Shoppen in L.A.:Die Umkleide Hollywoods

Wer bei Kitson in Los Angeles einkaufen geht, trifft eine gute, teure Entscheidung - und vielleicht einen Superstar dazu.

Tanja Rest

Es war im Dezember 2002, auf den Leinwänden der Welt stieg Halle Berry gerade im orangefarbenen Bikini aus dem Wasser und verschlug nicht nur James Bond den Atem. Die Filmzeitschriften druckten das Bild, die Klatschzeitschriften druckten das Bild, die Modezeitschriften sowieso. Halle Berry war hot in diesem Monat Dezember, und sie tat, was alle Stars tun, wenn der Ruhm erst mal mit ihnen, und die Presse ihr bester Kumpel ist: Sie ließ sich beim Einkaufen fotografieren.

Kitson in Los Angeles

Bei Kitson - Hollywoods Umkleidekabine - wird das Einkaufen zum Schaulaufen.

(Foto: Foto: Getty Images)

Unter den Augen der Paparazzi betrat Halle Berry also eine neue Boutique in Beverly Hills, 115 South Robertson Boulevard, und als sie wieder herauskam, hing an ihrem Arm eine Tasche, schwarz auf der einen Seite, auf der anderen Seite prangte der Buchstabe H - H wie Halle. Dieser Buchstabe an dieser Tasche am Arm dieser Frau fand den Weg in alle wichtigen Stilmagazine, und in den folgenden Monaten verkaufte die Boutique Waren mit Initial-Logo im Wert von mehr als einer Million Dollar. Es war gewiss nicht der Anfang von Berry als Stilikone. Aber es war ganz bestimmt der Anfang von "Kitson".

Lieblingsstatement geltungsgeiler US-Teenager

Eigentlich erfährt man schon unten in der Tiefgarage alles, was man über das Leben oben wissen muss. Glitzernde Porsche-Cabrios, Mercedes-Roadster mit knallroten Ledersitzen, ein limonengelber Lotus und natürlich der Hummer H2, der drei Tonnen schwere und 24 Liter schlürfende Geländepanzer, das aktuelle Lieblingsstatement geltungsgeiler US-Teenager; auf dem Nummernschild von diesem steht tatsächlich: "$andy". Hier also parkt das junge reiche Los Angeles, es pflegt einen extrovertierten Lifestyle mit einer Prise Selbstironie, und wenn es mit dem Fahrstuhl hochfährt zum Robertson Boulevard, findet es dort die dazu passenden Klamotten, mit dem einzigen Gütesiegel, das zählt: Girls, in diesen Von-Duch-Jeans hatte schon Eva Longoria Spaß!

Die nach Ansicht der städtischen Fashion Guides derzeit "heißeste Shoppingmeile von Los Angeles" sieht aus, als hätte man einer Zwölfjährigen einen Pastellfarbkasten in die Hand gedrückt und gesagt: mach mal. Das Ergebnis ist bunt, verspielt, happy. Das gilt für die Boutiquen, in denen Motto-T-Shirts, Skinny Jeans und Tunika-artige Blüschen in ermüdender Vielzahl angeboten werden. Und das gilt für die Boutiquenbesucherinnen mit ihren Riesensonnenbrillen, ihren "B is for Bitch"-Tanktops, den Fellboots zum Jeans-Mini. Besonders viel Einfallsreichtum ist weder hier noch dort erkennbar, aber darum geht es ja gerade: Einen eigenen Geschmack, sagt der Robertson Boulevard, kannst du dir vielleicht nicht kaufen. Aber den von Cameron Diaz haben wir da.

Am Körper der Stars wird Streetwear zu Gold

Wen kümmert schon der Red Carpet? Dass Nicole Kidman ihre Balenciaga-Robe für große Anlässe geliehen bekommt, das wissen alle, das sagt am Ende mehr über ihren Stylisten aus als über Mrs. Kidman selbst. Was aber, wenn die schöne Nicole an einem drehfreien Nachmittag in Begleitung ihrer goldenen Kreditkarte durch L.A. schlendert - welche Jeans, welches köstliche kleine Accessoire erregt da ihre Aufmerksamkeit?

