Sexismus:"Wir kriegen noch 'ne Flasche Wein, leg deine Handynummer dazu"

Sexismus: Opfer des Sexismus: Frauen werden zur "Süßen", alleinerziehende Männer zu "Losern".

Opfer des Sexismus: Frauen werden zur "Süßen", alleinerziehende Männer zu "Losern".

Wie ungleich Männer und Frauen immer noch behandelt werden, lässt sich in nackten Zahlen ausdrücken - aber auch durch persönliche Erlebnisse und Anekdoten. Wir haben SZ-Leser und SZ-Leserinnen sowie Kollegen und Kolleginnen gebeten, ihre Geschichten aufzuschreiben. Entstanden ist eine lose Sammlung, die zeigt: auch drei Jahre nach der #Aufschrei-Debatte ist Sexismus und Diskriminierung immer noch Alltag. Auch Männer sind betroffen. Sie wollen uns von Ihren Erfahrungen berichten? Posten Sie auf Facebook, twittern Sie oder mailen Sie uns.

Am ersten Tag in einem neuen Büro sagt ein Kollege zu mir während einer Videokonferenz: "Sie sehen doch gut aus, setzen Sie sich doch mal vor die Kamera, damit die Kollegen auf der anderen Seite was zu gucken haben." Anonym

Auf der Arbeit gab es mal einen Fall, dass ich von meinem Oberkellner an den Arm gefasst wurde, weil er meine Muskeln fühlen wollte und dann meinte "du bist doch ein echter Mann oder nicht?" Wir Männer werden auch diskriminiert, behandelt wie irgendwelche Affen, die auf süße Frauen abfahren, die nie den Mund aufmachen. Sexismus gegen Frauen geht auch gegen uns, weil wir der dumme Gegenentwurf zu dem dummen Klischee sein müssen, das man den Frauen aufs Auge drückt und das sich auch leider viele gerne aufdrücken lassen. Martin Wittner, 24

Ich werde besonders in der Schule meiner Kinder immer wieder schief angeschaut, weil ich alleinerziehende Mama und berufstätig bin. Meine Kinder sind nicht "einfach" und für die Lehrkräfte - unabhängig vom Geschlecht - ist klar, woran das liegt. Es ist kein Vater da, der mit Strenge die Milde der Mutter ausgleicht und da ist es ja dann kein Wunder, dass die Kinder aus der Reihe tanzen. Und dann arbeitet diese Mutter auch noch (um niemandem auf der Tasche zu liegen und den Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen vielleicht?), das kann ja nichts werden! Wie soll da Erziehung funktionieren? Mir hat mal ernsthaft eine Lehrerin gesagt, ich solle doch aufhören zu arbeiten und mich mehr um mein Kind kümmern. Meine Frage danach, ob sie dann meine Rechnungen bezahlt, blieb bis heute unbeantwortet. Annette M., 38

Mein Chef und ich hatten neue Geschäftshandys bestellt. Als uns der Kollege aus der IT die neuen iPhones brachte - meinem Chef das schwarze, mir das silberne - meinte er zu mir: "Pink gab es leider nicht ...". Steffi P., 34

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der elften Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alle Texte zur aktuellen Recherche finden Sie hier. Mehr zum Projekt finden Sie hier.

Ich war mit meinem Vater im Baumarkt, um Blumen für seinen Garten zu kaufen. Als wir an der Kasse standen, drückte mir die Verkäuferin einen Flyer in die Hand und meinte ich solle da doch kommen und ihr hätte das auch sehr geholfen. Es war ein Flyer für einen Handwerkerkurs. Nur für Mädchen. Ich lehnte dankend ab. Auf dem Weg nach Hause war das unser Gesprächsthema. Die gute Absicht des Baumarkts und der Kassiererin lässt sich überhaupt nicht leugnen. Aber mein Vater sagte einen Satz, der wirklich sehr passend war: "Ich würde mir aber auch ganz schön blöd vorkommen, wenn mir jemand einen Kurs nur für Männer anbietet." Zu Anfang der Gleichberechtigung und des Feminismus, zu Alice Schwarzer Zeiten, da wäre dieser Kurs vielleicht noch gut angekommen, da ging es erst mal darum zu beweisen, dass Frauen alles können, was Männer auch können und das sogar besser. Heutzutage ist Gleichberechtigung für mich einfach die Gleichstellung von Mann und Frau. Beide Geschlechter können die Fähigkeiten erlernen, die sie wollen, und beide Geschlechter können gleich gut darin werden. Der Kurs war für junge Mädchen, aber warum denn nicht einfach für junge Menschen? Ein Kurs nur für Mädchen impliziert für mich einfach die Einstellung, Jungs können schon ein Loch in die Wand bohren, Mädchen nicht. Carina S., 18

