vor mehr als 4000 Jahren entwickelten die Ägypter genaue Vorstellungen darüber, wie es weitergeht nach dem Tod: Die Seele entweicht Richtung Westen, im Saal des Gerichts wird das Herz des Toten gegen die Feder der Wahrheit aufgewogen. Im ungünstigen Fall wird es von Ammit, dem Monster, verschlungen, ansonsten ist der Weg frei ins Paradies. Dort geht das Leben weiter. Damit es gut weitergeht, haben die Ägypter Pyramiden gebaut und Grabkammern in Felsen getrieben, haben Schätze gesammelt und Totenbücher geschrieben mit Tipps und Tricks fürs Jenseits.

Die Sehnsucht nach dem Garten Eden (im Persischen heißt der Garten pairidazea) ist dem aufgeklärten Menschen geblieben, die Gewissheit darüber jedoch abhanden gekommen. Die alten Vorstellungen vom Himmel und der Hölle, die der Maler Hieronymus Bosch vor 500 Jahren noch grandios in Szene setzen konnte, sind zerbrochen, die Höllenangst ist, Gott sei dank, verdampft. Doch es verschwimmen auch die Vorstellungen vom Leben nach dem Tod. Das Paradies zum Ort des irgendwie ewigen Glücks geworden, an dem Spötter die ewige Langeweile eines fröhlichen Töpferkurses befürchten. Kaum vorstellbar, dass sich einmal Menschen verzehrten im Bemühen um den gnädigen Gott, wie einst Martin Luther. Die Hoffnung aufs ewige Leben nimmt ab: Noch die Hälfte der über 60-jährigen glaubt daran, hat eine Umfrage des evangelischen Magazins Chrismon ergeben; bei denen unter 25 immerhin noch zwei Drittel. Höchste Zeit für Klärungen: Was sagen die großen Religionen zum Paradies? Und wie bitte geht's dahin?

Augustinus ist es zu verdanken, dass sich die Christen vor allem mit der Hölle befassen

Im Judentum spielt das Jenseits lange eine untergeordnete Rolle. Jahwe ist der Gott der Lebenden und nicht der Toten. Doch unter dem Einfluss der griechischen Philosophie nimmt der Glaube zu, dass es eine unsterbliche Seele gibt und einen Ort für sie nach dem Tod. So heißt es über die Makkabäer, die im Kampf für ihren Glauben sterben, dass der Herr sie "zu einem neuen ewigen Leben" erwecken werde. Es kommt zum Streit: Die Sadduzäer lehnen den Jenseitsglauben ab, die Pharisäer vertreten ihn. Sie setzen sich durch, und so wird die Vision des Propheten Jesaia von den meisten Juden auch heute als großartiges Bild vom Paradies gedeutet: Am Ende der Zeit ziehen die Völker nach Jerusalem, es gibt keinen Krieg mehr und kein Leid, Wolf und Lamm liegen friedlich nebeneinander. Fromme Juden glauben, dass sie dereinst leiblich auferstehen werden, deshalb ist ihnen die Totenruhe so wichtig, ist die Schändung ihrer Gräber ein besonderer Frevel. Wer ins Paradies eingeht? Wer sich an die 613 Ge- und Verbote hält, sagen strenge orthodoxen Juden. Liberale Juden halten dagegen: Alle Gerechten können dorthin kommen. Andere glauben gar nicht ans Jenseits - diese Vielfalt ist Kennzeichen des Judentums.

Wie viel mehr Gedanken und Sorgen haben sich dagegen die Christen gemacht! Kein Wunder: Jesus von Nazareth redet von seinem Vater im Himmel, seine Jünger glaubten, dass er nach dem Kreuzestod auferstanden ist von den Toten und aufgefahren in den Himmel, von wo er zurückkommen wird zum Endgericht. Und so kreisen die Gedanken der Christen von Anfang an um die Frage, was nach dem Tod und bei der Wiederkehr Jesu passieren würde, wer in den Himmel kommt und wer zur Hölle fährt. Dem Kirchenlehrer Augustinus ist es zu verdanken, dass die Christen sich lange vor allem mit der Hölle beschäftigen: Für ihn sind durch die Erbsünde alle Menschen zur Hölle verdammt; sie können ihr vielleicht entkommen, wenn sie sich ein Leben lang in Frömmigkeit abstrampeln. So gesehen sind die mittelalterlichen Lehren vom Fegefeuer als Reinigungsort und vom Limbus als Zwischenreich für ungetauft gestorbene Kinder Liberalisierungen. Martin Luther verabschiedet sich von der Vorstellung des Fegefeuers - für ihn rettet Gottes Gnade die Seele des Menschen. Die Paradiesvorstellungen der großen Theologen blieben dagegen eher blass. Thomas von Aquin stellt sich das Paradies als Ort der glückseligen Gottesschau vor, in der es kein tätiges Leben gibt. Und das als Lohn für all die fromme Plackerei? Das kam schon um 1500 dem Maler Hieronymus Bosch fad vor; sein Bild vom Garten Eden ist eine Ansammlung fröhlich skurriler Gestalten und nackter Menschen, zwischen denen die Erotik knistert. Vom 17. Jahrhundert an gehören dann Musik und Gesang zum himmlischen Alltag.

