Serie: Körperbilder (7):Der Bauch entscheidet

Junge, schlanke, straffe Körper begegnen uns überall auf Plakaten und im Fernsehen - und das, obwohl die Wirkung von erotischer Werbung bei Fachleuten umstritten ist.

Christian Mayer

Es war 1993, als das Textilunternehmen Hennes & Mauritz eine Stripperin aus Texas weltweit berühmt machte. Anna Nicole Smith, die nicht ganz zufällig den Kurvenreichtum und das blonde Haar von Marilyn Monroe besaß, räkelte sich im Dessous; sie reckte ihre hübsch drapierten Beine in die Höhe, ihr knallrot geschminkter Mund passte perfekt zur Farbe des Firmenlogos.

Der Bauch entscheidet, Körperbilder, Werbung; Foto: AP,  Dove/obs Lever Fabergé Deutschland GmbH / Montage: sueddeutsche.de

Solche Bilder können eine Marke emotional aufladen - aber ob sich das Produkt besser verkauft, ist fraglich.

(Foto: Foto: AP, Dove/obs Lever Fabergé Deutschland GmbH / Montage: sueddeutsche.de)

Die Verführungsmasche war schon bald ein durchschlagender Erfolg. Noch heute erzählt man sich vor allem in mediterranen Ländern, wie sogar die Taxifahrer ungebremst auf die Vordermänner krachten, weil ihr Blick an der Bushaltestelle haften blieb, wo Anna Nicole Smith hing. Das H&M-Plakat zählt bis heute zu den meistgeklauten in der Geschichte der Werbung.

Sex sells? Am Beispiel von Anna Nicole Smith kann man darlegen, wie problematisch diese Lehrbuchweisheit ist. Sicher, die schwedische Billigmarke verbesserte mit der spektakulären Plakataktion ihren Bekanntheitsgrad. Aber war die Marilyn-Monroe-Kopie nicht ein wenig zu drall, zu billig und zu frivol, um ihren Zweck zu erfüllen? Schließlich sollten sich ja junge Frauen für die Wäsche begeistern und nicht die Männer, die sich von Oberflächenreizen ablenken lassen.

Die Wirkung erotischer Werbung ist mittlerweile bei Fachleuten umstritten, auch wenn man im Alltag schnell einen ganz anderen Eindruck bekommt. Die jungen, schlanken, straffen Körper begegnen uns überall im öffentlichen Raum und in den Medien, sie stehen für Haarwaschmittel, Bäckereiketten, Apotheken und inzwischen sogar für brave Raiffeisenbanken.

Die Mode- und Kosmetikindustrie beschäftigt ohnehin ein ganzes Heer von Körperarbeitern, die meist bei frostigen Temperaturen zum Fotoshooting antreten müssen, damit die Brustwarzen besser zur Geltung kommen. Wenn es hinterher mal ein kleines Hautproblem gibt oder der Waschbrettbauch nicht genügend Struktur aufweist, wird am Computer nachgeholfen. Die digitale Bildbearbeitung kennt keine Grenzen.

Der Werbepsychologe Klaus Moser, der an der Universität Erlangen forscht, ist skeptisch, was die Werbekraft der immergleichen Bilder betrifft. Moser hat festgestellt, dass sich Konsumenten ein paar Tage später vielleicht noch an eine bestimmte Kampagne erinnern, wenn sie mit Sexappeal angelockt wurden, die Marke aber längst vergessen haben. Der erste Reiz überlagert die Botschaft - und dann weiß keiner mehr, was die schöne Nackte eigentlich für einen Zweck hatte.

"Mit erotischen Bildern kann man eine Marke emotional aufladen", sagt Moser. Bei einem Test mit Probanden fanden Forscher heraus, dass eine fiktive Automarke ein ganz neues Image bekam, wenn eine attraktive Frau im Mittelpunkt der Werbung stand - das Auto wurde von den Testpersonen als schneller und teurer, aber auch als unsicherer bewertet.

Das spricht nicht unbedingt für eine Kaufentscheidung. Meist aber funktioniert Werbung dann, wenn sie eine Vorbildfunktion erfüllt. Die Logik der Industrie sehe nun mal vor, dass schöne Frauenkörper vor allem ein weibliches Publikum ansprechen sollen, gestählte Männerkörper sind dagegen für männliche Betrachter da, die dann das passende Bier dazu kaufen sollen. "Dass Werbung Männer und Frauen erotisch aufreizen soll, ist eher selten", sagt der Psychologe.

Am Beispiel des weltweit agierenden Unilever-Konzerns lässt sich zeigen, dass es gar keinen einheitlichen Idealkörper mehr gibt, sondern eine Fülle von Rollenbildern für jede Zielgruppe und Altersstufe. Das Deodorant Axe, das neben Fertigsuppen, Feuchtigkeitscremes und Reinigungsmitteln zu den umsatzstärksten Produkten von Unilever zählt, hat beispielsweise eine atemberaubende Werbekampagne verordnet bekommen.

In der Fernsehwerbung und in Kinospots erlebt man schwitzende junge Männer, die sich mit dem richtigen Deo in unbändige Steinzeit-Casanovas verwandeln - kaum ist der Angstschweiß beseitigt, springen die Bikini-Models aus allen Büschen, und der duftende Kerl kann sich vor Angeboten kaum mehr retten.