Mit der Antwort auf diese Frage machen Mode- und Klatschmagazine wie InStyle, Us Weekly oder Star seit Jahren Auflage. Natürlich kommen die großen Designerroben auf dem roten Teppich weiterhin zu Ehren. Aber Jennifer Lopez beim Erwerb einer Handtasche von Jelly Kelly, Mischa Barton auf dem Weg zur Umkleidekabine mit einem T-Shirt des Independent-Labels Paul Frank, Cameron Diaz in babyblauen Flipflops von Betsey Johnson - das hat den Duft des Authentischen, das ist privat, das prickelt, das können auch Teenager kaufen, deren Eltern es nicht ganz in die Hollywood Hills geschafft haben. Streetwear heißt das Zauberwort, und sie mag noch so albern und belanglos sein: Am Körper der Stars wird sie zu Gold, und hier am Robertson Boulevard wissen das alle.

Die Umkleide Hollywoods

Kein Geschäft in Los Angeles hat das Prinzip des Abguckens bei den Stars allerdings so konsequent und so skrupellos in die Tat umgesetzt wie Kitson. Mit märchenhaftem Erfolg: Regale und Umkleidekabinen sind mit gerahmten Ausrissen aus Hochglanzmagazinen geschmückt - die Fotos berühmter Ladys, die mit diesem erschlafften Gesichtsausdruck wieder hinaus auf die Straße treten, wie ihn nur eine lange Massage oder der vollzogene Kaufrausch hinterlassen können, wurden in allen einschlägigen Publikationen zu Hunderten gedruckt und locken täglich Horden von Star-Gazers an.

Etwa 24 Millionen Dollar sind im vergangenen Jahr in die Kassen geflossen, das Online-Geschäft nicht mitgerechnet; die hellblaue Einkaufstüte mit dem Kitson-Schriftzug hat mittlerweile selbst schon It-Bag-Format. Sogar der New York Times ist das Phänomen einen längeren Aufsatz wert gewesen: "Wenn man die Aufregung ernst nimmt", heißt es da, "ist Kitson die wohl heißeste Shopping-Adresse Hollywoods."

Blendende PR für banale Klamotten

Wenn man die Aufregung ernst nimmt und dann, an zwei stieräugigen Paparazzi vorbei, tatsächlich reinspaziert, ist Kitson aber vor allem: blendende PR für banale Klamotten. Ein eher kleines Geschäft, in den Regalen überteuerter Nippes und auf den Geschmack der Zielgruppe zurechtgeschneiderte Textilien: ein bisschen mädchenhaft, ein bisschen sexy, ein bisschen ungezogen. Auf den T-Shirts steht in Glitzerlettern wahlweise "Future Trillionaire", "I love Plastic Surgery" oder "Mrs. Federline". Das findet man in Beverly Hills derzeit komisch.

Das eigentlich Außergewöhnliche sind die Beweisfotos, Preisinfo inklusive: Nicole Richie mit dem "Original Must Have Bracelet" (Hunderte davon im Korb darunter, 165 Dollar das Stück), Jessica Simpson im "Little Miss Chatterbox"-Shirt (34 Dollar), Paris Hilton mit einer tarnfleckigen Baseballkappe (195 Dollar, allerdings seit Wochen vergriffen, weil das Foto in InStyle erschienen ist). Die Schnappschüsse sehen inszeniert aus und sind es wohl auch. Eine Hand wäscht die andere.

Man muss schon das honigblonde Mädel gesehen haben - wie es konzentriert sekundenlang auf das fotografierte Handgelenk von Nicole Richie starrt, dann das Original Must Have Bracelet aus dem Korb fischt und für drei Reihen Holzperlen mit Wolltroddel 165 Dollar bezahlt -, um zu begreifen, dass diese Masche wirklich funktioniert.

