Süddeutsche Zeitung

Serienhelden:Schau genau

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Viele Erkenntnisse aus geliebten Fernsehserien entpuppen sich irgendwann als großer Quatsch. Eine kleine Rückschau.

Von Anne Backhaus

"Die Menschen wollen nicht, dass man sie anlügt!" - "Falsch, sie wollen nicht herausfinden, dass sie angelogen werden." Ted Mosby und Barney Stinson streiten sich in der US-Erfolgsserie "How I Met Your Mother" über die Moral von der Geschichte. Der eine ein Architekt auf der Suche nach der großen Liebe, der andere ein Schwerenöter mit Hang zu exzessiven Falschaussagen. Beide wahre Freunde, die selbst bei schmerzhafter Ehrlichkeit zueinanderhalten und sich über neun Staffeln gemeinsam mit ihrer Clique an Dates mit Verrückten, vermasselten Beziehungen oder Jahren der Einsamkeit abarbeiten. Das Beruhigende daran: Ted erzählt seinen Kindern von dieser Zeit, weil sie gerne wissen wollen, wie ihr Vater ihre Mutter kennengelernt hat. Man weiß also die ganze Zeit: Am Ende ist alles gut, und all das war für Ted nötig, um seine große Liebe zu treffen. Bei "Friends" finden ebenfalls alle in Staffel zehn nach ziemlich wilden Jahren zusammen. Ist das im wahren Leben wohl auch so? Es ist zumindest ein netter Gedanke. Einer, der einen weitergucken lässt. Serien vermitteln reihenweise Gesellschaftsbilder, die sich unterbewusst verankern. Dafür kämpfen sich die Fernsehhelden durch die klassischen 30 bis 45 Minuten und durchleben Konflikte, die sie oft mit Humor nehmen, auf jeden Fall aber bewältigen. Am Ende haben dann meistens alle etwas gelernt, und in der nächsten Folge geht es wieder von vorne los. Eine gute Fernsehserie kann so die Zuschauer in ihren Bann ziehen und zu einem Begleiter über viele Staffeln und Jahre werden. Manchmal fällt einem allerdings erst sehr viel später auf, welchen (Un)Sinn man sich an den unzähligen Abenden mit seinen TV-Freunden gemerkt hat. Der war zwar nicht unbedingt gelogen, aber eben auch nicht unbedingt wahr. Zeit für eine ehrliche Bilanz.

Trio mit 4 Fäusten

Ich habe in den Achtzigerjahren zwei Sachen gelernt: Dass man keine Karottenhosen tragen sollte, wenn man bei Mädchen ankommen will. Und dass man eine lächerliche Figur ist, wenn man sich für Computer interessiert. Nur wurde man damals noch nicht "Nerd" genannt, wenn man stundenlang vor seinem C64 mit Datasette saß, sondern eher "Computerfreak" oder auch einfach nur: "Trottel". Zum schlechten Image der Nerds trug auch die TV-Serie mit dem Titel "Trio mit 4 Fäusten" bei - und zwar gerade weil dort zum ersten Mal ein Nerd eine wichtige Rolle spielte. Murray Bozinskys Aufgabe war es vordergründig, mit seinem Computerwissen, seinen Freunden Cody und Nick bei der Suche nach Verbrechern zu helfen. In Wahrheit sollte er als linkischer Vorabend-Bill Gates für Lacher sorgen, während Cody und Nick mit Föhnwelle, Sonnyboy-Grinsen und Faustschlägen die Fälle klärten. Heute, 30 Jahre später, ist Bozinsky endlich rehabilitiert: Nerds wie Mark Zuckerberg und Edward Snowden sind Vorbilder für Millionen, während Cody und Nick wahrscheinlich immer noch in Karottenhosen Pina Colada trinken.

