Sexuelle Gewalt:Trump, die Übergriffigkeit und der Feminismus

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In der feministischen Analyse gilt Vergewaltigung meist als das ultimative Herrschaftsinstrument im Patriarchat.

(Foto: REUTERS)

Vergewaltigung und sexuelle Nötigung werden von der Gesellschaft geächtet. Warum führt das nicht dazu, die Verbrechen an sich besser zu bekämpfen?

Essay von Meredith Haaf

Muss einer besonders abgefeimt sein, wenn er sich damit brüstet, schöne Frauen gerne ungefragt beim Geschlechtsteil zu packen, so wie es der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, getan hat? Oder ist er damit einfach nur ein besonders prominentes Beispiel für eine Kultur der Frauenverachtung und sexualisierten Gewalt, die überall zu finden ist?

Dieser Tage ist die halbe Weltöffentlichkeit fassungslos über einen Mann, der sich immer wieder als geborener Belästiger inszeniert und daran nichts Schlimmes findet. Doch wie Mithu Sanyal in ihrem eben erschienenen Buch "Vergewaltigung - Aspekte eines Verbrechens" erklärt, ist die Erzählung vom Mann, der der Wolf der Frauen ist, so alt wie die westliche Zivilisation selbst (Edition Nautilus, Hamburg 2016, 240 Seiten, 16 Euro).

Man muss also vielleicht kurz innehalten und über zwei Fragen nachdenken, die von der Causa Trump aufgeworfen werden. Zum einen, ohne Mitleid mit dem Mann haben zu wollen: Wie winzig klein muss das Selbstwertgefühl eines Menschen sein, der jede Person, auf die sein Blick fällt, automatisch abwertet? Zum anderen: Was sagt es über den Vergewaltigungsdiskurs, dass außer Mordlust eigentlich kein Vorwurf an einen Menschen heute schwerer wiegt als sexuelle Übergriffigkeit? Auch hier gibt die Lektüre von Sanyals "Vergewaltigung" Aufschluss.

Aristoteles und Ovid, Richard von Kraft-Ebbing und Sigmund Freud, ja selbst die Feministinnen der zweiten Welle sahen Vergewaltigung als etwas, das notwendigerweise aus dem Geschlechterverhältnissen folgte. Die Kontrolle des männliche Trieb bedurfte höchster Anstrengung, weibliche Zurückhaltung wiederum galt als Tugend.

In einem leichten Stil widmet sich Mithu Sanyal aber nicht nur der Begründungsgeschichte der Vergewaltigung, sondern auch den Diskursen, die sie umrahmen. Es geht um die Konzepte von Ehre und Scham und die Sprache, die für das Erlebnis von Seiten der Opfer gefunden wird. Eines der berühmtesten Vergewaltigungsopfer der Geschichte ist die römische Adelige Lucretia, die Tizian, Lucas Cranach und andere Maler darstellten. Lucretia beging nach ihrer Vergewaltigung gegen den Protest ihrer Familie Selbstmord, weil sie ihr schandbeflecktes Selbst ihrem Ehemann nicht mehr antun wollte.

Auch heute noch gehört der Verlust von Lebenswillen zum Narrativ des Vergewaltigungsopfers. "Wurde zuvor ein Bruch mit der Lebenssituation erwartet, weil durch eine Vergewaltigung die soziale Position der Frau in Frage gestellt wurde, verlagerte sich der Konflikt im Laufe des 20. Jahrhunderts mehr und mehr nach innen", schreibt Sanyal. Zwar sprechen aufgeklärte Menschen heute ohnehin nicht mehr von Opfern, sondern von Überlebenden, womit letztlich die Ausnahmequalität des Verbrechens noch weiter fest geschrieben wird. Dass Scham, Depression und Rückzug natürliche Reaktionen auf eine Vergewaltigung sind, steht dabei ebenso unhinterfragt fest, wie die Überzeugung, dass es "hilft, darüber zu reden" oder zu schreiben. Doch auch Scham ist kein Reflex, sondern eine "hochkomplexe Emotion, die kulturell erlernt werden muss und sich keinesfalls automatisch einstellt". Folgt man Sanyals Analyse, ist die Scham einfach der zweite Arm der Angstzange, in die Vergewaltigung alle Frauen nimmt. Schließlich gehört zur Angst vor der Gewalt oft bereits die Angst vor dem Wrack, das man nach einer Vergewaltigung sein wird.

