Seal:Mann minus Heidi

Heidi-Klum-Gatte Seal hat's weit gebracht. Aber wer ist der Kerl eigentlich? Ein Treffen in sonderbarer Umgebung.

Christian Mayer

Sein Händedruck ist eher weich, und er selbst wirkt ein wenig schüchtern, was merkwürdig erscheint bei so einer Statur und 1,98 Meter Größe. Der Künstler steht im ärmellosen T-Shirt im Nebenraum einer 150-Quadratmeter-Suite im Hotel Intercontinental auf dem Obersalzberg - und das Hotel ist fast so pompös wie das Panorama. Ein kräftiger Mann mit zerfurchtem Gesicht, der in Deutschland vor allem als singender Ehemann des Models Heidi Klum bekannt ist. Seal blickt gedankenverloren durch die großen Scheiben auf die Berge über Berchtesgaden, es ist ein klarer, frühlingshaft heller Tag in der Fünf-Sterne-Wellness-Welt. "Schon faszinierend, dieser Ort", sagt er im reinsten britischen Englisch.

Seal: Glücklich wie am ersten Tag: Heidi Klum und Seal.

Glücklich wie am ersten Tag: Heidi Klum und Seal.

(Foto: Foto: rtr)

Kaum zu glauben, dass ganz in der Nähe mal die finstersten Gestalten auf der Terrasse Adolf Hitlers die Fernsicht genossen, Hundchen und Frauchen neben sich als Zierat für Hofschranzen und Parteibonzen des NS-Regimes. Auch Seal, der mal Architektur studiert hat, nimmt gleich die Hotelbroschüre zur Hand und will wissen, wo denn nun genau Hitlers Berghof war, den die Amerikaner 1952 in die Luft sprengten. Das machen alle, die im Intercontinental, just an dem Ort, wo einst Hermann Görings rustikales Landhaus stand, ihre teuren Suiten beziehen: Sie schwärmen von den blauen Bergen - und sie spüren diesen leichten Grusel. Unter ihnen ist gelegentlich auch der ein oder andere Prominente, wie nun der britische Sänger Seal, der sich hier auf einen Fernsehauftritt vorbereitet. Und so sitzt er da in einem unpraktischen Designerstuhl, der nach hinten wegklappt. "Ist das unbequem", stöhnt er, "kann man das Ding nicht festschrauben?"

Seine eigene Lebensgeschichte hat der Mann, der 1963 als Sealhenry Olumide Samuel in London auf die Welt kam, besser im Griff. Er kämpft, auch in seinen Interviews, gegen die Klischees an, die ihm die Musikindustrie angeheftet hat: Dass sein Vater, ein brasilianischer Einwanderer, zur häuslichen Gewalt neigte, und seine nigerianische Mutter aus seinem Leben verschwand. Eine traurige Kindheit in zerrütteten Verhältnissen wird ihm zugeschrieben. "Mein Vater war in gewisser Weise ein guter Lehrer", sagt er. "Ich habe von ihm erfahren, was man im Leben nicht machen soll - Kinder lernen ja immer daraus, was sie sehen." Er versucht daher, ein vorbildlicher Familienvater zu sein, und in seinen Liedern geht es sehr oft um Zusammenhalt, um Freundschaft und Familie: "Wir erleben ja einen Zusammenbruch der fundamentalen Werte."

Es ist nicht leicht, Seal zu sein, der nette Typ, der durch die Hölle ging, um im Paradies zu landen. Die fünf Geschwister und die schlimme Hautkrankheit, unter der er in der Schule litt, die liebevolle Pflegemutter Joyce, die er noch immer regelmäßig im Norden von London besucht, sein Blitzstart als Musiker, all das darf in keinem Porträt fehlen. Und immer endet die Geschichte seiner erstaunlichen Karriere mit dem Auftritt der guten Fee: Heidi. Die Frau für jede Gala, jede Fernsehshow, ein Vorbild für eine Generation heranwachsender (deutscher) Topmodels, seine Frau. Eine Alleskönnerin, die ihm ein neues Leben als Celebrity-Ehemann und multikultureller Mustervater geschenkt hat. Und die ihn permanent in den Schatten stellt.

Also, der Künstler und sein Werk: Die Solokarriere begann 1990 mit einem Nummer-eins-Hit - "Killer". In seiner besten Zeit veröffentlichte er aber nicht zornige Bekenntnisse, wie man es bei seiner Biographie eigentlich erwartet hätte, sondern einfühlsame Balladen und erfolgreiche Remakes wie "Fly Like an Eagle". Von Schmuse-Standards wie "Kiss from a Rose", "This Could Be Heaven" und "Love's Divine" kann man lange zehren. Selbst Feuilletonisten drehen da gelegentlich das Radio auf, wenn die alten Hits laufen und die Autofenster gut verschlossen sind.

