Selbsthilfe:Denken Sie sich froh!

Ihr Hund ist gestorben? Danken Sie dem Schicksal für diese Erfahrung - und Sie liegen ganz im Trend. Zumindest in den USA boomt das positive Denken.

Esma Anemon Dil

Hast du 'ne Zigarette für mich? Ich bin genervt!", sage ich - als echte Gelegenheitsraucherin zu meiner Freundin. Sie aber antwortet zen-lächelnd: "Nein, die brauchst du nicht, ich gebe dir lieber eine Segnung." Ich mag sie trotzdem gern und will ihr das neue Hobby nicht verderben. Mit Ärger im Bauch folge ich ihr auf die Terrasse, lege mich unter die indischen Windglocken auf eine Liege und lasse mich durch eine kurze Meditation führen, während meine Hände über dem böse klopfenden Herzen ruhen.

Du bist das Geheimnis

Ein Freudenschrei jagt den anderen: Alles ein Geheimnis des positiven Denkens.

(Foto: Foto: iStock photo)

Danach fühle ich mich kein bisschen besser, täusche aber Besänftigung vor. "Ich mache einen Spaziergang..." - "Das klingt doch schon viel besser, und bitte manifestiere, was du wirklich willst", ruft sie mir hinterher. Das mache ich. Der Weg führt zum nächsten Liquor-Shop, wo ich mir ein Päckchen Marlboro's kaufe und heimlich im Park rauche, wie damals mit siebzehn.

Seit die Sinnsuche um den Drang, sich selbst zu verbessern, das sogenannte Self-Improvement, erweitert wird, traut man sich in Hollywood und den anderen Lifestyle-Orten der USA kaum noch, unzufrieden zu sein, gar mit seinem Schicksal zu hadern oder einfach nur mal unbehelligt Pech zu haben.

Positives Denken als Erfolgsrezept

Am einflussreichsten und auflagestärksten verbreiten die Selbsthilfe-DVD und das gleichnamige Buch "The Secret" positives Denken als Erfolgsrezept. 92 Filmminuten oder 200 Buchseiten lang erklären Lebensberater und Fallstudien, dass das Universum wie ein Bestellkatalog funktioniert, wenn man es durch gute Gedanken nur richtig zu beauftragen weiß. Untermauert werden die Thesen mit Hilfe von Quantenphysik. Wissenschaftler hingegen kritisieren die Vorstellung, die ganze Welt sei nur eine Welle, die man jederzeit mit Geisteskraft beeinflussen könne, als simplifiziert.

Die von der australischen Filmproduzentin Rhonda Byrne für das Projekt "The Secret" interviewten Physiker wie Dr. John Hagelin lehren denn auch entweder an weltanschaulichen Institutionen wie "Maharishi University of Management" oder haben sich bald nach der Veröffentlichung darüber beschwert, falsch dargestellt worden zu sein, wie Dr.Fred Alan Wolf.

Male deine Traumfrau!

Winston Churchill hätte sicherlich auch gern darauf hingewiesen, dass bei der von ihm postulierten Weisheit "Auf seinem Weg kreiert jeder sein eigenes Universum" der entscheidende zweite Teil weggelassen wurde: "Man kann mit dieser amüsanten Mentalakrobatik spielen, denn sie ist absolut harm- und wirkungslos."

Das hätte dann aber nicht ins Konzept "The Law of Attraction" gepasst, bei dem es um die Annahme geht, dass Gleiches von Gleichem angezogen wird, und wir durch bloßes Wunschdenken Dinge verändern können. Das massenhaft publizierte "Geheimnis" wird als Collage präsentiert - aus Zitaten, Gesprächen mit Selbsthilfe-Autoren, Motivationstrainern, Beratern aller Art und Geschichten aus dem Leben, die in ihrer Schlichtheit fast anrühren: Eine Feng-Shui-Spezialistin rät da einem sehr erfolgreichen, beziehungsgehemmten Produzenten ernsthaft, seine Traumfrau zu malen.

Wenig später ist er glücklich verheiratet. Ein Kind schneidet ein Foto eines roten Fahrrads aus, schaut es ganz hoffnungsvoll an und bekommt es später geschenkt. Ein Investment-Banker berichtet, wie er aus einer Rechnung einen Scheck bastelte, um fortan nur noch schwarze Zahlen zu schreiben.

Denken Sie sich froh!

"Ask, believe, receive", so einfach geht das mit dem Glück, mit dem freien Parkplatz oder Verlobungsring, man muss nur darum bitten, dann daran glauben und schließlich empfangen. So ähnlich suggerieren viele Self-Help-Gurus: Wenn du meine Anleitung kaufst, wird dein Leben besser.