Auf der nächsten Seite: Warum sich schön längst keiner mehr aufregt, wenn zuviel Haut gezeigt wird.

Freudig hüpfende Frauen in Unterwäsche

Auf ältere Betrachter wirkt das Männerbild von Axe eher erheiternd, doch bei einer bestimmten Klientel erfüllt es alle Erwartungen. "Diese Werbung richtet sich an die Kernzielgruppe der 16- bis 18-Jährigen - das sind pubertierende Jungs, die ein Einstiegs-Deo suchen", sagt Katja Praefke, Pressesprecherin von Unilever Deutschland.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass derselbe Konzern mit einer als beispielhaft geltenden Kampagne den Schlankheitswahn der Medien relativieren wollte. Die Pflegeprodukte der Marke Dove werden seit 2004 nicht mehr von gecasteten Profis vorgestellt, sondern von Frauen, die auf den ersten Blick ziemlich normal wirken.

Die haben ein paar Pfunde mehr auf den Rippen, als die Modelagentur erlaubt; sie wirken allein deshalb sympathisch, weil sie den Manierismus der Supermodels durch lässige Posen ersetzen, obwohl auch die Bilder freudig hüpfender Frauen in Unterwäsche das Ergebnis einer generalstabsmäßig geplanten Inszenierung sind.

Katja Praefke gibt sich jedenfalls überzeugt davon, dass die Kampagne auch nach fünf Jahren wirkt. Sie verweist auf extensive Marktforschung: "Viele Frauen sehnen sich nach dem Erreichbaren, sie wollen nicht ständig irgendein Ideal vor Augen haben, das sie ohnehin frustrieren wird."

Dass eine Firma mit dem positiven Selbstbild von jungen Frauen wirbt, hat gewiss einen positiven Effekt für das Markenimage. Große Umsatzsteigerungen sind auf diese Weise aber nicht zu erwarten, weil Werbung genauso von Illusionen lebt wie die Filmbranche.

Karen Heumann, Vorstandsmitglied der Hamburger Agentur Jung von Matt, hat Erfahrung mit Auftraggebern, die lieber auf bewährte Maße und Normen zurückgreifen. "Schönheit ist klar umrissen, man möchte das als Werber nicht akzeptieren, aber es ist so", sagt die Markenexpertin. "Ich habe oft versucht, bei einem Produkt mal was anderes durchzusetzen als eine große, ebenmäßige Frau mit glänzendem Haar, schmalen Hüften und glattem Gesicht - es war schwierig, die meisten Beauty-Firmen wollen das nicht."

Die Frau, die sich ein teures Produkt kauft, erwirbt damit "das Versprechen einer relativ großen Makellosigkeit" - zumindest will sie die Illusion haben, ihr Aussehen verbessern zu können. Die Botschaft kann subtil vermittelt werden: In der aktuellen Lätta-Werbung, die sich an figurbewusste Single-Frauen richtet, reitet die klassische Blondine auf einem Wal zum Ufer, wo bereits ein männlicher Gefährte als Belohnung für so viel probiotisches Bewusstsein wartet. Leider muss man davon ausgehen, dass dieser Werbefilm keine mythologische Anspielung ist, sondern ein sehnlicher Wunsch der Mediaplaner und Marketingexperten.

Wer regt sich noch auf?

Oft wirkt der Versuch, mit etwas Schaum, südlicher Sonne und nackter Haut den Umsatz zu steigern, ziemlich bemüht. Aufregen will sich ohnehin keiner mehr über freizügige Bilder. Sogar der Deutsche Werberat, der bei sexistischen Darstellungen eingreifen soll, winkt bei Beschwerden meist müde ab.

Der Psychologe Klaus Moser ist sicher, dass es noch vor zehn, fünfzehn Jahren mehr provokante Kampagnen gab. Damals entrüsteten sich konservative Amerikaner, als 18-jährige Models auf riesigen Plakatwänden für Diesel, Benetton oder Calvin Klein ihre ausgemergelten Körper offenbarten. Heute gewinnt eine Marke wie American Apparel Werbepreise, obwohl sie den Lolita-Effekt auf die Spitze treibt. Die Bekleidungsfirma aus Los Angeles macht PR-Arbeit von 16-Jährigen für 16-Jährige. Die Fotos könnten direkt aus einem selbstgedrehten YouTube-Video stammen. Werbliche Nacktheit alter Schule sieht anders aus.

Inzwischen entblättern sich ja auch Hollywood-Größen, wenn es um die richtige Sache geht. Eva Mendes stellte sich mit blankem Hintern in den Dienst der Tierschutzorganisation Peta, die mit diesem schönen Bild gegen Pelze warb. Die deutsche Prominenz will da nicht zurückstehen. Die Unterwäschefirma Mey wirbt gerade mit bekannten Gesichtern, die ihre weniger bekannten Körper zur Verfügung stellen.

Und so sieht man den haarigen Oberkörper von Regisseur Sönke Wortmann ("Das Wunder von Bern"), der es sich auf einem schwarzen Ledersofa bequem macht. Schauspielerin Jasmin Tabatabai wirkt etwas zierlicher im Dessous, während die Fernsehköchin Sarah Wiener, die vor nichts zurückschreckt, wie ein Raubtier faucht.

Man sieht: Die Models müssen sich bald warm anziehen. Anna Nicole Smith hätte heute wohl keine Chance mehr.

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