In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: eine Polizistin, ein Stotterer, eine Kassiererin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt ein Busfahrer aus seinem Alltag. Der 42-Jährige befördert seit 18 Jahren Fahrgäste durch Oberbayern und Europa.
Busfahrer wollte ich werden, seit ich als Sechsjähriger das erste Mal in einem Reisebus mitfuhr. Heute fahre ich hauptsächlich Reisebusse, zwischendurch aber auch Linienfahrzeuge. Ich mache meine Arbeit ungeheuer gern und denke, dass man mir das anmerkt. Doch Fahrgäste können so einiges tun, um mir den Spaß daran zu nehmen - und dann wundern sie sich am Ende noch, warum es so viele knurrige Busfahrer gibt.
Oft reichen Kleinigkeiten, die mich als Fahrer freuen. Etwa wenn man mich beim Einsteigen grüßt und nicht alle morgens hinten einsteigen, um nur ja nicht mit dem Fahrer in Kontakt zu kommen. Freilich, es mag nicht Böswilligkeit, sondern nur Unsicherheit sein, aber ich fühle mich wohler, wenn ich wahrgenommen werde.
Kindern versuche ich, die Perspektive des Busfahrers zu vermitteln, indem ich mich zu Beginn einer Ausflugsfahrt vorstelle und wie nebenbei erwähne, dass viele sicher nicht wissen, dass in der Regel der Fahrer hinterher den Bus sauber machen muss, und es deshalb schön wäre, wenn ... und so weiter. Ich muss sagen, mein Bus kommt mir in der Regel nicht so dreckig vor wie bei manchem Kollegen, der in brummigem Ton von sich gibt: "Die Aschenbecher bleiben leer, verstanden?!"
Kaffeebecher auf dem Sitz, halbvolle Flaschen im Netz
Bei vielen Kollegen sind Geschäftsleute die unbeliebtesten Fahrgäste, die meisten scheinen von der Sache mit "ich hinterlasse meinen Platz so wie ich ihn vorgefunden habe" nichts gehört zu haben. Da werden Rückenlehnen nicht wieder gerade gestellt (für sie ein Handgriff - für den Busfahrer zwanzig), Zeitungen und halbvolle Coffee-to-go-Becher in die Netze gequetscht oder gar auf dem Sitz stehen gelassen. Wenn ich nicht unmittelbar nach dem Aussteigen einmal durch den Bus gehen würde, hätte ich nach der nächsten Kurve eine völlig unnötige Sauerei zu beseitigen.
Es heißt oft, Busfahrer seien faul, denn sie fahren ja nur spazieren - aber mein Job ist nicht beendet, wenn die Fahrgäste aussteigen, sondern erst, wenn der Bus wieder sauber und voll getankt in der Garage steht. Es ist ja in Ordnung, wenn mir Pfandflaschen zurückgelassen werden - besser als gar kein Trinkgeld -, aber dann leert sie auch bitte aus. Ganz abgesehen von der Verschwendung muss ich das sonst vor der Entsorgung im Pfandautomaten übernehmen, was meinen Feierabend weiter nach hinten schiebt.

"Wie ich euch sehe": Alltag eines Pfarrers:"Die Amtskirche hat ein gestörtes Verhältnis zu Sex"
Wie er trotz des Zölibates eine Familie fürs Leben fand und warum er immer wieder von Frauen oder Männern angemacht wird: Ein Pfarrer erzählt aus seinem Alltag.
Besonders zur Hochsaison häufen sich lange Arbeitstage, die bis zu 15 Stunden dauern können. Natürlich hat man oft tagsüber Zeit zum Entspannen, doch gerade das Entspannen ist an manchen heißen Tagen gar nicht so einfach. Ich sage immer: Für das, was man effektiv arbeitet, ist Reisebusfahrer ein recht gut bezahlter Job - doch für die Zeit, die man insgesamt unterwegs ist, eher bescheiden.
Bitte überholen lassen
Ich weiß, dass sich viele Leute wiederum über uns ärgern, zum Beispiel auf der Autobahn. Sicher haben Sie sich schon oft darüber aufgeregt, wenn Bus- oder Lkw-Fahrer nicht blinken, bevor sie nach links auf die Mittelspur ziehen. Aber ist Ihnen auch bewusst, wie oft eine gerade noch vorhandene Lücke dann schnell noch mit Vollgas zugemacht wird, sobald man den Blinker setzt? Man kann die Spur aber nur wechseln, bevor man den Schwung verloren hat. Wer jedoch den Bus ausbremst, hält den Verkehr nur noch mehr auf. In England oder Dänemark ist das übrigens anders, da gehen die Autofahrer sofort vom Gas, um den Bus reinzulassen.