Beverly Hills 90210

In den Neunzigerjahren sah Amerika für mich aus wie die West Beverly High School. Auf den Schüler-Parkplätzen standen Autos im Gegenwert von Eigentumswohnungen, es schien grundsätzlich die Sonne, zwischen den Spinden im Schulgebäude wurde pausenlos geknutscht und nach dem Unterricht fuhr man an den Strand zum Surfen. Wer damals in einem charakterlich formbaren Alter war und dank einer Satellitenschüssel auf dem Dach bei RTL die Teenie-Serie "Beverly Hills 90210" sehen konnte, für den musste Kalifornien, also Amerika, zum pubertären Sehnsuchtsort werden. Als ich Ende der Neunzigerjahre meine Eltern davon überzeugt hatte, dass ein erfülltes Leben einer bayerischen Gymnasiastin nur möglich wäre, wenn sie ein paar Monate an einer Highschool verbringen durfte, landete ich blöderweise nicht in Kalifornien, sondern in Milton, Massachusetts. Dort lag im Januar Schnee und kein Meer vor der Tür; kein muskulöser Surfer blickte tief in meine Augen, sondern mein knapp 70-jähriger Gastvater; das Zimmer teilte ich mit einer wortlosen Südamerikanerin. Zum Glück lief im Fernsehen "Beverly Hills, 90210".

Kir Royal

Mein erster Termin als junger Gesellschaftsreporter fand in einer Tennishalle im Norden von München statt. Boris Becker stellte dort einen neuen Tennisschläger vor (kurz nach der Besenkammer-Affäre, Babs war sehr sauer). Es gab Weißbier und Brezn von einem Großbäcker, bei dem später die Mäuse auf dem Tisch tanzen sollten. Das hatte ich mir glamouröser vorgestellt! Mein Ideal war damals, Anfang des Jahrtausends, Baby Schimmerlos. Der ewige Kroetz in "Kir Royal". Ein cooler Hund. Rotzfrech, draufgängerisch und unbestechlich, er konnte sich das ja erlauben. Ach, Baby: Im weißen Smoking, mit dem Champagner-Glas in der Hand, und die Bussi-Prominenz bettelt ihn an, um einen Platz in seiner Kolumne zu finden. Bald fand ich heraus, dass die meisten Reporter keinen Porsche fahren und mit Prosecco zufrieden sind. Und dass man gar nicht hofiert werden muss, um Geschichten zu schreiben - das ist sogar eher hinderlich. Insofern war die Serie "Kir Royal" eine charmante Irreführung. Einen Fotografen namens Herbie habe ich dann übrigens auch kennengelernt. Der schießt im Nahkampf noch immer aus der Hüfte.

Knight Rider

In meinem Elternhaus wurde der Fernseher lange nur für eine Sendung regelmäßig angestellt: "Berg auf, Berg ab", eine halbe Stunde Berge und Menschen, die über Berge sprechen. Umso verblüffter waren wir Kinder, als ein sprechendes Auto in unser Fernseh-Leben trat. K.I.T.T. konnte über Wasser fahren, Menschen aus dem Cockpit ins Freie schleudern und kam an, wenn man ihm das in eine Uhr hinein sagte. Das schlaue Auto hatte noch so einen Typen bei sich, mit dicken Locken und eng anliegenden Lederklamotten, aber auf ihn hätten wir auch verzichten können. Bald stand fest: Autos sind großartig. Viel besser als Berge. Dann kam der Führerschein. Und damit die Ernüchterung. Das erste eigene Auto war undicht. Statt also über das Wasser zu fahren, sammelte sich der Regen unter den Sitzen. Was manchmal dazu führte, dass Menschen das Auto fluchtartig verließen, ganz ohne Schleudersitz. Immerhin konnte es sprechen: Wenn es mal wieder stehen blieb und man es gerade von der Straße geschoben hatte, sagte es höflich: "Bitte wenden". In diesem Moment hätte man gerne in die Uhr geschrien: Halt's Maul.

