Serie: Körperbilder (2):Essen ist die beste Diät

Die Bikini-Figur heißt heute "Gesundheitsfigur". Obwohl Hungerkuren nichts bringen, boomt das Geschäft mit den Dicken wie nie zuvor. Warum?

Ann-Kathrin Eckardt

Wie nimmt man ab? Die Antwort des britischen Mediziners Malcolm Flemyng auf diese diffizile Frage war so einfach wie genial: Täglich etwas Seife in Wasser auflösen, trinken - schon wird das Fett aus dem Körper geschwemmt. Einziger Nachteil der Seifendiät: der Geschmack. Flemyng empfahl deshalb: "Am besten eignet sich Seife aus Alicante. Sie ist nicht gar so widerlich wie herkömmliche Seife", schrieb er im Jahr 1760 im London Magazine.

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Renée Zellweger alias Bridget Jones wunderte sich in "Schokolade zum Frühstück" (2001), dass sie trotz eigenwillige Essgewohnheiten nicht abnahm.

(Foto: Foto: ddpp)

Schon seit Jahrhunderten drückt die Last des Übergewichts auf das menschliche Gemüt. Genauso lange sind Mediziner, Wissenschaftler und inzwischen auch Fitnessgurus, Promi-Köche und Hollywood-Stars auf der Suche nach der Abenehm-Zauberformel. Die Diskussion über die beste Diätform gleicht längst einem Glaubenskrieg, in dem Fett, Kohlenhydrate und Proteine abwechselnd die Rolle des Bösen übernehmen.

Doch trotz aller Bemühungen werden die Deutschen nicht schlanker: Die zweite Nationale Verzehrstudie des Bundesforschungsinstituts für Ernährung hat 2006 gezeigt: zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig, haben also einen Body-Mass-Index von über 25. Vor allem die Jugend wird immer runder: Bereits jeder siebte Jugendliche kämpft gegen Übergewicht.

Die Diät ist ein Denkfehler

Wie also eine Gesellschaft retten, die bald aus allen Nähten platzt, wenn weder Seife noch Kohlsuppe helfen? Die Mehrzahl der Wissenschaftler, so scheint es, hat die endlose Suche nach der Zauberformel inzwischen aufgegeben. "Diäten sind unter Fachleuten eindeutig out", sagt etwa Professor Hans Hauner vom Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München.

"Anfang der siebziger Jahre haben Scheichs ganze Stationen gefüllt, um ihren Bauch wegzuhungern", erinnert sich Hauner. Eiweißdrink morgens, Eiweißdrink mittags, Eiweißdrink abends - durchaus mit Erfolg, "aber der Bauch war leider schnell wieder da". Heute sagt Hauner: "Die Diät an sich ist ein Denkfehler." Den Jojo-Effekt sieht er als Ergebnis einer einfachen mathematischen Gleichung: "Die meisten, die ihr Wunschgewicht erreicht haben, essen wieder wie vorher, aber pro zehn verlorenen Kilos geht auch der Kalorienbedarf um 300 bis 500 Kalorien am Tag zurück."

Haben wir also jahrelang umsonst gehungert? Marlies Klosterfelde-Wentzel hat bereits Millionen Frauen beim Abnehmen begleitet. Mehr als 6000 Diät-Rezepte hat die inzwischen 63-jährige Journalistin für die Brigitte kreiert. 27 Jahre lang hat sie in ihrem Ferienhaus in Frankreich jeden Sommer die Weihnachtsabspeckkur neu erfunden, berechnet, ausprobiert und dabei stets darauf geachtet, dass am Ende der sechs Wochen kein halber Joghurtbecher übrigblieb. Doch selbst die Mutter aller Diäten sagt: "Die beste Diät, ist keine Diät." Aber sie weiß auch: "Hefte mit Abnehm-Titeln verkaufen sich am besten."

Das ist - man ahnt es - nicht nur bei Zeitschriften so. Das Geschäft mit dem Leid der Dicken ist so lukrativ wie nie. Kaum ein Promi hungert heute, ohne seine Abspeckversuche zu Papier zu bringen. Bücher wie "Moppel-ich" oder "Lafer nimmt ab" sowie Tausende knallbunte Diätratgeber stürmen die Bestsellerlisten. Für Horden von Medizinern, Apothekern, Ökotrophologen, Wellnesskliniken, Diäterfinder und Geschäftsmänner sind die Dicken leichte Beute.

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Nicht weniger, sondern anders essen

Nicht weniger essen, lieber anders

Zurück bleiben verunsicherte Abnehmwillige, die zwischen New York-, Kohlsuppen-, Burger-, Turbo-, Beach-, Dessert-, Blutgruppen-, Augenfarben-, Ideal-, Kreta-, Mittelmeer- und Null-Diät hin und her wechseln. Zwei Drittel der Deutschen - 72 Prozent der Frauen und 59 Prozent der Männer - haben in ihrem bisherigen Leben schon mindestens einmal Diät gehalten oder es zumindest versucht. Jeder Dritte hat sogar schon bis zu fünf Abnehmkuren hinter sich.