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Mann minus Heidi

Vor allem die deutschen Fans verzehrten sich nach der Herzensbotschaft, die auf 15 Millionen verkauften Tonträgern eingraviert ist. Auf seinen Konzerten gibt Seal wirklich alles. Sogar einen kurzen Auftritt als Geburtstagsbarde von Autoboss Ferdinand Piëch absolviert er mit so viel schweißtreibendem Pathos, dass selbst die hartgesottensten Manager im Publikum plötzlich weich werden. Seal, das ist so was wie ein Gütesiegel für Gefühlsechtes, das nachhallt.

Glaubt man seinen Vermarktungsstrategen, dann zählt der Engländer zu jenen Künstlerseelen, die zu gut für diese Welt sind und ihren Produzenten manchmal allzu blind vertrauen. Bevor er Heidi traf, fiel er ein paar Mal finanziell auf die Nase - im Rechtsstreit mit seinem früheren Manager um alte Tantiemen ging es kürzlich um eine knappe Million Dollar. Aber vielleicht zeichnet es Seal aus, dass er aus jeder Niederlage immer ein Melodram macht, fünf Minuten Weltschmerz.

Nur: Was macht ein Melancholiker, dem die Niederlagen ausgehen?

Sein neues Album trägt den bekenntnishaften Titel "System" und ist temporeicher, irgendwie cooler als seine früheren Werke. Ein Mann besinnt sich - ganz unironisch - auf seine Gitarre und seine alten Stärken. Aber obwohl Seal dafür den bekannten Produzenten Stuart Price verpflichtet hat, der bereits Madonna einer Verjüngungskur unterzog, ist die Grundstimmung eher sentimental. Der beste Song des Albums heißt "Rolling", und es geht um einen Menschen voller Selbstzweifel. Um einen, der nicht so richtig sagen kann, ob er nun an den Albträumen der Vergangenheit leidet oder an der Unfähigkeit, die Wahrheit über sich herausfinden. "No condition is permanent", ein Satz seines früh verstorbenen Vaters, ist das Motto des Albums.

Ratlose Kritiker

Alles ist im Fluss, nichts bleibt bestehen, daran ist nichts auszusetzen; schon Shakespeare hat die Vergänglichkeit des Schönen wortmächtig besungen und seine Angebetete mit einem flüchtigen Sommertag verglichen. Bei Seals Texten bleibt allerdings alles im Ungefähren, die Harmoniesucht hat Methode: "In meinen Liedern geht es darum zu erkennen, wie wunderbar das Leben sein kann." Die Menschen, sagt er, seien doch permanent auf der Suche. Aber wonach? Wenn der Künstler drauf und dran ist, sich endlich zu öffnen, seinen Schmerz zu offenbaren, schließt das lyrische Ich seine Augen.

Oder es kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus wie in seinem Hit "Amazing". Das war das passende Lied für seinen Auftritt kürzlich bei "Wetten, dass. . .?" Wenn keiner ganz versteht, um was es geht, muss der Song gut sein, zumal Seal seine Stimme dramatisch einzusetzen weiß. Musikkritiker sind ratlos nach seinen umjubelten Konzerten, und oft behelfen sich die Seal-Interpreten mit Phrasen - warmes Timbre, transparenter Sound, aufgeraute Seiten, engagierte Songs, schwafel, schwafel . . .

Auch im Gespräch entzieht er sich elegant allen Fragen, die seine Seelenruhe stören könnten. Einmal zeigt er auf das Berchtesgadener Land draußen hinter der gekrümmten Scheibe. Und erzählt die Geschichte, wie er einmal nach einem fünfwöchigen Skiurlaub in Kanada auf dem Highway fuhr, vor sich die glänzenden Berge, die eben noch unter dichten Regenwolken lagen. "Ich hatte Tränen in den Augen. Und ich wusste: Diesen Ort werde ich vielleicht noch einmal erleben - aber nie mehr in dieser Schönheit."

Nein, an dieser Stelle kann man nicht mehr zurück, das Gespräch muss jetzt zwangsläufig bei dem Thema enden, das die meisten Seal-Interpreten mit schnörkelloser Dreistigkeit ansteuern: Wie geht es Heidi? Wie geht es der Liebe? Was treiben die Kinder? Die eigentliche Frage ist ja, ob so viel Glück, dargeboten im Wochentakt der sonst oft so missgünstigen Klatschpostillen, noch gesund für einen Künstler ist, dem nichts Trauriges fremd sein darf. Seal muss mal kurz darüber nachdenken: "Wenn ich ins Grübeln käme, wäre das die Straße ins Unglück."

