Dag Hammarskjöld:Der mysteriöse Tod eines UN-Generalsekretärs

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1961 starben bei einem Flugzeugabsturz in Afrika der schwedische Politiker Dag Hammarskjöld und 15 weitere Menschen. Indizien deuten auf einen Abschuss hin - und einen Europäer als Täter.

Von Volker Bernhard

Der britische Historiker Eric Hobsbawm beschrieb das "kurze 20. Jahrhundert" - vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Sowjetunion - einst als "Zeitalter der Extreme".

Das zeigt sich auch daran, dass um Vermittlung und Ausgleich bemühte Figuren der Zeit oft einem Attentat zum Opfer fielen: etwa Mahatma Gandhi, die Kennedys, Martin Luther King. Reiht sich der Fall des Dag Hammarskjöld da ein?

1953 wird der Schwede zum wohl einflussreichsten UN-Generalsekretär und dafür posthum mit dem Friedensnobelpreis geehrt: Er erweist sich als geschickter Konfliktbewältiger.

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Im Zuge der Kongokrise 1960 kritisiert er die Ressourcenausbeutung in Afrika und ruft im Rahmen der Operation der Vereinten Nationen im Kongo (ONUC) die UN-Friedenstruppen (Blauhelme) ins Leben. Jene Operation, die Hammarskjöld im Alter von 56 Jahren ein ebenso tragisches wie rätselhaftes Ende bereitete.

Am 30. Juni 1960 erhält der Kongo die Unabhängigkeit vom brutalen Regime der belgischen Kolonialisten, doch sofort besetzen belgische Truppen Teile des Landes, um eine Verstaatlichung rohstoffreicher Bergwerke zu verhindern.

Auch Großbritannien fürchtet um Beteiligungen an Minengesellschaften. Für die USA ist Zentralafrika als Einflusszone im Kalten Krieg und wegen der großen Uranvorkommen interessant.

Hammarskjöld bittet um Luftunterstützung, doch die USA und Großbritannien lehnen ab

Einzelne Provinzen verweigern sich der Zentralregierung, der Sezessionist Moïse Tschombé ruft nach elf Tagen die Unabhängigkeit der ressourcenreichen Provinz Katanga aus. Kongos Demokratie ist kurz nach den ersten freien Wahlen schon zersetzt, das Land bevölkert von Söldnern, Geheimdienstlern und vom westlichen Kapital korrumpierten Politikern. Die ONUC-Mission soll Einigkeit und Frieden wiederherstellen und wird doch in harte Gefechte verwickelt.

In dieser explosiven Gemengelage befindet sich Dag Hammarskjöld am 17. September 1961 als Teil einer 16-köpfigen Delegation auf dem Weg nach Nordrhodesien (heute Sambia) zu Friedensgesprächen mit Tschombé. Sein Flugzeug Albertina startet um 16. 51 Uhr. Man vermeidet Funkverkehr und den Luftraum über Katanga, die Reise ist gefährlich.

Der belgische Söldner und Kampfpilot Jan van Risseghem, bekannt als "Lone Ranger", attackiert als Teil der winzigen Luftwaffe Katangas in jenen Wochen UN-Truppen. Hammarskjöld bat daher um Luftunterstützung, die ihm jedoch Großbritannien und die USA verweigern. Stattdessen wird versichert, dass der Belgier an diesem Tag nicht fliegen werde - ein falsches Versprechen, denn der wird besonders aktiv sein.

Die Piloten funken 23. 35 Uhr an den Flughafen Ndola und geben 00.20 Uhr als Ankunftszeit an. Zehn Minuten vor der Landung befindet sich die Albertina auf 2000 Meter Höhe. Die Piloten sehen die Landebahn, Ordner am Boden das Flugzeug.

Der Fluglotse gibt Landeerlaubnis, die Albertina dreht noch eine Schleife und ist plötzlich weg. In Ndola geht man von einem Platzen der Gespräche aus und unterlässt, obwohl Polizisten einen hellen Blitz am Himmel melden, die Suche bis zum nächsten Tag.

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Erst dann entdeckt man die 15 Kilometer vom Flughafen entfernt zerschellte Albertina. Laut nordrhodesischem Untersuchungsbericht hätten die Piloten die Mindestflughöhe unterschritten, das Flugzeug habe Baumwipfel touchiert und sei daher abgestürzt. Der Fall galt mit der Erklärung eines Pilotenfehlers als offiziell abgeschlossen.

Jahrzehntelang gibt es nur vage Theorien trotz gewaltiger Ungereimtheiten: Einige Köhler bei Ndola berichten von einem kleinen Flugzeug, das über einem größeren flog, bis in einem der beiden Feuer ausgebrochen sei.

Zudem seien kurz nach Absturz zwei Jeeps zum Absturzort gefahren, erst danach habe das Wrack hell gebrannt. Einer der Köhler sucht die Polizei auf, die Aussage wird aber als unzuverlässig abgetan. Einziger Überlebender ist der von schweren Verbrennungen gezeichnete Harold Julien.

Er berichtet von vielen kleinen Explosionen in der Luft, die zum Absturz geführt hätten, bevor er nach sechs Tagen überraschend an Nierenversagen stirbt. Der nordrhodesische Untersuchungsbericht tut dies als Delirium ab.

Doch Fakt ist, dass Bilder der Opfer von Gewehrkugeln getroffene Körperteile zeigen. Der optisch weitgehend unversehrte Hammarskjöld lag im weißen Anzug seltsamerweise als einziger etwas abseits, in seinem Kragen soll ein Pikass gesteckt haben - ein Symbol des Todes.

Über Jahrzehnte sind weitere Zeugenaussagen dazugekommen. So will etwa ein ehemaliger Mitarbeiter der NSA von einer Abhörstation auf Zypern mit Kollegen den Angriff von "Lone Ranger" belauscht haben.

In der Dokumentation "Cold Case Hammarskjöld" von 2019 berichtet ein Freund des Söldnerpiloten Jan van Risseghem alias "Lone Ranger", dass der ihm vor seinem Tod den Abschuss der Albertina gestanden habe. Er habe den Auftrag ausgeführt, ohne Wissen um die Identität der Insassen.

Der Sonderermittler nennt einen Abschuss "plausibel"

Die Doku vermutet eine Schattenorganisation hinter der Exekution, die Aufträge im Namen von CIA und MI5 ausführt, doch fehlen Beweise. Die Hintermänner bleiben faktisch im Dunkeln, viele Akten sind bis heute unter Verschluss oder offiziell gar nicht existent.

2017 ernennt António Guterres, Generalsekretär der Uno, Mohamed Chande Othman zum Sonderermittler. Nach dessen im September 2019 veröffentlichten 95-Seiten-Bericht bleibt ein Abschuss "plausibel", doch moniert er fehlende Transparenz und nennt vor allem Großbritannien, Russland, Südafrika und die USA. Guterres hat weitere Ermittlungen zugesichert.

Es zeigt sich das Grunddilemma der UN: Sie ist nur so einflussreich, wie die Mitgliedsländer es zugestehen.

Dieser Text erschien erstmals in der Print-SZ vom 30.11.2019.

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