Sex and the City

Neulich war einen Moment lang alles wie früher. Von einem Sender zum nächsten gezappt, und plötzlich stöckelt Carrie Bradshaw über den Bildschirm. Ich war sofort wieder sechzehn. Sie noch immer bezaubernde dreißignochwas. Riesenrock, Riesenlocken, Riesenhandtasche, die drei Freundinnen im Gefolge, als wäre nichts passiert, seit wir uns vor einer Ewigkeit zuletzt gesehen haben. Seit sie mir ein falsches Versprechen gab. 94 Folgen, also 2820 Minuten lang, machte sie mir vor, dass alles glamourös wird, wenn man erst mal dreißig ist. Partyhopping in New Yorker Szenebars, ein Kleiderschrank zum Verlaufen, leichtfüßige Einkaufsbummel auf Riesenabsätzen und Freunde, die Dinge sagen wie: "Was schlimmer als Erblinden ist? Eine Stone-Washed-Jeans mit passender Jacke!" Ich also vor dem Fernseher, dreißig Jahre und ein paar Monate alt, nichts davon hat sich erfüllt. Zum Glück, irgendwie. Denn als Carrie den Mund aufmacht, sagt sie: "Ich stelle mir vor, dass Eier für Männer sind, was Abendtäschchen für Frauen sind. Nur ein kleines Beutelchen, aber ohne fühlen wir uns in der Öffentlichkeit nackt!" Zapp.

Gilmore Girls

Wenige Serien halten bis zum Ende ihre Herzlichkeit so hoch wie die Gilmore Girls. Was die Geschichte über ein Mutter-Tochter Gespann neben knallguten Dialogen und Menschenwärme auszeichnet, ist die detailgetreue Wiedergabe einer Ostküsten-Kleinstadt namens Stars Hollow. Obwohl es auf den Bürgerversammlung dort ständig Ärger gibt, feiern die Bewohner dauernd irgendein Kürbisfest, und der ganze Ort trifft sich nonstop zum Kaffeetrinken in Luke's Diner. Ich wollte das auch mal: Endlos Filterkaffee nachschenken lassen, dabei auf ein gemütliches Schulbus-Amerika mit Antiquitätengeschäften blicken und dazu im Wechsel Pancakes und Cheeseburger bestellen. Dieses Jahr fuhr ich endlich durch endlose Maisfelder eines WASP-Bundesstaates, es gab kleine Städte und nette Häuser mit Veranda. Aber die Tische in den Diners waren klebrig, man sah nur auf Parkplätze oder Kreuzungen, über die niemand zu Fuß ging. Der Kaffee war, wie Filterkaffee ist, wenn er lang auf der Warmhalteplatte steht, und Burger und Pancakes schmecken heute in Deutschland viel besser. Hat wohl einen Grund, warum Stars Hollow fiktiv ist.

Willkommen im Leben

In einer perfekten Welt müsste das karierte Flanellhemd nicht nur irre lange Ärmel haben, wie sie die damals 15-jährige Claire Danes alias Angela Chase in "Willkommen im Leben" trägt. In so einer Welt gäbe es Hemden, in denen man sich während der Pubertät komplett verstecken könnte. Angela wurde Mitte der Neunziger zum Vorbild für Tausende verunsicherte Teeniemädchen, und die Sendezeit, Sonntagnachmittags auf RTL2, zum festen Termin. Das lag daran, dass sie genauso verunsichert durchs Leben eierte wie ihre Zuschauerinnen - und trotzdem mit Jordan Catalano (Jared Leto) den coolsten Typen der Schule abbekam. Der konnte mit seinen eisblauen Augen durch Angelas Sichtschutz aus hennaroten Haaren hindurchblicken und erkannte, dass sie trotz ihrer Schüchternheit total cool war, auch wenn sie das nicht so richtig zeigen konnte. Der Haken war nur, dass im echten Leben eigentlich nie die verunsicherten Holzfällerhemdträgerinnen die coolen Typen abbekommen haben, sondern immer die lauten Mädchen aus der 9c. Einziger Trost: Auch bei Angela und Jordan hielt die Romanze nicht lange.