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Mann minus Heidi

Offensichtlich zählt das Grübeln nun zuletzt zu den herausragenden Eigenschaften seiner Frau, die von Erfolg zu Erfolg eilt - als Werbefachfrau, Markenbotschafterin und Magazin-Covergirl. Wer noch immer nicht glaubt, dass unsere National-Heidi auch in Hollywood eine Nummer ist, wurde bei der Oscar-Verleihung eines Besseren belehrt: Da trug sie am roten Teppich die knalligste Robe von allen, eine begehbare Galliano-Schöpfung mit eingebautem Nackenwärmer. Ihr Mann stand lächelnd im Hintergrund; er ist solche Aufwallungen gewohnt.

Als gute Ehefrau trägt Heidi ihren Teil zum Familienunternehmen bei. Auf dem aktuellen Album darf sie sogar singen. "Wedding Day" heißt das Duett mit Seal. Es ist der süße Liebesschwur zweier Engel, die sich gegenseitig gerettet haben. Wobei Seals Anteil an Heidis irdischer Erlösung wohl noch etwas höher zu bewerten ist, wenn man an Heidis verflossene Liebschaften denkt, also an sogenannte Starfriseure und einen Berufsplayboy vom Schlag eines Flavio Briatore. Fakt ist: Heidi und ihr Befreier zeigen gerne, wie lieb sie sich haben. "Sie singt ja ohnehin die ganze Zeit im Haus. Es war ein Traum von mir, mit ihr gemeinsam ein Lied zu machen", sagt Seal. Zu Hause, das ist in Los Angeles und nicht in Bergisch Gladbach, wo der Sänger gerne die Schwiegereltern besucht.

Einzug in die deutsche Popkultur

Wenn man Seal nach seinem Verhältnis zu Deutschland fragt, äußert er sich geradezu enthusiastisch. Er schwärmt von der Heimat seiner Frau und von der Musikalität der Rheinländer. "Ich habe einen nationalen Schatz geheiratet, ich habe Kinder mit ihr. Deshalb habe ich über Nacht auch Anspruch auf die deutsche Kultur. Die Deutschen waren immer sehr gut zu mir." Eine interessante Einschränkung macht er aber doch: "Ob sie mich als Ehemann von Heidi wirklich akzeptieren, das weiß ich nicht genau."

Seal hat so Einzug in unsere deutsche Populärkultur gehalten: Er singt, in bajuwarischen Lederhosen, bei der Eröffnung der Münchner Allianz-Arena. Er erfreut im rheinischen Karneval das Volk der Jecken, als er neben Heidi auf dem Wagen mitschunkelt. Er unterhält im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Publikum, das sich sonst eher für den Musikantenstadl begeistert. Er wirbt für einen Geländewagen aus Wolfsburg, der so klingt, als stecke im Motor ein wildes Tier. Seal ist ein Produkt für die Massen, universal anwendbar, made in Germany, wenn man so will. Weiter haben es auf deutschen Bühnen nur sehr wenige Künstler fremder Zunge gebracht.

Im globalisierten Klum-Kosmos kennt jeder jeden, und das Private ist immer beiläufig geschäftlich. Seal ist mit Thomas Gottschalk befreundet, wie er auch mit dem Schauspieler Will Smith befreundet ist, für dessen Vaterdrama "Das Streben nach Glück" er die Filmmusik schrieb. Wenn gerade keine Sendung, kein Film und kein Konzert anstehen, geht man zusammen essen, irgendwo in Malibu. Wichtiger aber seien seine drei Kinder, um die sich zu Hause alles dreht: Leni, Henry und Johan hätten Glück, mit verschiedenen Kulturen aufzuwachsen: "Wir sind eine futuristische Familie - eine Familie der Zukunft. Auch davon handelt meine Musik."

Eine Stunde ist um, der Künstler muss gleich weitere Auskünfte über den Stand seiner Ehe geben; die Reporterin vom Fernsehen wartet aufgeregt vor der Suite.

Seal erhebt sich von seinem widerspenstigen Designerstuhl und hält inne. Er verharrt minutenlang vor der Panorama-Scheibe und blickt auf die Hügel unter dem Hotel. Ist da vielleicht noch was zu sehen von der Vergangenheit? Was liegt unter der gnädigen Natur noch alles verborgen? Gerne hätte sich der Sänger an diesem abgründig schönen Ort ein wenig umgesehen, alte Bunkeranlagen besichtigt. Keine Zeit für Grusel, dabei ist der Obersalzberg im Vergleich zu Beverly Hills richtig aufregend.

"Ich muss hier auf jeden Fall noch ein paar Fotos machen", sagt er, bevor er sich mit einem deutlich kräftigeren Handschlag verabschiedet. Seine alte Leica hat er immer dabei. Heidi und die Kinder wollen ganz genau wissen, was er so erlebt.

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