Munti* ist in der syrischen Stadt Homs aufgewachsen. In einem wohlhabenden Stadtviertel, wie er am Anfang unseres Gesprächs betont. Nach dem Schulabschluss zog er ins knapp 80 Kilometer entfernte Kalamoon, studierte dort Nachrichten- und Elektrotechnik. Seit einigen Monaten wohnt der 24-Jährige als anerkannter Flüchtling in einer WG in Berlin, lernt Deutsch und will sich bald für einen Master einschreiben.
"In Syrien sind Eltern sehr streng, wenn es um die Ausbildung ihrer Kinder geht. Auf jeden Fall strenger als hier. Das liegt auch daran, dass wir kein Sozialsystem haben, das einen auffängt, wenn man keine Arbeit findet. 'Willst du als Bettler enden? Oder als Müllmann?' Solche Fragen habe ich von meinem Vater oft gehört, wenn er wieder dachte, ich sei zu faul.
Wenn man fünf ist, kommt man in Syrien in eine Art Vorschule. Ein Jahr später ist Einschulung. Am Ende der zwölften Klasse stehen die Abschlussprüfungen an, wie das Abitur, aber wir nennen es Baccalauréat wie die Franzosen. Die sind richtig schlimm!
Im Jahr vor den Prüfungen wird die Wohnung zum Bootcamp. Meine Eltern haben sämtliche Fernseher abmontiert, ich hatte keinen Computer, kein Internet. Das Einzige, was ich zur Ablenkung benutzen durfte, war mein MP3-Player. Für ein Jahr, das muss man sich mal vorstellen! Es wird einfach erwartet, dass du deine Nase in die Bücher steckst und lernst und lernst und lernst. Dafür bekommt man in dieser Zeit wirklich den Arsch hinterhergetragen, wird mit Essen und Tee versorgt und alle sind leise, um einen nur ja nicht zu stören. Es ist, als würde man sich für das Präsidentenamt bewerben.
Am Ende kommen die Tests. Man sagt, es seien die härtesten Abschlussprüfungen in der arabischen Welt. Und ja, sie sind wirklich verdammt hart. Etwa die Hälfte der Leute wiederholt das Abschlussjahr, um bessere Ergebnisse zu bekommen. Wenn du 98 Prozent der Punkte erreichst, kannst du zum Beispiel Arzt werden. So gut war ich bei Weitem nicht. Ich wollte aber nicht noch ein Jahr in der Schule absitzen und habe mich an einer privaten Uni beworben. Man muss dafür bezahlen. Dass meine Eltern Geld haben, hat mir glücklicherweise ermöglicht, genau das zu studieren, was ich wollte: Nachrichten- und Elektrotechnik - und zwar auf Englisch. Sobald man irgendwo eingeschrieben ist, lassen die Eltern dann die Zügel locker.
Die Studienzeit ist die schönste Zeit des Lebens
Zu Beginn des Studiums hat man entweder schon einen festen Freundeskreis, oder man sieht zu, dass man schnell einen findet. Freundschaft heißt in Syrien, dass man wirklich alles zusammen macht. Man besucht die gleichen Kurse, man geht zusammen Abendessen, guckt Filme - bei jemandem zu Hause, ins Kino gehen ist bei uns nämlich ziemlich out - und alle, wirklich alle, gucken spanischen Fußball und geraten sich darüber in die Haare. Die syrische Gesellschaft ist gespalten zwischen FC Barcelona und Real Madrid. Ich glaube, ich bin der Einzige, der sich nicht dafür interessiert. Syrische Jungs reden außerdem die ganze Zeit über Mädchen. Welche Frau ist gut, wer geht mit wem aus, das ist ein Riesenthema.
In Syrien sagt man, die Studienzeit sei die schönste Zeit des Lebens, und man wird sich später danach zurücksehnen. Das stimmt. In jeder Hinsicht. Es sind die besten Erinnerungen meines Lebens! Ich habe 2009 mit dem Studium begonnen und es hat mir extrem viel Spaß gemacht, man könnte fast sagen, ich war ein Streber.
Ein paar Assad-Anhänger hatten immer ihre Waffen dabei
Mit dem Beginn der Revolution hat sich aber alles geändert. Wie soll man sich konzentrieren, wenn neben dem Campus die Bomben einschlagen? Wie soll man lernen, wenn man gerade erfahren hat, dass ein Cousin getötet wurde?
Die Proteste gegen die Regierung haben an den Universitäten begonnen. Als es an unserer Uni die ersten Demos gab, kamen sofort Regierungstruppen angefahren. Die Campus-Sicherheitsleute haben die Tore geschlossen, um die Studenten vor den Truppen zu schützen. Da haben die Soldaten ihre Maschinengewehre ausgepackt und auf die Campus-Security gezielt. Die Tore waren schnell wieder offen und viele meiner Kommilitonen wurden mitgenommen. Es war schrecklich.
An der Uni hatten ein paar Assad-Anhänger irgendwann immer ihre Waffen dabei. Im Seminar. Man konnte gegen diese Leute nichts sagen, wenn man nicht am nächsten Morgen vom Geheimdienst abgeholt werden wollte.