Wahrnehmung von sexueller Gewalt folgt Geschlechter-Stereotypen

Ohne Zweifel ist Vergewaltigung eines der schlimmsten Dinge, die einem Menschen passieren können. Doch Sanyal ist der Diskurs um sexualisierte Gewalt zugleich "eine der letzten Bastionen und Brutzellen für Geschlechterzuschreibungen, die wir ansonsten kaum wagen würden zu denken, geschweige denn auszusprechen - und zwar durch alle politischen Lager hindurch". Das wird sich nicht durch schärfere Rechtspolitik und Anti-Vergewaltigungs-Rhetorik ändern, ebenso wenig wie durch Eindeutigkeitsdebatten und mehr Trigger-Warnungen. Gefragt ist vielmehr eine radikale Politik der Sensibilisierung.

In der feministischen Analyse gilt Vergewaltigung meist als das ultimative Herrschaftsinstrument im Patriarchat. Die amerikanische Autorin Susan Brownmiller formulierte 1975 in ihrem prägenden Werk "Gegen unseren Willen" das Paradigma von der sexuellen Gewalt, die als Waffe "von allen Männern gegen alle Frauen" eingesetzt wurde, ob als konkrete Tat oder latente Drohkulisse. Diese Definition ist bis heute leitend im feministischen Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Eindeutigkeit dieser Definition einerseits eine gewisse Erleichterung in den komplizierten Geschlechter-Debatten verschafft - und andererseits der Sachlage am Ende doch nicht ganz gerecht wird.

Zunächst ist der Kampf gegen sexualisierte Gewalt ja einer, dem sich so ziemlich jeder anschließen kann. Sanyal schreibt: "Alle lehnen Vergewaltigung ab, allerdings lehnen wir nicht unbedingt dasselbe ab, wenn wir Vergewaltigung ablehnen." Auch dafür sind die einhellig angewiderten Reaktionen auf Trump ein gutes Beispiel, wie auch die geografisch näher gelegenen heftigen Kontroversen um die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht und die Wortklaubereien um das Sexualstrafrecht.

2016, Jahr der sexualisierten Gewalt

Überhaupt war 2016 ja gleichsam das Jahr der sexualisierten Gewalt. Das hängt mit den bekannten Debattenauslösern wie dem Prozess um Gina-Lisa Lohfink zusammen, durch die auch die Reform des Sexualstrafrechts plötzlich Fahrt aufnahm. Politisierte Frauen dingen schon länger auf eine neue Sensibilisierung dafür, was männliche Übergriffigkeit mit weiblicher Bewegungsfreiheit macht. Im Internet werden lüsterne Pfiffe und unerwünschte Anmachen akribisch unter bestimmten Hashtags archiviert. Auf "Slutwalks" protestiert man gegen die Doppelmoral der Sexualcodes, an US-Universitäten diskutiert man über affirmative consent - also die bestätigende Einwilligung. Es geht um die juristische Verfolgbarkeit von Tätern und ums Zurückdrängen der "Rape Culture" - also einer Kultur, deren Normen und Werte Vergewaltigung begünstigen. Hierher gehört Donald Trumps peinlicher Monolog über die Tic Tacs , die er sich einwirft, "nur falls ich anfangen sollte, sie zu küssen", seine Überzeugung, er dürfe alles, weil er reich und ein Star sei.

Zweifellos ist der Kampf gegen diese Mentalität richtig. Er hatte immerhin eine Strafrechtsreform in Deutschland zur Folge, die die Verurteilung vieler Täter überhaupt erst ermöglichen wird.