Darüber, dass nur die Verfasser, nicht aber die Leser durch derartige Pamphlete reicher werden, machte sich Schriftsteller Christopher Buckley in seiner Satire "God is my Broker" schon vor zehn Jahren lustig; inzwischen setzt die Sparte über zehn Milliarden US-Dollar um.

Was aber macht Rhonda Byrnes, die bis zur Veröffentlichung 2006 selbst privat wie beruflich in Schwierigkeiten steckte, mit ihrer Radikalinterpretation der Binsenweisheit vom positiven und chancenorientierten Denken so viel erfolgreicher als die Konkurrenz? Ist es der clevere Titel "The Secret"?

Oder ist es die Mischung aus unschlagbaren Bestseller-Zutaten: "Da Vinci Code" mit einer Prise Harry-Potter-Magie, ein frisch-vergilbtes Cover, mit blutrotem Siegel und scheinbar handschriftlichen Notizen, die wie ein Fundstück aus der Illuminaten-Schatztruhe wirken. Und Filmsequenzen, in denen das fragile Glücksrezept scheinbar unter Gefahr und Zeitdruck aus einer Gruft geborgen wird.

Kurz nach Erscheinen war die Nachfrage höchstens durchschnittlich, bis Quoten-Queen Oprah Winfrey im Februar dieses Jahres der Story gleich zwei Sendungen widmete und verlauten ließ, das Gesetz der Anziehung schon immer angewandt zu haben, aber ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein.

Denken Sie schlanke Gedanken

Seither geben die Propheten des "Secret"-Heilversprechens, Bob Proctor, Jack Canfield, John Assaraf und die anderen, ihre Ratschläge in Talkshows zum Besten: Sie bringen zu viel auf die Waage? "Glauben Sie einfach nicht daran, dass man von Nahrung zunimmt, denken Sie schlanke Gedanken und schauen Sie keine Dicken mehr an. Wie gut diese unkonventionelle Diät funktioniert? Probieren Sie es aus!"

Aber auch gravierende Probleme werden gefährlich simplifiziert, und es gibt tatsächlich Leute, die glauben, dass sie, wie in der DVD dargestellt, auch ihre Krebsgeschwüre wegträumen oder durch das Anschauen von romantischen Komödien verschwinden lassen können. Und wenn man trotzdem stirbt? Dann hat man nicht intensiv genug an das Gesundwerden geglaubt.

Auf kritische Fragen, wie denn Opfer von Katastrophen oder despotischen Systemen und todkranke Kinder ihre Tragödie auf schlechte Gedanken zurückführen sollen, kontern die Muntermacher: "Der Einzelne oder eine ganze Gesellschaft haben sich wohl auf eine Frequenz gebracht, die mit Unglück auf der gleichen Welle schwingt." Sie schlagen vor, dass andere diese schlechten Nachrichten meiden sollen, um sich von den "bad vibes" nicht anstecken zu lassen. Macht man das am besten auch mit Freunden, die in einer Krise stecken?

Oprah selbst lässt sich jedenfalls von nichts und niemandem den Optimismus verhageln. Als neulich ihr Hund Gracie einen Gummiball verschluckte und vor ihren Augen erstickte, dankte sie dem Schicksal dafür, dass es ihr damit zeigte, wie wertvoll das Leben ist. "Auch wenn er nur zwei Jahre alt wurde, so hatte er ein besonders intensives Dasein und war bereit zu gehen" - verständlich, wenn das Frauchen derart durchgeknallt ist.

Psychologen beurteilen die damit verbundene Verzerrung von Selbst- und Fremdwahrnehmung als problematisch bis pathologisch. Besonders in den großen Städten der Ost- und Westküste gibt es immer mehr Patienten, deren Wunschzettel leider noch nicht von der Erfüllungsbehörde des Universums bearbeitet werden konnten und die mit den enttäuschten Erwartungen nicht umgehen können.

Schlechte Gedanken ziehen Pech an

Entmutigend ist das besonders für die Menschen, die sich wegen der irrationalen Ursache- und Wirkungsebenen von "The Secret" auf einmal für traumatische Erlebnisse wie Missbrauch schuldig und alleingelassen fühlen.

Wenn positives Denken Gutes bringt und schlechte Gedanken Pech anziehen, dann sind Opfer selber schuld. Rabbi David Wolpe mahnte die Gemeinde im Sinai Temple in Los Angeles, sich nicht von der moralischen Mogelpackung verführen zu lassen, besonders in Erinnerung an den Holocaust. "Dass ich ein friedliches Leben führe, liegt daran, dass ich 1958 in den USA und nicht dreißig Jahre früher in Warschau oder jetzt in Darfur geboren wurde. Wie können Millionen aufgeklärte Amerikaner, insbesondere wir Juden die Einflussgröße Umwelt ausblenden?"