Ein vergleichbares Problem gibt es übrigens auch in der Stadt. Kennen Sie die Warnblink-Regel? Das war diese Sache mit der Schrittgeschwindigkeit. Die gilt für Sie, wenn ich an einer Haltestelle den Warnblinker einschalte und die Türen öffne. Wenn der rechte Blinker dann ausgeht und nur noch der linke leuchtet, würde ich auch gerne irgendwann weiterfahren. Wäre also nett, wenn Sie mich reinlassen.
Hin und wieder fahre ich auch Busse im öffentlichen Stadtverkehr. Durch die ständig wechselnden Fahrgäste ist Linienbusfahren viel anonymer als Reisebus, was dazu führt, dass viel leichter gemotzt wird, aber selten gelobt.
Was viele Leute besonders ärgert, ist das Phänomen, dass ihnen der Bus angeblich jedes Mal vor der Nase wegfährt. Die Gründe dafür erkläre ich Ihnen gern ausführlich - denn da gibt es verschiedene:
1. Der Fahrer hat Sie nicht gesehen. Beim Türenschließen blickt er in den rechten Außenspiegel, um niemanden einzuklemmen. Nach dem Türenschließen aber schaut der Busfahrer in seinen linken Außenspiegel, um sich in den fließenden Verkehr einzuordnen. Das heißt, er kann Sie nicht mehr wahrnehmen.
2. Sie können den Bus schon fast erreicht haben, aber sich in einem toten Winkel befinden, so dass der Fahrer Sie nicht sehen kann.
3. Er hat sie gesehen, konnte aber nicht erkennen, dass Sie mitfahren wollen, weil Sie eher gemächlich spaziert sind - oder nicht schneller gehen können. Heben Sie doch die Hand, um ihm Ihren Wunsch zu signalisieren (nicht nur kurz, weil er vielleicht in dieser Sekunde woanders hinschaut). Übrigens freut sich der Fahrer, wenn man sich beim Einsteigen kurz bedankt oder ihm von hinten kurz zuwinkt. Verpflichtet ist er nämlich nicht zum Warten, schließlich haben die anderen Fahrgäste auch ein berechtigtes Interesse, pünktlich weitertransportiert zu werden.

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4. Vor allem in Großstädten gibt es an den Busbahnhöfen und -haltestellen spezielle Ampeln, die dem Busfahrer ermöglichen, ohne umständliches Einfädeln von der Haltestelle abzufahren. Dafür hat er aber nur wenige Sekunden, ansonsten muss er eine weitere lange Zeitspanne warten. Das heißt, aus nochmaligem Türöffnen kann schnell eine komplette Minute Verspätung resultieren.
5. Der Bus hat bereits Verspätung. Wenn ich als Fahrer die Haltestelle schon mit mehr als drei Minuten Verspätung erreiche, fehlt mir zugegebenermaßen das Verständnis, warum ich auf jemanden warten sollte, der offensichtlich ebenfalls zu spät dran ist. Wäre ich pünktlich gewesen, hätte er den Bus nicht einmal mehr gesehen - womöglich kommt auch gleich der nächste um die Kurve. In München beispielweise fährt zu den Stoßzeiten alle fünf Minuten ein Bus.
Manchmal auch eine Frage des Charakters
Natürlich mag in manchen Fällen auch der Charakter oder die Laune des Fahrers den Ausschlag geben. Vielleicht hat er sich kurz vorher über jemand anderen geärgert. Vielleicht hat er durch den letzten Fahrgast, auf den er gewartet hat, wegen einer ungünstigen Ampelschaltung eine komplette Minute verloren - und jener Fahrgast hat sich noch nicht einmal bedankt.
Als Linienbusfahrer ist es nahezu ausgeschlossen, dass man durchwegs alles richtig und gut macht. Man kann sich noch so bemühen, oft bringen es die Umstände mit sich, dass man sich verspätet oder etwas anderes nicht ideal läuft.
Ich bin überzeugt, dass viele Fahrgäste, aber auch Busfahrer, mehr Verständnis füreinander hätten, wenn sie mal für einen Tag ihre Positionen wechseln würden. Das ist ja eigentlich immer und überall so: Das Zusammenleben mit anderen wäre oft viel angenehmer, wenn wir uns vorstellen, wie es für uns wäre, an ihrer Stelle zu sein.
Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.