Ich bin mal bei einer Lese-Show aufgetreten und war (wie so oft) die einzige Frau im Line-up. Der DJ des Abends hat, wenn jemand fertig war und von der Bühne ging, immer ein Lied angespielt. Meistens hat er versucht, was "Passendes" zu finden, also irgendeinen Song, der thematisch zum vorherigen Text, der vorgelesen wurde, passt. Bei mir hat er aber folgende Songs gespielt (jeder hatte mehrere Auftritte): "Pretty Woman", "Sexbomb" und "Ding" von Seeed. Als ich mich später bei ihm darüber beschwert habe, weil ich das unter aller Sau fand und mich wahnsinnig unwohl gefühlt habe, war er total beleidigt, sagte mir, ich solle nicht so empfindlich sein und er habe das "doch nur nett gemeint". Nadja Schlüter, 29

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Als ich in einer Kinderkrippe mein freiwilliges soziales Jahr anfing, wurde von Seiten des Trägers und der Chefin verlangt, ich solle von jedem Elternteil der betreuten Kinder eine schriftliche Genehmigung einholen, dass ich die Kinder im Zuge meiner Arbeit dort wickeln dürfe. Das ist natürlich zentraler Bestandteil der alltäglichen Arbeit dort. Von weiblichen Praktikantinnen und Mitarbeiterinnen wurde dies nicht gefordert. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl, sich absolut unberechtigt und lediglich aufgrund meines Geschlechts dem Verdacht der Pädophilie ausgestellt zu sehen. David H., 22

Sexismus gibt es auch innerhalb von Familien: Meine Mutter, Tanten, Großmütter - sie alle bitten automatisch mich, den Tisch abzuräumen, Kuchen zu backen, die Wäsche aufzuhängen. Dabei gäbe es genug Männer bei uns in der Familie, die das genauso gut machen könnten. Anonym

Mein Vater arbeitet - meine Mutter ist Hausfrau. Sie erzählt oft von ihrer Zeit als Krankenschwester; das war ihre Berufung, sie hat diesen Job geliebt. Als meine Schwester geboren wurde, gab es noch eine Oma, die auf sie aufpassen konnte - doch als ich vor 22 Jahren auf die Welt gekommen bin, war es damit vorbei. "Warum hast du nicht wieder angefangen zu arbeiten?", erinnere ich mich, sie mal gefragt zu haben. "Na ja, einer muss sich ja um den Haushalt kümmern.", antwortete sie und es klang aus ihrem Mund selbstverständlich, als wüsste sie nicht, was ich sonst für eine Antwort erwarten würde. Dasselbe wiederholt sich jetzt mit meiner Schwester: Sie hat ein Kind zur Welt gebracht und legt ihre Karriere, die sie sich hart erarbeitet hat, ad acta, während ihr Mann natürlich weiterarbeitet. ​Ich kann nicht in die Köpfe der Menschen um mich herum sehen, daher weiß ich nicht, was andere in meinem Umfeld für Träume, Wünsche und Ziele haben. Doch ich bin mir sicher, dass zumindest einige von ihnen in die Position gedrängt wurden, in der sie sich nun befinden. Johannes B., 22

"Das sind dann wohl die Kehrseiten der Emanzipation"

Wie oft muss ich von wildfremden Männern Kussgeräusche und Bemerkungen wie "Schätzchen" , "Süße", "saftig", bis hin zu "geile Fotze" ertragen und es tolerieren, wenn Männer in der Öffentlichkeit ihren Penis auspacken und onanieren. Wenn man in einer Runde darüber zu reden beginnt, kommt rasch die Frage auf, was man denn anhatte. Ich kam aus dem Nachtdienst, hatte seit über 26 Stunden nicht geschlafen, sah auch so aus, trug kein Make-up und Schlabberklamotten. Aber das ist absolut irrelevant! Anonym

Nach meinem Studium arbeitete ich drei Monate in einer Agentur. Deren Geschäftsführer (männlich, um die 40) stellte ausschließlich junge Frauen unter 35 ein, die Gehälter lagen weit unter Branchendurchschnitt. Der Arbeitgeber verließ sich darauf, dass sich so junge, unerfahrene Arbeitskräfte nicht dagegen wehren. Als dann doch mal ein Mann eingestellt wurde, erfuhr ich zufällig von ihm, dass er beinahe das Doppelte verdiente wie seine Kolleginnen mit den gleichen Aufgaben. Louise H., 28

Meine Frau und ich besetzen gemeinsam eine Stelle, als Leitung eines Büros einer politischen Stiftung im Ausland. Dabei teilen wir uns die Verantwortung 50:50, Personalgespräche, Teamsitzungen und anderes bestreiten wir meist gemeinsam. Bei einer dieser Teamsitzungen mit unseren vier MitarbeiterInnen (kleines Büro) kam es zu einer Diskussion über die Richtlinien im Bereich der Finanzadministration. Unsere Sekretärin beharrte dabei mehrfach auf ihrem (auch im Nachhinein falschen Standpunkt) und unterbrach in diesem Zusammenhang auch meine Frau, die versuchte, den Sachverhalt ruhig zu erläutern. Daraufhin schlug meine Frau mit der Hand auf den Tisch und sagte laut und deutlich "Nein, das ist falsch", um die Diskussion zu beenden. Die Sekretärin verließ entrüstet den Raum. "So lasse ich nicht mit mir reden", sagte sie. In einem späteren klärenden Gespräch machte die Sekretärin deutlich, dass sie ein solches Verhalten von mir (als Mann) durchaus erwartet und normal gefunden hätte - von meiner Frau allerdings nicht. Anonym