Doch kann es trotzdem sein, dass unser moderner Wunsch nach der Überwachung und Bestrafung sexueller Übeltaten - zumindest teilweise - in die Irre führt? Mitunter herrscht ein öffentlicher Stigmatisierungs-Ehrgeiz, der Fragen aufwirft. Und Vergewaltigung gilt uns mittlerweile nicht mehr als natürliche, dafür aber, was genauso absurd ist, als abgrundtief böse Tat von Bestien, die nichts mit uns zu tun haben. Nur sind, das zeigt Mithu Sanyal anhand verschiedener Studien, die meisten Menschen dazu fähig, wenn sie falsch aufwachsen oder in falsche Strukturen geraten. "Das Problem mit dieser Drinnen/Draußen-Politik ist, dass sich darin niemand als Täter identifizieren wird, wenn es heißt: Vergewaltiger sind nicht wie wir. (. . .) Auf Vergewaltiger werden all die Dinge projiziert, die eine Gesellschaft nicht sein will." Und somit muss sich auch nie irgendjemand für Vergewaltiger und die Kultur, die sie hervorbringt, verantwortlich fühlen. Das ist ein dauerhaftes politisches Problem, dessen Lösung in einer anderen, sensibleren Sprache liegt.

Die Anerkennung der eigenen Verletzlichkeit

Die Diskurse um Vergewaltigung erweisen sich in letzter Instanz als machtvolle Instrumente der Repression, die gegen alle möglichen Gruppen zum Einsatz kommen, aber kaum dazu führen, das Verbrechen zu bekämpfen. Wie der Historiker Richard Bessel feststellt: "Die jüngste Evolution in der Einstellung zur Gewalt gegen Frauen hat nicht nur den Blick westlicher Menschen auf das Verhalten in ihren eigenen Gesellschaften verändert. Es spiegelt sich auch in deren Blick auf andere Gesellschaften und der Bestürzung über die Behandlung von Frauen und Kindern woanders und der Toleranz gegenüber intimer Gewalt." So galten die Rechte der Frauen in Afghanistan vielen Befürwortern als Grund genug für eine militärische Intervention, in deren Folge zahlreiche Frauen starben, zur Flucht gezwungen wurden, Angehörige oder ihren Lebensunterhalt verloren.

In der westlichen Welt ist sexualisierte Gewalt situationsgebunden an der Tagesordnung: Laut Sanyal vor allem im Militär und in den Gefängnissen, also in gesellschaftlichen Gefügen, die sich durch eine strenge Hierarchie und den Entzug der körperlichen Souveränität ihrer Subjekte auszeichnen. Hier wird auch klar, dass die Definition von Vergewaltigung als anti-weiblicher Aggression angesichts der Realität der Zahlen nicht zutreffend ist. Es sind zu viele Männer unter den Opfern.

Rein statistisch sind es zwar "nur" zehn Prozent, doch wie Sanyal glaubhaft ausführt, wirken Tabuisierung und Stigmatisierung sich auf männliche Opfer sexueller Gewalt noch viel mächtiger aus: "Männliche Opfer (. . .) bedrohen das Konzept Mann." Das gilt besonders, wenn die Täter weiblich sind. Die Misshandlung irakischer Häftlinge im Abu Ghraib-Gefängnis, die auch durch Frauen erfolgte, führt Sanyal als Beispiel ins Feld und zitiert eine Studie aus Yale, laut der die Mehrzahl der von Gefängnisinsassen angezeigten sexuellen Übergriffe von weiblichem Wachpersonal ausgingen.

In dieser Erkenntnis liegt bei Mithu Sanyal dann sogar ein Hoffnungsschimmer - und diese geistige Elastik ist es auch, die ihr Buch so lesenswert macht: Sexuelle Gewalt werde "veränderlich denkbar", wenn man sich bewusst macht, dass sie sich nicht auf ein Geschlecht beschränkt. Dann wird auch klar, dass Verletzlichkeit kein weibliches Merkmal ist, sondern ein universaler Zustand. Dass ein Donald Trump nicht nur Frauen meint, sondern eigentlich alle Menschen, wenn er sie auf Titten und Beine reduziert. Vielleicht meint er sogar sich selbst: Denn nur wer seine eigenen Grenzen versteht, kann auch die des anderen sehen. Wer verstanden hat, dass er selbst nicht möchte, dass man ein doofes Spiel mit ihm spielt, macht das auch nicht mit anderen.

Die Anerkennung der eigenen Verletzlichkeit ist, so Sanyal, stets der erste Schritt zum Respekt vor der Verletzlichkeit der anderen. Und damit vielleicht auch zu einem besseren Miteinander. In dem man nicht darüber nachdenken muss, wann Nein und Ja gesagt werden muss. Weil jeder in der Lage ist, den Willen des anderen ebenso wie den eigenen wahrzunehmen.

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