Schule:Schön praktisch, schön doof - und ganz schön ungerecht

Schulanfang in NRW

Einigermaßen unumstritten: Ein Schulranzen muss sein.

(Foto: dpa)

Auslaufsicherer Malbecher, Frixion und Linkshänderradiergummi: Die Tchiboisierung des Lebens hat die Schule erreicht.

Von Mareen Linnartz

Es fing an mit dem Wort "auslaufsicherer Wasserbecher mit Trichtereinlage" auf der Schulmaterialliste. Was genau sollte das sein? Eine unglaubliche technische Erfindung, die Malen auch im Kopfstand möglich macht?

Im Laden stand dann ein wackliges Plastikding, immerhin in verschiedenen Farben und immerhin für 2,99 Euro - aber jetzt auch nicht so standfest, als dass es nicht beim ersten Ellbogenstupser umkippen würde. Nächster Punkt auf dem Zettel: Schwammdöschen, noch nie gehört, aber Amazon kennt alles: Ein rundes Schwämmchen in einem runden Döschen, ebenfalls 2,99 Euro.

Hat man früher nicht einfach ein ausgewaschenes Senfglas mit in den Kunstunterricht gebracht? Und ein paar Putzlappen zum Wegwischen zerschnitten? Und was zur Hölle ist ein "Frixion" (steht auch auf dem Zettel)?

Zu den sehr viel schönen Dingen im Leben mit Kindern gehören ein paar, die weniger schön sind. Zu den weniger schönen gehört definitiv, zum Schuljahresbeginn mit einer monströsen Materialliste im Schreibwarenladen des Vertrauens zu stehen und in einer Art Eltern-Tetris Hefte mit Lineatur 3, einen dunkelgrünen Umschlag in DIN A5 und 500 andere Sachen besorgen zu müssen. Über die Jahre mit drei schulpflichtigen Kindern glaubt man aber strebermäßig, irgendwann das finale Tetris-Level erreicht zu haben. Ich kenne alles! Das ist allerdings ein ungeheurer Trugschluss.

Schnitzhandschuhe, Apfelzerteilvorrichtungen, Scheibenwischblatt-Nachschneider

Die Tchiboisierung des Lebens macht vor einer Schulmaterialliste nicht halt. Und so stehen dort Jahr für Jahr neue Produkt-Bezeichnungen, die man a) noch nie gehört hat und die b) Missstände versprechen zu beseitigen, die man noch gar nicht als solche wahrgenommen hat.

Gut, könnte man sagen: That´s capitalism. Erst Bedürfnisse kreieren, dann das passende Zeug verkaufen. Das Ergebnis sind zahlreiche Produkte, die man schön praktisch oder schön doof finden kann: Linkshänderradiergummis, fertig gemischte Tomaten-Mozzarella-Salat-Gewürzmischungen, Schnitzhandschuhe, Apfelzerteilvorrichtungen, Grappa-Gläser, Scheibenwischblatt-Nachschneider, wasserfeste Spielkarten.

Wer denkt, der Markt wäre langsam mal gesättigt, war noch nie in dem Laden, der im Wirtschaftsteil manchmal immer noch "Kaffeeröster" heißt, obwohl der Hauptumsatz vermutlich eher mit Kinder-Soft-Shell-Jacken gemacht wird: Aktuell gibt es dort einen elektronischen Wachhund für 29,95 Euro, der Einbrecher durch "lautes und realistisches Hundegebell" verschrecken soll und einen Saunakilt, der, um in der Hundewelt zu bleiben, an eine Promenadenmischung aus blauem Frotteehandtuch und schottischem Rock erinnert.

Diese Sachen sollte man schon haben, niemand will, wenn der elektronische Wachhund anschlägt, nach dem Saunagang nackt vor einem Einbrecher stehen. Wobei der vielleicht von sich aus die Flucht ergreift, nämlich dann, wenn man sich vor dem Saunagang mit dem "Oktoberfest-Duschgel" eingeseift hat, gerade zu erstehen in einer Drogeriekette, "limited edition". Riecht das nach Bier? Hendln? Zuckerwatte? Erbrochenem? Oder gar einem wilden Mix von allem?

Bei der Schulmaterialliste muss man mitmachen

Da mach' ich nicht mit, könnte man sagen. Ich wasch mich mit Seife, nehme zum Schnitzen und Äpfelzerteilen ein profanes Messer und das Bedürfnis, in der Badewanne Karten zu spielen hatte ich eh noch nie.

Doch bei der Schule ist "Mach' ich nicht mit" keine Option. Das Kind muss hingehen und das Kind muss alles dabei haben, was auf der Materialliste steht. 150 Euro sind da schnell weg, Großanschaffungen wie Ranzen und Hallenschuhe noch gar nicht miteingerechnet.

Für manche Familien ist das sehr viel Geld. Die Schulmaterialliste ist daher nicht der richtige Ort, um auf mittelsinnvolle Spezialprodukte und Markenware zu bestehen. Zudem wollen auch die Eltern, die sich kippsicheren Becher, farblich passendes Schwämmchen und den wasserabweisenden Malkittel mit extra Schwammfach leisten könnten, selbst entscheiden, was davon es wirklich braucht.

Wir haben ein Senfglas ausgewaschen, einen Putzlappen zerschnitten und ein ausrangiertes Hemd von Papa mitgegeben. Ein "Frixion" ist übrigens eine Kreuzung zwischen Kuli und Füller. Ein sogenannter Tintenroller. Und ehrlicherweise gar nicht so schlecht.

Süddeutsche Zeitung Familie
SZ Familie

Dieser Text stammt aus dem Magazin SZ Familie.

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