Eine Baumesse, ich arbeite als Hostess, es ist spät am Abend und der Alkohol fließt. Ein Abteilungsleiter, der tagsüber nicht mal "danke" sagen konnte, als ich ihm den Kaffee brachte, hält mich fest und sagt: "Wir kriegen noch 'ne Flasche Wein, leg deine Handynummer dazu." Elisa Britzelmeier, 26

Vor Kurzem war ich bei einem Vorstellungsgespräch mit der Geschäftsführung (ein Mann und eine Frau) und einer Abteilungsleiterin. Das Gespräch verlief aus meiner Sicht freundlich, es ging um fachliche Qualifikation, meine bisherigen Berufserfahrungen, warum ich mich jeweils für die nächsten Schritte entschieden hatte. Nachdem dies alles besprochen und beantwortet war, kam tatsächlich die Frage "Wie sieht es bei Ihnen mit der Familienplanung aus? Gibt es da einen Plan?" Diese Frage stellte der männliche Geschäftsführer, die weibliche Geschäftsführerin verdrehte nur die Augen. Anonym

Es ist heiß im Schwesternzimmer. Es stehen rum: der Chefarzt (in Kittel mit silbernen Knöpfen und Stehkragen), zwei Oberärzte (einer in Kittel, Stethoskop um den Hals, einer in OP-Oberteil-/Hosenkombination) sowie etwa fünf Schwestern und eine 19-jährige pflegerische Hilfskraft (in Schwesternkitteln, die bis zum Knie gehen und aufgrund ihrer Langlebigkeit etwas durchsichtig geworden sind.) Die 19-Jährige kratzt sich am Knie. Eine der Schwestern reicht Fenistil-Gel gegen den Juckreiz. Der Chefarzt wird aufmerksam. "Was ist denn mit Ihnen?", fragt er. Die Hilfskraft nuschelt: "Bin gestochen worden." Der Chefarzt daraufhin: "Vom Oberarzt, oder wie?" Dorothea Grass, 38

Der Drucker tat alles. Außer drucken. Ich habe also sämtliche Knöpfe gedrückt, ausgeschaltet, eingeschaltet, nichts passiert. Ein dummes Klischee eigentlich, die junge Auszubildende, die an der Technik scheitert. Ein Kollege kam den Flur entlang, ein zweiter um die Ecke. "Kann jemand von euch mir kurz helfen?". Die beiden schauen sich an. Der eine: "Sonst schaffst du doch auch alles allein." Er lacht, geht weg. Auch der andere kann nicht helfen oder will nicht. "Wird schon", sagt er aufmunternd, und geht. Am Ende des Flures dreht er sich noch einmal um und ruft mir, wieder allein am Drucker, zu : "Das sind dann wohl die Kehrseiten der Emanzipation." War wohl augenzwinkernd gemeint. Anonym

In dem Moment, in dem ich meinen neugeborenen Sohn zum ersten Mal in den Händen hielt, war es um mich geschehen. Die Emotionen überrannten mich völlig unvorbereitet - und mir war klar, welches Wesen für den Rest meines Lebens meine Priorität sein würde. Was für mich eine Selbstverständlichkeit war, war für den Rest der Welt offenbar eine völlig neue Idee. Das fing mit einigen Frotzeleien meiner Schwiegermutter an und hörte bei "wohlmeinenden" Ratschlägen von völlig fremden Frauen noch lange nicht auf. Besonders präsent blieb mir ein Erlebnis beim Metzger. Ich war auf Einkaufstour zusammen mit dem Kind. Mein Sohn, damals zwei Jahre alt, fand Türen gerade völlig faszinierend. Er öffnete und schloss sie immer wieder, zufallende Türen hielt er bis zum letzten Moment mit seinen Fingern auf. Die Tür beim Metzger war keine Ausnahme. Während ich gelassen wartete, muss eine Frau in den Vierzigern sofort einschreiten: "Pass auf die Tür auf, du tust dir weh!" Ich wiegele ab: "Der kennt das schon. Kriegt er hin." Aber die Frau blieb unruhig. Mich völlig ignorierend sagt sie zum Kind: "Du musst da aufpassen!" "Das mit den Fingern kennt er schon. Kein Problem", sage ich wieder. Als mein Kind die Tür wieder mit den Fingern am Rahmen leicht zufallen lassen möchte, reißt die Frau die Tür wieder auf! Das Kind erschrickt und flüchtet hinter meine Beine. Ich blicke der Frau fest in die Augen und sage: "Sie trauen mir das einfach nicht zu, oder?" Sie wird puterrot, entschuldigt sich leise und flüchtet schnellstmöglich nach ihrem Kauf aus der Metzgerei. Jens S., 45

"Wie viel Gleichberechtigung brauchen wir noch?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Das folgende Dossier soll sie beantworten.

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