Der Inhaber bezahlt die Paparazzis selbst

Ausgedacht hat sich das alles der Kitson-Erfinder Fraser Ross, ein modisch eher unauffälliger Mittvierziger, der oft noch selbst an der Kasse steht, wenn auch nicht an diesem Tag. "He'll be back some time later", sagt eine lächelnde Verkäuferin, worum es denn bitte gehe? Oh, ein Zeitungsbericht, ihr Blick wird starr. "Sorry, we're not interested right now. . ." Unfassbar? Nicht ganz. Fraser Ross gilt in Los Angeles als die Spürnase für junge Labels - Marken wie Von Dutch und Paul Frank sind am Robertson Boulevard groß geworden. Allerdings darf man annehmen, dass das weniger mit innovativem Design als mit den besonderen Methoden des Geschäftsführers zusammenhängt.

Ross bekam zum ersten Mal negative Schlagzeilen, als seine Kundin Lindsay Lohan vor der Ladentür einen Autounfall baute und hinterher zu Protokoll gab, sie sei vor den Paparazzi geflohen. Mister Kitson meldete sich öffentlich zu Wort: Die Grenze des Anstandes sei überschritten, so könne es nicht weitergehen mit den Fotografen. Später stellte sich heraus, dass er im selben Monat selbst in eine Paparazzi-Agentur namens Sunset Photo and News eingestiegen war. Sogar das abgebrühte Hollywood war schockiert. Die beiden Herren mit Fototasche, die an diesem Nachmittag am Kitson-Eingang darauf warten, prominente Gesichter abzuschießen, werden mit einiger Wahrscheinlichkeit vom Inhaber bezahlt.

Keine Berichterstattung, keine Publicity

Vollends grotesk wurde die Situation im vergangenen September, als Ross das Magazin Us Weekly verklagte - nicht etwa, weil es die Privatsphäre seiner Kundschaft verletzt habe. Sondern ganz im Gegenteil. Us Weekly, behauptete Ross, erwähne Kitson seit Monaten nicht mehr, und dieser Ausfall an Publicity koste ihn jede Woche zehntausend Dollar. Umgekehrt ermittelt seit einiger Zeit das FBI im Auftrag des Magazins: Eine frühere Mitarbeiterin habe sich ins Redaktionssystem von Us Weekly eingehackt, um geplante Geschichten auszuspionieren. Die beschuldigte Dame ist mittlerweile Mitinhaberin einer Paparazzi-Agentur, den Namen kann man sich denken: Sunset Photo and News.

Die Berichterstattung in den USA kann Fraser Ross unmöglich gefallen haben. Weshalb er bei Interviews, was bisher undenkbar schien, inzwischen vorsichtig geworden ist. Zurück auf dem Robertson Boulevard, Lunch Hour. Vor dem Szenerestaurant "The Ivy" hat sich die obligatorische Schlange gebildet. Auch hier stehen die Fotografen, auch hier gehören Namen wie Katie Holmes, Cameron Diaz oder Ben Affleck zum Marketingkonzept. Auf der kleinen Terrasse mit ihrer efeuüberwucherten Backsteingemütlichkeit sitzen die lucky few vor ihren Salaten mit gegrillten Zucchini, auf dem Trottoir wartet der Tross der Aspiranten. Und weil alle identisch dünn sind und sich nebenan den identischen Style besorgt haben, also mehr oder weniger aussehen wie Nicole Richie, werfen sie sich durch ihre D&G-Sonnengläser gegenseitig versteckte Blicke zu: Ist sie's?

Die Rückfahrt über die Melrose Avenue führt an der Boutique von Diane von Fürstenberg vorbei, an den Schaufenstern steht in blendend weißen Lettern: "Cate, Penelope, Nicole, Jennifer. Thank you for the Inspiration." Inspiration . . . Auch ein schöner Name für PR.

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