"Beleibte sind Gelddruckmaschinen auf zwei Beinen", sagt eine, die es wissen muss. Seit ihrer Kindheit ist Margit Schönberger Kandidatin für eines der umsatzstärksten Geschäftsfelder der westlichen Welt: die Diätindustrie. Genau 30 Abspeckversuche hat die 61-jährige Journalistin und Autorin bereits hinter sich. Abgenommen hat sie dadurch nicht, im Gegenteil. Nach der letzten - wieder erfolglosen, dafür die Luft verpestenden - Krautsuppen-Diät beschloss sie: Es reicht.

Es folgte, was auf solch eine Odysee folgen muss: ein Buch. In ihrem "Diät-Hasser-Buch" konstatiert die vollschlanke Autorin: "Die Millionen Tonnen Fett, die wir uns zusammen, animiert von Diätpäpsten, falschen Vorbildern und Schlankheitsfanatikern, Jahr für Jahr herunterquälen und dann wieder auf die Rippen laden lassen, wären schon längst mindestens halbiert, wenn wir uns nicht wie leichtgläubige Schafe vor den finanziellen Karren von lachenden Dritten hätten spannen lassen."

Peter Brabeck-Letmathe gehört zu denen, die Grund zum Lachen haben. Fitness-Müsli und Darmflora-Joghurt verkaufen sich bestens. Bereits im Jahr 2000 hat der Nestlé-Chef verkündet, das Schweizer Unternehmen in einen Gesundheitskonzern - genauer gesagt in eine "Nutrition, Health- and Wellness-Company" - umzuwandeln. Statt auf Schokolade und Tütensuppen will sich Nestlé künftig auf Diätprodukte und "Lebensmittel mit gesundheitsfördernden Zusatzstoffen" konzentrieren.

Auch die Fleischindustrie profitiert vom Abnehmwahn."Wenn die Frauen wieder 125 Gramm Putenbrust kaufen, weiß mein Geflügelhändler sofort: ,Ah, jetzt ist wieder Brigitte-Diät", sagt Autorin Klosterfelde-Wentzel. Das Ganze funktioniert natürlich auch in großem Stil: Generös hat die US-Fleischindustrie etwa in den siebziger Jahren Projekte wie die Atkins-Diät mit Forschungsgeldern unterstützt. Der Erfolg der fleischreichen und kohlehydratarmen Diät war eher mäßig, trotzdem feierte die Atkins-Diät Ende der neunziger Jahre ihr Comeback, der Fleischindustrie sei dank.

"Gesundheitsfigur" löst "Bikini-Figur" ab

Sterben die Diäten also aus? "Der Diäten-Wahn der letzten Jahrzehnte wird nicht abnehmen, aber unter neuen Aspekten auftreten." Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Body & Health" des Deutschen Zukunftsinsituts. Schon jetzt seien mit Büchern wie "Die Keine-Diät-Diät" die Weichen für die ganzheitliche gesunde Diät gestellt. "Abnehmen dient in Zukunft weniger dem Ziel, einem Ideal zu entsprechen, sondern um der Gesundheit willen."

Die "Bikini-Figur" wird also dem Zeitgeist angepasst und durch die "Gesundheits-Figur" ersetzt, die 4-Kilo-in-4-Tagen-Diät weicht einer dem individuellen Stoffwechsel angepassten Ernährung. "Die Menschen sollen nicht weniger essen, sondern anders", sagt Professor Hauner. Hungern müsse bei ihm niemand mehr. Vor allem gehe es darum, die Energiedichte der Nahrung dauerhaft zu senken. "Unser Magen zählt keine Kalorien. Bei gleicher Sättigung kann er 500 bis 1000 Kalorien einsparen."

Natürlich geht es bei der Gesundheits-Figur auch um Bewegung. Die deutschen Fitness-Studios durften sich bereits im vergangenen Jahr über 640000 zusätzliche Mitglieder freuen. Und es kommt noch besser: Laut einer Prognose der Internationalen Leitmesse für Fitness, Wellness & Gesundheit wird sich bis 2020 allein in Deutschland der Gesundheitsmarkt von 239 Milliarden Euro auf über 450 Milliarden Euro nahezu verdoppeln - ein wahrlich fettes Geschäft.

Angesichts der penetranten Werbung für fettarmen Joghurt und kalorienreduzierte Frühstücksflocken fällt es den Normalgewichtigen allerdings zunehmend schwer, sich ohne schlechtes Gewissen normal zu ernähren. Dabei ist Essen die beste Diät. Jahrzehntelang wurden Zucker, Fleisch, Alkohol oder Milchprodukte verteufelt, inzwischen haben die Mediziner vieles revidiert. Statt Verzicht empfehlen sie, keine Mahlzeit auszulassen. Sattessen hilft gegen Kopfweh, Nervosität und übrigens auch gegen Hunger.

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