Auch christliche Kirchen sehen bereits die Säulen der Gesellschaft bröckeln, da Materialismus und Selbstverwirklichung so radikal zu Ungunsten des Gemeinwohls beflügelt werden. Aber wer braucht die gute alte Empathie, wenn "sich gut fühlen" so viel absatzstärker ist als "Gutes tun", und Egoismus wie Gier sozial nicht mehr stigmatisiert werden.

Denken Sie sich froh!

In einer Epoche, in der immer mehr Menschen von Celebrity-Kult und "Superstar"-TV zu überdimensionierten Ansprüchen ermuntert werden, erscheinen die klassischen Erfolgsfaktoren Talent, Fleiß und Glück zweitrangig.

Im Agape International Spiritual Center im Südwesten L.A.'s kann man sonntags Kurse besuchen mit Titeln wie "Manifestiere deinen Seelenverwandten". Der Zentrumsgründer Michael Bernard Beckwith erklärt in "The Secret", dass jemand, der ein Ziel anvisiere, sich nicht mit Gedanken über den Weg dorthin belasten solle, weil das Universum sich, sobald es diese seine Gedankenwellen empfange, auch schon entsprechend umgestalte. Eine alte Pfadfinderregel? Nein, im Film sieht man die Hip-Hop-Version von Meister Propper aus Aladins Wunderlampe schlüpfen und sagen: "Dein Wunsch ist mir Befehl."

Das Ganze ist so odd, dass man sich fragt, warum Millionen sich davon begeistern lassen. Unterpriviligierte, weil sie auf Besserung hoffen; und Schauspielerinnen wie Nicole Kidman, weil sie so den außerordentlichen Ruhm durch ihre positive Persönlichkeit auch rechtfertigen können.

Zurück zu naivem Aberglauben

Aber selbst der satte Mainstream will mehr. Das alte Biedermeieridyll vom eigenen Heim, dem Auto und der ewigen Liebe erfährt durch Sendungen wie "The fabulous life of..." ein Upgrade: mein Pool, mein Privatjet, meine Topmodel-Freundin heißt es jetzt. Auch Bob Proctor, der sich nicht entblödet, mitzuteilen, dass er sich selbst küssen möchte, weil er sich so lieb hat, animiert die Massen, noch größere Luftschlösser zu bauen. Er steht in der Tradition des "New Thought Movement", einer Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand und die Macht des Geistes betont.

Soziologen sehen die Abwendung von der protestantischen Arbeitsethik und eher intellektuellen Problemlösungen zurück zu naivem Aberglauben als Reaktion auf eine stets komplexer werdende Welt. Wenn schon Menschen in Talkshows berichten, wie die Kommunikation mit Engeln ihnen einen Scheck bescherte, warum sollte sich der desorientierte Mensch in der Post-Postmoderne nicht vorstellen, dass Wellen aus seinem Kopf in die Lotterietrommel eindringen und die richtigen Kugeln fallen lassen?

Die Initiationsriten der modernen Geheimbünde verkaufen die raffinierten Pseudo-Weisen teuer: Chris Howard gehört zu einer Clique von Gurus, die sich auf ihren Websites gegenseitig empfehlen, wissend, dass sich auch die Kundschaft nur multipliziert. Auf seiner Website sendet der selbsternannte Trainer der nächsten Erfolgsgeneration Grüße von Richard Bransons Privatinsel und lädt ein paar Klicks weiter nach Hawaii ein, zu seinem Seminar "Billionaire-Bootcamp".

"I cancel that!!!"

Na ja, nicht ganz, ohne Flug und Unterkunft kostet der Spaß 10995 US-Dollar. Meine Friseurin war in diesem Jahr dabei und musste, mit Blumengirlande behangen, auf dem fiesen Teppich eines Konferenzsaals herumkrabbeln, "Ich tue es!" rufend.

In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft lassen die Leute all ihre Ersparnisse bei solchen Selbstverbesserungstrips. Sie arbeiten hart für wenig Lohn und können sich nicht vorstellen, dass eine Geschäftsidee mit einem vernünftigen Businessplan aussichtsreicher ist - und dass zu einem Investment neben Chancen auch Risiken gehören.

Beim nächsten Termin mit mir murrte Paula: "Ich hätte für das Geld lieber meine Oberschenkel absaugen lassen." Dann zeichnete sie mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft und brüllte "I cancel that!!!" - eine kleine Unterhaltung mit dem Protokollisten des Universums, den sie wissen lassen wollte, dass er den letzten Satz bitte streichen solle, damit der kritische Ausspruch nicht wie ein Bumerang der Karma-Polizei zurückschlage: Reflexion und Intellektualität? Goodbye. Albert Einstein hätte bemerkt: "Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher."

Die besten Absichten meiner Friseurin haben nichts genutzt, ihr Haarschnitt auf meinem Kopf war eine Katastrophe. Da darf man sauer sein und eine rauchen.

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