Wahrscheinlich wäre Bosch enttäuscht, würde er lesen, was die Kirchen und Theologen heute übers Paradies sagen. Der Katechismus der katholischen Kirche nennt es das"vollkommene Leben mit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit" und nennt den Himmel "das letzte Ziel und die Erfüllung der tiefsten Sehnsüchte des Menschen". Der Garten Eden ist kein konkreter Ort mehr, sondern ein Seinszustand. Das ist der Preis dafür, dass auch die Hölle nicht mehr als Ort der ewigen Folter angesehen wird, sondern als Zustand der Gottesferne. Wer in den Himmel kommen kann? Einst nur, wer zur richtigen Konfession gehörte. Heute alle, die den Auftrag Jesu befolgen: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."

Im Islam schließlich gehört der Glaube an den Jüngsten Tag zentral zur Religion; in zahlreichen Versen malt der Koran den Tag des Gottesgerichts aus. Die Todesengel fragen den Verstorbenen nach seinem Glauben und führen ihn in den Himmel; die Gerechten erfahren dort von ihrer Rettung, die Verdammten von ihrer Verdammnis, dann heißt es warten bis zum Endgericht. Wer nicht geglaubt und Böses getan hat, kommt in die Hölle. Die ewigen Qualen beschreibt der Koran unter anderem so: Den Ungläubigen sind "Gewänder aus Feuer zugeschnitten, über ihre Köpfe wird heißes Wasser gegossen; dadurch wird zum Schmelzen gebracht, was sie in ihrem Bauch haben". Aber auch die Freuden des Paradieses, der "Gärten der Wonne" werden farbig dargestellt. Sie sind Orte des Friedens und des Überflusses, Jungfrauen warten aufs Liebesspiel - das Paradies ist eine Männerfantasie. Die gläubigen Frauen haben auch Anteil an den Wonnen, über knackige junge Männer aber verliert der Prophet Mohammed kein Wort. Wer ins Paradies kommt? Nur Muslime, die Ungläubigen stürzen in die Hölle. So steht es im Koran. Theologen wie Mouhanad Khorchide halten dagegen: Wenn Gott barmherzig ist, wie es ebenfalls im Koran steht - muss dann der Garten Eden nicht allen Rechtschaffenen offenstehen?

Im Buddhismus kommt es auf die Erleuchtung an, das sichert den Weg ins Nirwana

Die östlichen Religionen haben eine völlig andere Vorstellung vom Jenseits entwickelt. In der vedischen Phase des Hinduismus gab es noch das "Land der Väter"; wer den Göttern opferte, konnte dorthin gelangen. Zunehmend setzte sich aber die Vorstellung durch, dass es einen Kreislauf des Lebens (Samsara) gibt und dass, wer stirbt, wiedergeboren wird. Der Kreislauf ist ein schmerzhafter Prozess, das Schicksal des unvollkommenen, von Gier, Neid und Hass getriebenen Menschen. Alles, was dieser Mensch Gutes und Schlechtes tut, hat eine Folge im nächsten Leben (Karma). Wer sich von Leben zu Leben weiterentwickelt, kann irgendwann den Kreislauf durchbrechen und das höchste Lebensziel (Moksha) erreichen, die Erlösung vom irdischen Ich. Was dann folgt, entzieht sich dem menschlichen Verstand. Wer das erreichen kann? Jeder, der genügend gutes Karma hat. Wie viel genug ist, weiß kein Mensch.

Siddharta Gautama entwickelte um 500 vor Christus diese Lehre weiter: Im Buddhismus kommt es nicht darauf an, gutes Karma zu erwerben, sondern vor allem durch Meditation Erleuchtung zu gewinnen und sich von den Begierden zu lösen, die das Leid des Menschen verursachen. Wer erleuchtet ist, muss nicht mehr wiedergeboren werden, er kann ins Nirwana eingehen, unter Umständen sogar schon zu Lebzeiten. Im Nirwana sind die menschlichen Begrenzungen überwunden, es ist ein Wohl jenseits aller Gefühle und Zustände. Jeder Mensch kann diesen Zustand erreichen - das Nirwana ist für alle da.

Nur das Paradies fällt aus. Aber vielleicht ist der Buddhismus auch deshalb im Westen attraktiv geworden, weil man sich keine Gedanken über Himmel und Hölle machen muss - wobei man, wenn man es recht bedenkt, fürs Nirwana schon ganz schön viel Leistung bringen muss. Kann man heute noch ans Paradies glauben? Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat vor ihrem Tod geschrieben, ihr komme es verlogen vor, wenn auf Grabsteinen "Auf Wiedersehen" geschrieben stehe. Fulbert Steffensky, ihr Mann und ebenfalls Theologe, antwortete: Kann eine Hoffnung eine Lüge sein?

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