Selbsternanntes Medium:Botschaften aus dem Jenseits

Paul Meek Medium

Paul Meek, ehemaliger Opernsänger und hauptberufliches Medium, in seinem Haus in Trudering im Juni 2016.

(Foto: Jakob Berr)

Der Waliser Paul Meek behauptet mit großem Erfolg, dass er mit Toten sprechen kann. Die Auftritte des selbsternannten Mediums lassen auch Skeptiker erschauern.

Von Victoria Michalczak

Schlagartig wird es ruhig im Gemeindesaal Haar bei München. Rund 300 Menschen sitzen auf ihren Stühlen und starren auf die Bühne. Oben stehen ein Tischchen mit einem Wasserglas darauf, zwei große Blumensträuße und ein schwarzes Klavier. An dem sitzt jetzt Paul Meek und spielt "Greensleeves", so gefühlvoll, dass die Ersten mit den Tränen kämpfen.

Silvia Schmid sitzt in der letzten Reihe, weit von der Bühne entfernt. Ihr Sohn Pius war 16, als er vor einem Jahr auf dem Weg zur Schule mit dem Moped verunglückte und starb. Sein Freund Benedikt war bei ihm. Sie waren wie immer gemeinsam gefahren. Zum "medialen Abend" heute wollte Benedikt nicht mitkommen, aber seine Mutter ist da.

Paul Meek behauptet, dass er ein Medium ist und mit den Toten Kontakt aufnehmen kann. Jetzt erzählt er auf der Bühne, dass er den Schulweg von Pius sieht und den schnellen Tod, das Moped. Er hat eine Botschaft von Pius. Sie sei für jemanden, der dabei war, als der Junge starb: "Es tut mir leid, dass du meinetwegen Leid erfahren hast." Und dann fügt er verständnisvoll hinzu, der Jugendliche würde nicht zeigen, wie sehr ihn der Tod seines Freundes getroffen hat. Silvia Schmid weint.

Später wird sie lächelnd sagen, sie habe bereits mit ihrem Sohn geredet, es gehe ihm gut. Sie war in einer Einzelsitzung bei einem Medium, das Meek ausgebildet hat. Silvia Schmid wirkt wie eine bodenständige Frau. Das Medium hat ihren Sohn genau beschrieben und wusste, dass er Pius hieß. Nicht gerade ein häufiger Name für einen 16-Jährigen. Allerdings ging der tragische Fall durch die Lokalpresse; man muss kein Fachmann sein, um die Traueranzeigen schnell bei Google zu finden.

Botschaften aus der "geistigen Welt"

Dass keine Tricks im Spiel sind, wenn Lebende mit Toten sprechen, glauben die wenigsten. Experten, die sich professionell damit beschäftigen, attestieren Scharlatanerie. Trotzdem sind Paul Meeks Veranstaltungen stets ausgebucht. Die Gäste sehen nicht aus wie vergeistigte Esoteriker, sondern wie ganz normale Frauen und Männer ab 20. Gemeinsam haben sie meist nur eins: Sie haben jemanden verloren und suchen nach Antworten.

Das Paranormale ist ein großer Markt, auf dem sich unzählige Anbieter mit den verschiedensten Berufsbezeichnungen tummeln. In Deutschland gibt es zwar nur wenige bekannte Medien, die auf einschlägigen Internetseiten als "seriös" bezeichnet werden, sie füllen aber regelmäßig Säle. Auch private Sitzungen und spirituelle Heilungen werden nachgefragt. In Großbritannien sind die sogenannten Sittings mit Medien weitaus verbreiteter als hierzulande. An der britischen spirituell-religiösen Szene orientieren sich oftmals auch die hiesigen Anbieter. Aus dieser Szene kam Paul Meek vor 20 Jahren in die "spirituelle Wüste", ins katholische Bayern.

Der gebürtige Waliser Paul Meek ist ein kleiner Mann von 58 Jahren in Anzughose und lila Krawatte. An seinem Handgelenk baumelt ein goldenes Armband. Er ist Autor von Büchern mit klangvollen Namen wie "Der Himmel ist nur einen Schritt entfernt" und nennt sich auf seiner Homepage "eines der erfolgreichsten Kontaktmedien Europas". In Bühnenshows wie dieser nimmt er angeblich Kontakt mit Verstorbenen auf und überbringt Botschaften aus der "geistigen Welt".

Meek spricht eine Frau in der dritten Reihe an: "Du, die Dame mit dem gelben Schal! Ich sehe einen Mann. Als er gestorben ist, konnte er nicht reden, aber er hat dich gespürt!" Ihr Gesicht hellt sich auf. Der Mann wisse, wenn die Frau daheim sein Foto ansehe, und sie solle ihn nicht so dünn in Erinnerung behalten, als er krank war, sondern so wohlgenährt wie früher, sagt das Medium. Sie gluckst und nickt immer wieder dankbar. Meek scheint zu wissen, dass der Mann gerne Schokolade aß und in einem Herbst, im Oktober, schwer erkrankte.

Zu dem Pärchen, das daneben sitzt, sagt er, er rieche Zigarrenrauch. Ihr Vater war Raucher, bestätigen die beiden anerkennend. "Wahrscheinlich kostet eine Schachtel gar nichts im Jenseits", scherzt Meek. Immer wieder, wenn die Stimmung zu gedrückt wird, macht er in seinem starken britischen Akzent ein paar Witze: "Was steht auf dem Grabstein der Putzfrau? Sie kehrt nie wieder!" Tatsächlich aber ist es tief bewegend, was an diesem Samstagabend im Gemeindesaal passiert: Menschen weinen, lachen, finden Erlösung, wenn sie hören, dass ihre Lieben nicht ganz fort sind, sondern mit ihnen sprechen oder ihnen einen Kuss geben.

"Cold Reading": Techniken, die Wissen nur vorgaukeln

Meek nennt Namen, Daten, beschreibt Personen und sucht im Publikum nach den Angehörigen der "Seelen", die sich ihm zeigen. "Geistige Führer" würden ihm die Nachrichten, Bilder, Gerüche und Stimmen von den Toten liefern, erklärt er. Er geht auf der Bühne hin und her, sagt, er sehe ein Leuchten. Manchmal beschreibt er, wie die Toten durch die Reihen gehen und bei ihren Hinterbliebenen halten. Einmal, als er gerade ein Glas Wasser trinken will, ruft er: "Halt! Da ist noch was! Hier ist gerade ein junger Mann sehr eindeutig erschienen und hat gewunken." Ein paar Mal protestiert er, "Nein! Das passt nicht. Ich will kein Ratespiel", und sucht weiter im Publikum. Bis es passt.

Schon als Kind sei er ein Medium gewesen, beteuert der Brite, der mittlerweile gemeinsam mit seinem Manager ein altmodisch eingerichtetes Haus in München bewohnt. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt er auf seiner gelben Couchgarnitur unter einem Ölgemälde und erzählt: Als 13-Jähriger kam er zur britischen Spiritual Church. Die Mutter einer Freundin ließ dort eine Heilung durchführen. Da habe er zum ersten Mal Lichter wahrgenommen und eine spirituelle Sitzung besucht. Mehrere Jahre ging er dort in die Lehre, um selbst Kontakt ins Jenseits aufzunehmen.

Dass er in Deutschland bleiben würde, war nicht geplant. Er hat in London Musik studiert, war Opernsänger in Bayreuth, als er für ein Medium in München einspringen sollte. Danach beschloss er, hauptberuflich als Medium zu arbeiten, wollte eigentlich zurück nach London, aber dann kam ein Fernsehauftritt bei RTL. Wäschekörbe voller Briefe habe der Postbote danach gebracht. Da entschied sich Meek, in Bayern zu bleiben.

Nicht jeder könne Medium werden, meint Meek, dafür brauche man schon eine Gabe. Eine Ausbildung sei aber auch unerlässlich. Auch ein begabter Sänger brauche das, um erfolgreich zu arbeiten. Damit kennt er sich schließlich aus. Einzelsitzungen bietet er heute nicht mehr an, stattdessen eine ungefähr fünfjährige Ausbildung zum Medium. Wie viele Urkunden er schon verliehen hat, kann er nur schätzen, siebzig, vielleicht hundert. Hunderte Interessenten stehen auf seiner Warteliste, manchmal jahrelang. Ihnen bringt er bei, "die Aura zu sehen" und "mehr zu fühlen, als sie sehen". Wie teuer die Ausbildung ist, will er nicht sagen. "Jeder nimmt für seine Arbeit Geld." Gerade die Arbeit auf der Bühne empfindet er als sehr anstrengend.

Wie macht er das?

Im Saal ist Meek weit entfernt von den Gästen. Wer wo an diesem Abend sitzen wird, ist Zufall, es herrscht freie Platzwahl. Meek berührt die Gäste nicht, er sieht sie nicht von Nahem. Gerade deshalb jagt die Genauigkeit seiner Aussagen auch Skeptikern einen Schauer über den Rücken. Und doch, zwischen all den anderen Fragen, die sich bei seinem Auftritt ständig stellen, ob etwa gerade wirklich ein toter Mann durch den Raum gewunken hat, überwiegt eine: Wie macht er das?

"Cold Reading", meint Daniel Pfauntsch. Er arbeitet als Magier und Mentalist und sagt, seine Branche sei sogenannten Medien gegenüber sehr skeptisch. Cold Reading bezeichnet Techniken, die Wissen nur vorgaukeln. Indem man sich über vage Aussagen herantastet, sollen sich Menschen damit identifizieren können, wie bei einem Horoskop. Wird zum Beispiel nach einer Zahl oder einem Monat gefragt, überlässt man die Interpretation dem Gegenüber.

Daniel Pfauntsch ist der festen Überzeugung, dass Paul Meek keine übersinnlichen Kräfte hat, sondern mit Tricks arbeitet. "Das ist Fakt", sagt er. Ob er das, was Meek tut, selbst auch könnte? "Ja." Wie, das verrät er als Magier natürlich nicht. Über Menschen, die sich nicht Magier, sondern Medium nennen, sagt Pfauntsch: "Auf der einen Seite ist es sehr, sehr schade, dass man mit Erinnerungen von Personen spielt. Auf der anderen Seite gibt man ihnen eben ein gutes Gefühl."

"Das war mein Sohn. Das spürt man einfach."

"Ja, das sagen sie immer alle, dass sie das auch könnten, oder dass ein guter Psychologe das auch könnte", sagt Meek lächelnd, aber leicht genervt: "Ich warte auf den Tag, an dem die das wirklich machen. Dass diese Mentalisten und Psychologen auf die Bühne gehen und jemandem in der letzten Reihe, den sie gar nicht sehen, eine stimmige Botschaft geben, das möchte ich gern erleben." In der britischen Spiritualist Church gebe es Tausende Medien, die mit den Toten sprechen. Würden die alle mit Cold Readings arbeiten, wäre man ihnen doch nach Hunderten Jahren auf die Schliche gekommen, führt Meek an: "So dumm sind die Engländer auch nicht."

Silvia Schmid ist sich sicher, dass das Medium in der Einzelsitzung nicht getrickst hat und Paul Meek auch nicht. Benedikts Mutter wird ihrem Sohn die Botschaft von Pius überbringen. Und sie möchte vielleicht selbst lernen, wie man Medium wird. Sie wird eines der Wochenend-Seminare besuchen. Herzklopfen habe sie wieder einmal gehabt, als Paul Meek die Botschaft überbrachte. Jetzt wirken die beiden Frauen gelöst.

Als der mediale Abend endet und der Gemeindesaal sich geleert hat, ist es dunkel geworden in Haar. Die Menschen steigen in die S-Bahn oder ihre Autos und kehren zurück ins Diesseits. Viele werden wiederkommen. Für Silvia Schmid besteht kein Zweifel: "Das war mein Sohn. Das spürt man einfach."

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