Sexting:Wie die US-Justiz Jugendliche wegen Selfies verfolgt

Immer öfter müssen sich in den USA Teenager wegen Kinderpornografie verantworten. Ihr Vergehen: Sie haben Nacktbilder auf ihren Handys - von sich selbst.

Von Anna Fischhaber

Kann es ein Verbrechen ohne Opfer geben? Kann ein Mensch gleichzeitig erwachsener Täter und minderjähriges Opfer sein? Gleichzeitig Produzent von Kinderpornografie und eben jenes Kind, das sexuell ausgebeutet wird? In den USA ist das offenbar möglich, wie der kuriose Fall des 17-jährigen Cormega aus Fayetteville in North Carolina zeigt.

Die Bilder des Jungen und seiner Freundin gingen um die Welt. Mal umarmen sich die beiden, mal albern sie vor der Kamera herum. Fotos eines verliebten Teenagerpaares. Auch intimere Bilder tauschten Cormega C. und Brianna D. per Smartphone aus. Freiwillig wohlgemerkt. Dennoch wären sie für diese Nacktselfies fast zu Sexualstraftätern gemacht worden.

Nicht risikofrei, aber weitgehend harmlos

Sexting heißt es, wenn Teenager solche Fotos oder Nachrichten per Handy teilen. Untersuchungen des Psychologen Jeff Temple von der University of Texas Medical Branch zufolge haben 30 Prozent der US-Jugendlichen das schon gemacht. Kollegin Elizabeth Englander von der Bridgewater State University in Massachusetts geht davon aus, dass Teen-Sexting längst ein Teil der Sexualentwicklung geworden ist - kein risikofreier, aber ein weitgehend harmloser, wie sie sagt.

Zwei Kolleginnen aus Pennsylvania wollen - allen Abschreckungskampagnen zum Trotz - sogar herausgefunden haben: "Menschen, die Sexting betreiben, haben ein erfüllteres Liebesleben." Zumeist würden solche Fotos nämlich nicht in sozialen Netzwerken öffentlich geteilt, sondern unter festen Partnern ausgetauscht. Wie im Fall von Cormega und Brianna.

So weit, so gut - wäre da nicht die übereifrige US-Justiz und ihr zum Teil harscher Umgang mit Minderjährigen, der immer wieder zu Haftstrafen für Kinder und Jugendliche führt. Angesichts der strafrechtlichen Ermittlungen, denen Teenager wegen Sexting in jüngster Zeit immer wieder ausgesetzt waren, sei eine neue Stufe erreicht, warnt nun The Week. Es sehe fast so aus, als müssten die Amerikaner ihre Kinder in einen "Sandkasten kafkaesker Bürokratie" sperren, damit sie nicht zu echten Kriminellen würden, schreibt das US-Magazin angesichts der wachsenden moralischen Erregung. Kinder müssten anders auf die Risiken von Sexting aufmerksam gemacht werden, fordern auch Juristen.

Cormega ist kein Einzelfall

Nach amerikanischem Recht sind Nacktaufnahmen von Minderjährigen Kinderpornografie. Wer solche Bilder macht, machen lässt oder verschickt, ist an der Verbreitung von Kinderpornografie beteiligt - und darauf stehen hohe Strafen. Die sind sicherlich sinnvoll, wenn Erwachsene kleine Kinder fotografieren. Aber was, wenn ein Teenager Fotos von sich selbst macht? Oder ein Pärchen sich gegenseitig nackt fotografiert und diese Fotos austauscht? Zumindest wörtlich genommen trifft dieses Gesetz auch auf solche Bilder zu. Und allzu wörtlich haben es die Behörden es in ganz Amerika immer wieder genommen.

Bei New York wurde ein 14 Jahre altes Mädchen wegen der Verbreitung von Kinderpornografie angeklagt, weil es 30 Nacktselfies auf ihre My-Space-Seite gestellt hatte. Marissa, 15, aus Pennsylvania hatte sich mit Freundinnen im Bikini fotografiert. Als die Fotos auf Handys von Mitschülern gefunden wurden, beschloss der Staatsanwalt, ihr eine Lektion zu erteilen. Die Liste lässt sich fortsetzen. Besonders kurios ist nun der Fall von Cormega. Als an seiner Schule wegen der Verbreitung pornografischer Bilder ermittelt wurde, fanden die Behörden private Nacktfotos von ihm und Brianna auf dem Handy des damals 16-Jährigen. Mit dem Pornografiefall hatten er und seine Freundin nichts zu tun, dennoch lief nun die Maschinerie der Justiz an.

Besonders absurd an dem Fall: Cormega wurde als Täter nach Erwachsenenstrafrecht behandelt - und für die sexuelle Ausbeutung eines Minderjährigen verfolgt. Wobei das minderjährige Opfer er selbst war. Vier von fünf Anklagepunkten bezogen sich auf Nacktbilder von ihm auf seinem Handy, auf Briannas Telefon wurden sogar nur ihre eigenen Bilder gefunden. Dennoch drohten Cormega zwischenzeitlich mehrere Jahre Gefängnis und eine lebenslange Registrierung auf einer öffentlich einsehbaren Liste für Triebtäter. Bürger können dort nachschauen, ob ihre neuen Nachbarn vorbestrafte Vergewaltiger oder Pädophile sind. Cormega wäre allerdings nicht der erste Teenager, der wegen einer Lappalie auf dieser Liste gelandet wäre.

"Das ist verrückt. Das geht zu weit"

Wenn die Bundesstaaten ihre Gesetze allzu wörtlich anwendeten, müssten bald Zehntausende Kinder ins Gefängnis gesteckt und als Triebtäter registriert werden, warnt Psychologe Temple. "Kinder sollten für so etwas nicht verfolgt werden", sagt Justin Patchin, Professor für Kriminologie in Wisconsin und Mitbegründer der Website cyberbullying.org, im Guardian. "Auch wenn man nicht will, dass Kinder solche Bilder an andere verschicken, denke ich nicht, dass es eine Strafverfolgung ohne Opfer geben sollte."

Datenschutzexperte Fred Lane, der ein Buch für Eltern geschrieben hat, findet: "Das ist verrückt. Das geht zu weit." Es gebe etwa zehn überwiegend konservative US-Bundesstaaten, in denen Kinder für Sexting strafrechtlich verfolgt werden, so Lane. "Man versucht Exempel zu statuieren, weil man das für unangemessenes Verhalten hält."

Cormega und Brianna entgingen ihrer Strafe schließlich, weil sie sich schuldig bekannten und mit den Behörden einen Deal vereinbarten. Brianna räumte bereits im Juli ihr Vergehen ein, die Anklage wurde daraufhin fallengelassen. Sie muss nun 200 Dollar (etwa 175 Euro) Gerichtskosten bezahlen. Zudem hat sie sich verpflichtet, auf der Schule zu bleiben, auf illegale Drogen und Alkohol zu verzichten, an einem Erziehungskurs teilzunehmen und 30 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Zudem darf sie ein Jahr lang kein Handy besitzen. Ende September stimmte Cormega einem ähnlichen Deal zu. Hält er sich an die Vorgaben, wird seine Akte nach einem Jahr wieder gelöscht.

Ob die Öffentlichkeit das Gesicht und den vollen Namen des 17-Jährigen, der im Zuge der Ermittlungen veröffentlicht wurde, ebenso schnell wieder vergisst?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: