Seitensprung in anderen Ländern:Drunter und Drüber

Alle tun es. Überall. Aber wie machen sie es eigentlich genau? Zehn SZ-Korrespondenten schreiben für das SZ-Magazin über Ehebruch rund um die Welt.

England

Fremdgehen in England
(Foto: Illustration: SZ-Magazin)

Was gilt nun? No sex, please, we´re British? Oder die Tatsache, dass Briten sich die aberwitzigsten Sexspiele einfallen lassen? Die Office-Partys sind berüchtigt als Partnertauschbörse und in populären, dem Leben abgelauschten TV-Serien wie EastEnders scheint es jeder mit jedem zu treiben ­ nur nicht mit dem Ehepartner. Nicht zu vergessen: Es waren die Engländer, die nicht nur den Begriff des Weekend, sondern auch den der schlüpfrigen Untergattung erfunden haben: des dirty weekend. Ein solches Wochenende verbringt ein Liebespaar in einem lauschigen Country-Hotel, derweil ihre Ehepartner daheim die Kinder zum Fußball bringen und ihre bessere Hälfte auf Dienstreise vermuten.

Stets ging die königliche Familie mit schlechtem Beispiel voran. "Ich bin der Prince of Wales", erinnerte Thronfolger Charles Ehefrau Diana an seine überlieferten Vorrechte, als die sich über das Techtelmechtel mit dem "Rottweiler" aufregte. Ebenso wie Bürgerliche trafen sich auch Charles und Camilla ­ ländlich-unsittlich ­ irgendwo bei einem Poloturnier oder einer Rebhuhnjagd und verdrückten sich dann ins Schlafzimmer. Und Charles war nicht der Einzige: Prinz Andrew, Prinzessin Margaret, Prinz Philip und die angeheirateten Damen Diana und Fergie ­ sie alle waren keine Kostverächter, wenn es darum ging, "a bit on the side" zu vernaschen, wie man eine ehebrecherische Kurzaffäre niedlich nennt.

Wie viele Ehemänner und -frauen fremdgehen, ist nirgends statistisch erfasst, aus gutem Grund: Niemand will in einem Fragebogen festgehalten sein, wenn er fremdgeht. Bestenfalls Anhaltspunkte gibt es. Eine im letzten Jahr durchgeführte Erhebung der Finanzberatungsfirma Grant Thornton kam zu dem Ergebnis, dass knapp die Hälfte aller in eine Scheidung verstrickten wohlhabenden Paare einen Privatdetektiv einschalten, um Ehebruch nachzuweisen.

Vor vier Jahren veröffentlichte die Wissenschaftszeitschrift New Scientist eine Studie, wonach einer von sieben Männern und eine von elf Frauen jedes Jahr untreu sind. Dem scheint eine Erhebung der britischen Statistikbehörde zu widersprechen, dass eine von acht Frauen im vergangenen Jahr überhaupt keinen Sex hatte. Vielleicht hat ja doch die Psychologin Petra Boynton vom University College London recht, wenn sie kaltes Wasser auf die erhitzte Fantasie gießt: "Man präsentiert uns ständig falsche Daten, wonach es hier alle wie Kaninchen treiben", meint sie. "Aber tatsächlich sind wir keine Nation, die herumschläft und Risiken eingeht." Wie erkannte doch bereits der kritische Britenbeobachter George Mikes: "Menschen auf dem Kontinent haben ein Sexleben. Briten haben Wärmflaschen."

Wolfgang Koydl

Drunter und Drüber

Orient

Fremdgehen im Orient
(Foto: Illustration: SZ-Magazin)

Der Seitensprung birgt hier Risiken, dies zeigt schon die Lektüre der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Vielleicht liegt es an dieser ­ literarisch veredelten ­ Verbindung aus Leidenschaft, Tabu und aus dem Vollen schöpfender Gewalttätigkeit, dass der Seitensprung in der islamischen Welt bis heute ein höchst diskretes Unternehmen sein muss: Der Islam als moralischer Normgeber hat wenig Verständnis für eheliche Abstecher. Nach strengem islamischem Recht stehen darauf Peitschenhiebe oder der Tod.

Frau und Mann zwischen Kairo und Kabul sollten deshalb gewisse Vorsichtsmaßnahmen beachten. Zwar wird der Vollzug islamischen Rechts ­Steinigung der Frau bei Ehebruch und so weiter ­ außer bei talibanisierenden Fundamentalisten, allzu rückwärts gewandten persischen Ayatollahs oder in den hintersten Dörfern Oberägyptens nicht mehr gefordert. Zumindest in Ägypten schlagen die Gefühle aber leicht hoch: Die Zeitungen sind voller Berichte über erschossene, erschlagene, verbrannte oder vergiftete Ehefrauen sowie gemeuchelte und in den Nil geworfene Ehemänner und Nebenbuhler. Wobei die Regel gilt: Je höher der soziale Stand, desto seltener fließt Blut.

Wie immer im islamischen Kulturraum ist der Mann auch beim Seitensprung besser gestellt. Er kann, da der Islam jedem Mann vier Frauen gestattet, die Geliebte einfach zur Zweitfrau machen. Er muss die angeheiratete Geliebte allerdings alimentieren. Ist ihm die staatlich anerkannte Vielehe zu teuer oder fürchtet er das Gezeter der Erstfrau, kann er auf die "Orfi-Ehe" zurückgreifen. Die semioffizielle Zeitehe erlaubt legale Liebschaften mit unverheirateten Frauen und endet mit dem Zerreißen des Ehevertrags.Diese Zweckehe ist von Ägypten bis in den Iran beliebt: Solange die Frau unverheiratet, geschieden oder verwitwet ist, gibt es keine Probleme. Was ihre Familie dazu sagt ­ gefürchtet sind in ihrer Ehre angekratzte Brüder, ist eine andere Frage. Im Iran legalisiert die Zeitehe sogar den käuflichen Seitensprung: Dort können Paare Zeitehen zwischen zehn Minuten und 99 Jahren Dauer eingehen.

In der Praxis lässt sich so oder so fast alles auch ohne Ehevertrag einrichten. Wer als verheirateter Mann der gehobenen Mittelklasse Wert auf den eigenen islamisch-moralisch einwandfreien Lebenswandel legt, wird im Regelfall einfach eine Zweitwohnung mieten. Denn in den eigenen vier Wänden vollzogene Verhältnisse haben schnell Mitwisser: Der Baoab, der ägyptische Türsteher, weiß alles und registriert auch Damenbesuch. Das Hotel als Alternative erfordert Doppelbuchungen. In einem islamischen Land wie Ägypten können Unverheiratete im Hotel kein Doppelzimmer nehmen. An zwei Einzelzimmern hindert sie aber keiner. Wenn auch das nicht klappt: 95 Prozent von Ägypten sind Wüste. Da findet sich schon noch ein Plätzchen.

Tomas Avenarius

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Fremdgehen in Belgien
(Foto: Illustration: SZ-Magazin)

Belgien

Die Belgier teilen mit den Franzosen nicht nur die Sprache, sondern auch eine Neigung zu Affären. Bei der globalen Umfrage eines globalen Kondomherstellers berichtete mehr als jeder Vierte von Seitensprüngen. Damit liegen die Belgier über dem weltweiten Durchschnitt. Ob das ein Grund dafür ist, warum sie mit ihrem Sexleben zufriedener sind als etwa die Deutschen oder gar die armen Chinesen (zu 78 Prozent unglücklich)? Die Interviewer haben die Chance verpasst, es herauszufinden.

Bemerkenswert ist es auf jeden Fall, dass die Belgier häufig fremdgehen. Denn eheliche Untreue wird mit hohem kriminalistischem Aufwand verfolgt. Wer dem Partner einen Seitensprung nachwies, konnte bisher die Scheidung beschleunigen und höheren Unterhalt herausschlagen. Um den Partner in flagranti zu ertappen, stellt man einen Antrag bei Gericht. Ein Gerichtsvollzieher verschafft sich dann ab fünf Uhr morgens Zutritt zu der Wohnung, in der der eheliche Betrug vermutet wird. Er sucht Beweise. Er prüft, ob die Laken noch warm sind. Allein 2004 schlugen die Gerichtsvollzieher 4530 Mal zu, berichtet die Zeitung DeMorgen.

Bis vor 15 Jahren war Untreue offiziell sogar eine Straftat. Die Belgier gingen dennoch fremd. Wie so häufig sind Regeln in diesem Land das eine, die Realität etwas anderes. Tabus sind da, um sie zu brechen. Aber heimlich. So hält es auch König Albert II. Als er schon verheiratet, aber noch nicht König war, traf sich der Adelige mit den sieben Vornamen jahrelang diskret mit einer Baronin. 1968 entsprang der Liaison sogar eine Tochter, die ihn zärtlich Papillon (Schmetterling) rief. Belgische Journalisten wussten davon, schrieben aber nie darüber. Bis ein junger Autor 1999 die Existenz der unehelichen Tochter Delphine enthüllte. Der König bekannte sich daraufhin in seiner Weihnachtsansprache zu "ehelichen Problemen", die aber längst vorüber seien. Delphine, eine Künstlerin, beklagte sich, dass ihr Vater den Kontakt verweigert, und stellte in Brüssel Werke mit Anspielungen auf ihre Herkunft aus.

Die Belgier scheinen immer noch unsicher, wie sie mit der royalen Affäre umgehen sollen. Das zeigte dieser Tage ein Scherz. Seit 1. Juli gilt ein neues Erbrecht, das unehelichen Kindern dieselbe Hinterlassenschaft einräumt wie ehelichen. Als ein Sturz des Königs bekannt wurde, schrieb ein Zeitungsleser, Albert II. sei wohl vor Schreck über die Vererbung an Delphine die Treppe hinuntergefallen. Die Zeitung nahm den Leserbrief schnell von ihrer Webseite.

Alexander Hagelüken

Drunter und Drüber

Fremdgehen in Deutschland
(Foto: Illustration: SZ-Magazin)

Deutschland

Drunter und Drüber

Auch in Deutschland gibt es einige Dinge, die der in fester Paarbeziehung lebende Mensch kurz, aber sorgfältig bedenken sollte, bevor er seinen Fremdgehsubstanzen Adrenalin, Testosteron, Phenylethylamin oder Östrogen die Chance einräumt, über die etwas schwächeren Treuehormone Vasopressin und Oxytocin zu siegen. Zum Beispiel dass Bayern nicht Deutschland ist und Ingolstadt nicht Berlin.

So scheint zum Beispiel das bayerische Ingolstadt für die Reputation eines Dauerfremdgehers sehr viel ungeeigneter zu sein als die Hauptstadt, obwohl es hier andererseits, in bestimmten muslimischen und schariahörigen Gegenden von Berlin-Kreuzberg beispielsweise, lebensgefährlich werden kann, vor allem, wenn die fremdgehende Person weiblich ist. Für rotblonde Tennisstars aus Deutschland dagegen sind Besenkammern in Londoner Hotels ganz offensichtlich sehr viel ungeeigneter als das "P1" zu München. Aber das ist noch einmal eine ganz andere Geschichte. Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland nennt in allen Umfragen gänseähnliche Treue als wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Liebesbeziehung oder Ehe.

Untreue ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland der Anfang vom Ende der meisten Paare. Jeden Monat treffen sich ungefähr 32.000 Männer und Frauen vor dem Scheidungsrichter, weil es mit der ewigen Treue nicht hingehauen hat. 200.000 Ehen pro Jahr werden geschieden. Noch einmal doppelt so viele unverheiratete Paare gehen wegen Liebesverrat Monat für Monat wieder auseinander. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, Volkmar Sigusch, sagt: "Die Ehe mit dem Ideal der ewigen Treue wurde zu einer Zeit erfunden, als die Menschen jung starben und ein Paar nur wenige Jahre miteinander lebte."

Langzeitpaare, die über Jahrzehnte harmonisch miteinander leben und zugleich sexuell aktiv bleiben, sind die Ausnahme. Alle anderen romantischen Langleber, die nicht in heimlicher und ständig von der Aufdeckung bedrohter Doppelmoral leben wollen, sind ­ das ist die eine Alternative ­ dazu verdammt, sich in serielle Monogamie zu stürzen, wie der Kanzler und der Vizekanzler der letzten deutschen Bundesregierung, die inzwischen zusammen insgesamt neunmal verheiratet sind. Die andere Möglichkeit scheint zu sein, als mehr oder weniger entsexte Wesen zusammenzubleiben und so das romantische und von der Gesellschaft beklatschte Ideal von Paarbeziehung zu realisieren.

Für welche Variante der Mensch sich entscheidet, hängt, wie gesagt, vom gesellschaftlichen und topografischen Kontext ab. Der CDU-Ministerpräsident Christian Wulff hat seine Frau unlängst ­ ohne politisch Schaden zu nehmen für eine andere verlassen. Die geschiedene Generalsekretärin der CDU, Angela Merkel, lebte viele Jahre so unverheiratet wie unbehelligt mit ihrem Professor Sauer. Liebe und Ehe, auch wilde Ehe, Promiskuität, Seitensprünge und serielle Monogamie werden wie Homosexualität in der Berliner Republik und den meisten Teilen und Schichten Deutschlands als Privatangelegenheiten angesehen. Es gibt für Politiker, Showbiz-Stars und andere Prominente in Deutschland deswegen auch einen vergleichsweise berechenbaren Boulevard und sogar die unausgesprochene Verabredung, Denunziationen aus dem Privatleben von Politikern nicht zu drucken.

Die Berliner Republik funktioniert wie das moderne Frankreich, in dem eine Frau, die mit dem Vater ihrer vier Kinder nicht verheiratet ist, ohne Schaden für das höchste Amt im Wahlkampf antreten konnte ­ gegen einen Mann, über dessen Eheprobleme und Kompensationshandlungen sich ganz Paris amüsiert. Ganz anders aber, eher wie im christlich-fundamentalistischen Amerika, funktioniert die Sache mit dem Seitensprung in ländlich-katholischen Gegenden und im Kontrollbereich der CSU, weswegen Bayern auch in dieser Hinsicht nicht Deutschland ist und Ingolstadt nicht Berlin. Horst Seehofer, der versucht hat, in beiden Kulturkreisen zu agieren, hätte sich von Theo Waigel erklären lassen können, in welchem Moment die Falle der bayerischen Doppelmoral zuschnappt: zum Beispiel, wenn sie zu einer Waffe im politischen Machtkampf wird.

Und vielleicht hätte ihm auch einer erklären müssen, damit sind wir wieder bei Boris Becker und der Besenkammer, dass sich die Sache mit dem Seitensprung dramatisch verschärft, sobald ein neues Menschenkind ins Spiel kommt ­ selbst wenn es nicht wie ein wandelnder Vaterschaftstest aussieht.

Evelyn Roll

Drunter und Drüber

Fremdgehen in Russland
(Foto: Illustration: SZ-Magazin)

Russland

In seiner Erzählung Die Dame mit dem Hündchen verglich Anton Tschechow das fremdgehende Liebespaar Dmitrij und Anna mit Zugvögeln, "einem Männchen und einem Weibchen, die man gefangen und gezwungen hatte, in getrennten Käfigen zu leben". Der Seitensprung ist das große Thema der russischen Literatur, er zieht sich durch Tolstois Anna Karenina, Scholochows Stillen Don und Bulgakows Der Meister und Margarita. Das begründet die Vermutung, eheliche Treue und Untreue seien gerade in Russland ein Thema von besonderer Brisanz. Die Zahlen scheinen das zu bestätigen.

Umfragen zufolge bekennt sich die Hälfte aller russischen Männer dazu, gelegentlich oder regelmäßig fremdzugehen. In Moskau soll die Zahl sogar bei 76 Prozent liegen. Auf der Seite der Frauen bekennt sich jede vierte zu Seitensprüngen; in der Hauptstadt sind es 40 Prozent. Und dennoch: Knapp die Hälfte der Russen ist überzeugt, Ehebruch sei in keinem Fall gerechtfertigt. Nach Ansicht des Moskauer Psychologen und Sexualwissenschaftlers Jurij Lewtschenko ist die russische Gesellschaft in ihrem Urteil über Seitensprünge traditionell ungerecht. "Der Ehebruch des Mannes wird seit je akzeptiert", sagt er.

Das häusliche Regelwerk Domostroi aus der Zeit Iwans des Schrecklichen gab dem Mann jedenfalls freie Hand, die Frau hatte sich vollständig unterzuordnen. Als natürlich wurde in jener Zeit der Ehebruch des Mannes empfunden, zumal er in Kriegszeiten oft Jahre vom heimischen Herd getrennt war. Bis ins 19. Jahrhundert galt die absolute Autorität des Mannes über die Frau. Bauern sahen es als ihr gottgewolltes Recht an, ihre Frauen regelmäßig zu verprügeln. Das wirke bis heute nach, glaubt Lewtschenko. Häufig seien Frauen bereit, Seitensprünge ihres Gatten zu verzeihen, um die Ehe zu retten.

Die Gattin des reichsten aller Russen mag anfangs auch so gedacht haben. Als dann aber Bilder von Roman Abramowitsch mit seiner deutlich jüngeren Freundin an die Öffentlichkeit gelangten, blieb doch nur die Scheidung, angeblich eine der teuersten der Geschichte. Ein "Fakt" sei es, versichert Lewtschenko, dass die Liebhaberin zum wohlhabenden Russen gehöre "wie ein neues Auto". Immer öfter seien es aber gerade die Frauen, die sich nach sexueller Erfüllung außerhalb der Ehe sehnten. Russen über 30 kämen ihren ehelichen Pflichten nämlich häufig kaum nach, litten unter "Stress-Impotenz" oder seien wegen übermäßigen Alkoholgenusses inaktiv. Frauen über 30 würden die Lust am Sex hingegen erst richtig entdecken. Es gehe da, versichert der Psychologe, "wirklich um Sex. Nicht um Romantik."

Daniel Brössler

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