Ally McBeal

Es gibt viele Dinge, die man als Jugendliche aus der Serie über die neurotische Ally McBeal nicht lernen sollte. Psychische Zusammenbrüche werden nicht unbedingt mit den Egomanen im Büro zelebriert und später auf dem Unisex-Klo behoben. Erfolgreiche Frauen haben zuweilen andere Sorgen, als den perfekten Mann zu finden, und Männer wollen nicht nur Geld und Sex. Oder können nur sexy sein, wenn sie ausgiebig Barry White hören. Als die Anwaltsserie aus Boston Ende der Neunziger auf VOX lief, machten meine beste Freundin und ich jede Woche vor allem aber einen Fehler: Wir glaubten an die Haare. Sie mit nicht zu bändigenden Locken, ich mit viel zu glattem Bob: Wir sahen die Anwältinnen, Haare wie Göttinnen, und dachten, mit Ende zwanzig haben wir einen Job und dazu automatisch eine perfekte Frisur. Wir sahen nicht, dass Allys dünne Strähnen auf Volumen geföhnt, die Mähne der Kolleginnen in Wellen gelegt wurde. Heute im Büro ist der Fehlschluss offensichtlich, zum Glück aber nicht wesentlich. Ally würde sich jedoch ins Haar greifen und sagen: "Nicht verrückt werden, nicht verrückt werden, nicht verrückt werden."

Akte X

Mit "Akte X" verbinde ich zunächst einmal erste Glanzleistungen als Filmkritiker. In der Schülerzeitung Bazillus (Ausgabe 5/1998), ließ ich mich im zarten Alter von vierzehn Jahren zu dem Satz hinreißen, diese Serie würde uns noch "über Jahrzehnte viel Vergnügen und auch Gruseln bereiten". Meinem pubertierenden Geist, der in den sensationell unterbeschäftigten Neunzigerjahren viel Platz zu neurotischer Entfaltung hatte, fiel damals natürlich noch nicht auf, dass "Akte X" tatsächlich perfekt jenes merkwürdige Jahrzehnt beschreibt. "Die Wahrheit ist irgendwo dort draußen", lautete das Motto des FBI-Agenten Fox Mulder, und das ist ein Slogan, der tatsächlich nur in einer Dekade entstehen kann, die ansonsten lediglich das Bumm-Bumm-Eis und die After-Work-Party hervorgebracht hat. Die Rechnung dafür, dass man sich in dieser sogenannten Mystery-Serie knapp zehn Jahre lang Alien-Probleme auf die sorglose Erde zu importieren genötigt sah, kam natürlich im Folgejahrzehnt. In dem waren plötzlich keine extraterrestrischen Monster mehr nötig, um im wilden Existenzialismus schwelgen zu können.

Scrubs

Tiefgang kann man nicht kaufen, das gilt auch für Serien-Stars. Und welches Serien-Subjekt hatte in den Nullerjahren mehr Tiefe als John Dorian aus der Krankenhaus-Sitcom "Scrubs"? Ichbezogen und einfühlsam, albern und melancholisch, männlich und doch ziemlich weiblich: Herrlich zwiespältig spielte Zach Braff den jungen Assistenzarzt J. D., der sich in einem Irrenhaus voller Choleriker und Querulanten beweisen muss. Am verrücktesten war aber immer J. D. selbst; in seinen Tagträumen traf er tote Patienten im Himmel, rannte in Wrestler-Kleidung brüllend durch die Klinik und rappte auf dem Flur. J. D. war unsicher wie gefallsüchtig - und trotzdem cool. So cool, dass ich nach wenigen Folgen zu der Erstsemester-Weisheit gelangte, dass Narzissmus eine gute, da tiefgründige Sache sein muss - und alberne Tanzeinlagen einen beruflich weiterbringen. Heute weiß ich: Tanzen am Arbeitsplatz ist selten eine gute Idee. Und selbst wenn man Tiefgang mit dem richtigen Ethik-Berater heute kaufen kann: Auf der narzisstischen Selfie-Schaukel sitzen sie jetzt alle. Ein Markenzeichen ist echt was anderes, lieber J. D.

Fotos: Touchstone, Paramount (2), Universal Pictures, Euro Video(2), Warner, Twentieth Century Fox (2), Universum Film

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Quelle:
SZ vom 14.11.2015
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