Schwangerschaftsabbruch:Warum über "Werbung" für Abtreibung so gestritten wird

Prozess gegen Ärztin

Demonstration vor dem Amtsgericht in Gießen für eine Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 und des Paragrafen 219. Im Gericht muss sich die Ärztin Kristina Hänel verantworten wegen der Informationen auf ihrer Homepage. Der Vorwurf: Sie mache Werbung für Abtreibungen.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

SPD, Grüne und Linke wollen sie legalisieren, Kritiker warnen vor Verharmlosung. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Ulrike Heidenreich und Ronen Steinke

Wie aufgeladen das Thema ist, zeigen drei Vorfälle aus den vergangenen Tagen. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft prüft eine Anzeige wegen des Vorwurfs der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft - ausgerechnet gegen den Limburger Bischof Georg Bätzing. Weil sich auf der Internetseite des katholischen Bezirks Hochtaunus zur Schwangerenberatung der Hinweis findet, hier werde ein Beratungsschein ausgestellt, "der für den Schwangerschaftsabbruch notwendig ist".

Die Anzeige kommt von der christlichen Deutschen Zentrumspartei. Diese steckt auch hinter einer Aktion in München: Vor einer Klinik verteilte sie Flyer, die auf den ersten Blick wie Pizza-Werbung aussahen. Die Fotos zeigten aber zerstückelte Föten, mit dem Zusatz: "Gemetzgert nach der Absaugmethode". Wiederum nahe Frankfurt, ideologisch aber ganz am anderen Ende des Spektrums, beschmierten militante Feministinnen am vorvergangenen Wochenende ein Haus, in dem ein Verein ultrakonservativer Abtreibungsgegner seinen Sitz hat, mit Parolen wie "My body my choice". Über das strafrechtliche Verbot der "Werbung" für Abtreibungen wird nun auch im Bundestag diskutiert. Eine Analyse.

Was für eine Sorge steckt eigentlich hinter dem Verbot der "Werbung" für Abtreibungen - Frauen könnten einen derart belastenden Eingriff aus Spaß vornehmen lassen, verführbar durch Reklamesprüche oder Rabatte?

Wie bei allen ärztlichen Leistungen ist eine "anpreisende" Werbung schon laut Berufsordnung verboten. Wegen der besonderen ethischen Fragen um Abtreibungen soll zusätzlich aber verhindert werden, "dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird", so schrieb im Jahr 1974 die SPD-geführte Koalition in ihrer Gesetzesbegründung. Bestraft werden soll indes, einschränkend, nur "grob anstößige" Werbung. Sowie Eigenwerbung durch Ärzte selbst.

Das Anliegen bekräftigen Vertreter der Kirchen und Politiker der Union in diesen Tagen, etwa die rechtspolitische Sprecherin der CDU, Elisabeth Winkelmeier-Becker: "Wer den Paragrafen 219a StGB ersatzlos aufheben möchte, muss in Zukunft mit offener Werbung im Internet, Fernsehen, Zeitschriften, etc. für Abtreibungen rechnen." Das könnte zwar ohnehin - wegen der Berufsordnung - nur nüchterne Information sein. Aber schon dies könne eine Verharmlosung bewirken, warnt die CDU-Politikerin. "Dabei ist klar: Jede Frau hat die freie Entscheidung darüber, ob und wann sie Kinder haben will, welche Partner sie hat, welche Verhütungsmittel sie anwendet und wie sie berufliche und familiäre Ziele vereinbaren will. Ist ein Kind gezeugt, geht es aber nicht mehr nur um sie selbst, sondern auch um das Lebensrecht des Ungeborenen."

Wen stört das Fehlen solcher "Werbung", warum soll sie erlaubt werden?

Kritikerinnen aus SPD, Grünen und Linken wenden jetzt ein, dass Paragraf 219a zu einer merkwürdigen Situation führe: Beratungsstellen und Behörden dürfen Frauen mitteilen, welche Praxen legal Schwangerschaften abbrechen. Nur die Ärzte selber dürfen es nicht. Sie müssen schweigen, als täten sie etwas Verbotenes. Etwa 25 bis 30 von ihnen werden laut Kriminalstatistik jährlich angezeigt. Die drei Bundestagsfraktionen wollen den Paragrafen 219a abschaffen, und ihrer Forderung hat sich am Freitag Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) angeschlossen.

Übrigens gehen sie damit interessanterweise weiter als die Rechtsprofessorin Monika Frommel, die jüngst als Strafverteidigerin in Gießen jene Ärztin vertrat, die wegen Paragraf 219a zu 6000 Euro Strafe verurteilt wurde. Frommel wäre schon zufrieden, wenn man 219a etwas einschränkte, sagt sie. "Dann ist künftig auch einem wenig kreativen Staatsanwalt klar, dass es in einem Strafverfahren nur um anstößige Werbung gehen kann."

Kommt jetzt das gesamte Abtreibungsrecht in Bewegung?

Nein. 219a ist ein Detail. Der rechtspolitische Kompromiss um die Abtreibung, der vor zwanzig Jahren austariert wurde, gilt als großer Friedensvertrag - er hat eine jahrzehntelange Debatte besänftigt, kein maßgebender Politiker jedenfalls im Bundestag will das jetzt wieder aufschnüren und zurück in die Siebzigerjahre. Damals prallten noch die Positionen religiöser Abtreibungsgegner, die kategorisch jeden Schwangerschaftsabbruch verbieten wollten, auf die von Frauen, die ein "Recht auf Abtreibung" einforderten. 20 Jahre lang zogen sich die Bemühungen um eine sozial verträgliche Lösung hin.

1995 gelang das endlich, mit der sogenannten Beratungslösung. Diese besagt: Die Gesellschaft (und der potenzielle Kindsvater) hält sich ganz heraus, wenn eine Frau in den ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft abbrechen möchte. Nur soll stellvertretend für die Gesellschaft (und das potenzielle Kind und den potenziellen Kindsvater) eine Beratungsstelle einmal mit der Frau sprechen, bevor ihre Entscheidung final ist. Ganz zufrieden waren die Kämpferinnen damit 1995 nicht. Sie nannten das Modell "Zwangsberatung". Nachdem aber klargestellt war, dass Beratung kein anderes Wort für Ins-Gewissen-Reden sein sollte, sondern "ergebnisoffen", entspannte sich die Debatte.

Inzwischen entscheiden sich stetig weniger Frauen in Deutschland für eine Abtreibung: Wurden im Jahr 2009 noch 110 694 Abbrüche gezählt, sank die Zahl 2013 auf 102 802 und im Jahr 2016 auf 98 721. Zwar gibt es heute auch weniger Frauen insgesamt, die sich in einem, wie es heißt, gebärfähigen Alter befinden. Die Quote sinkt jedoch ebenfalls. Womöglich hat das mit besserer Aufklärung und Verhütung zu tun. Etwa 40 Prozent der Frauen, die ihre Schwangerschaft beenden lassen, sind heute Kinderlose, die dies bleiben wollen. Die Mehrheit aber, 60 Prozent, hat bereits ein Kind oder mehrere.

Wie kann es sein, dass ein NS-Paragraf - 219a - noch heute einen derart sensiblen Bereich regelt?

Die Urfassung stammt zwar von 1933. Seine heutige, stark eingeschränkte Fassung hat der Paragraf aber 1974 unter SPD-Ägide erhalten.

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