Dem Geheimnis auf der Spur:Kampf der Giganten

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Auf der schottischen Insel Staffa führen rätselhafte Säulen in die Höhle Fingal's Cave. (Foto: John Warburto/Mauritius images)

Der irische Sagenheld Fionn soll einst eine Brücke nach Schottland gebaut haben, um einen Riesen zu besiegen. Ihre Überreste kann man heute noch sehen.

Von Sofia Glasl

Irland und Großbritannien sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt - natürlich nur bildlich gesprochen, denn selbst an seiner engsten Stelle ist der Nordkanal zwischen den beiden Inseln 21 Kilometer breit. Glaubt man allerdings der irischen Folklore, entstanden einige der Inseln im Nordkanal und der südlicher gelegenen Irischen See genau so: durch einen Steinwurf, wenn auch einen recht kräftigen. Der Held Fionn mac Cumhaill soll einst vor Wut ein Stück aus dem heutigen Nordirland herausgebrochen und einem Widersacher entgegengeschleudert haben. Der Gesteinsbrocken verfehlte sein Ziel und blieb dort liegen, wo sich heute die Isle of Man befindet, etwa 100 Kilometer südöstlich von Belfast. Die entstandene Grube an Land füllte sich mit Wasser und wurde zum Lough Neagh, einem See westlich von Belfast.

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Etliche Gedichte und Sagen schreiben Fionn neben solch versehentlichen Eingriffen in die britische Geografie auch den absichtlichen Bau einiger auch heute noch bekannter Sehenswürdigkeiten zu. Der Giant's Causeway etwa, eine Gesteinsformation an der Nordküste Nordirlands, ist demnach die Ruine eines Damms oder einer Brücke, die Fionn über den Nordkanal gebaut haben soll, um den schottischen Riesen Benandonner zu schlagen. Das Mittelstück der Querung ist nicht erhalten, doch rund 40 000 Basaltsäulen stehen noch bei der Ortschaft Bushmills. Sie sind heute eine Touristenattraktion und Unesco-Weltkulturerbe. Die vorwiegend sechseckigen Säulen bewegen sich als breiter Pfad in Wellen von den Klippen hinunter zum Meer. Die höchsten Säulen sind zwölf Meter hoch und stehen wie Fremdkörper in der nordirischen Küstenlandschaft. Zwischen den umliegenden weichen Hügeln wirken sie wie eine künstlich in den Stein geschlagene Treppe.

Als Fionn merkt, dass sein Gegner viel größer ist, greift er zu einer List

Auch das andere, schottische Ende der Brücke ist erhalten, wenn auch touristisch weniger erschlossen. Auf Landkarten könnte man es fast übersehen: Die schottische Insel Staffa ist nur rund 33 Hektar groß und liegt der Isle of Mull vorgelagert bei den Inneren Hebriden. Am südlichsten Zipfel der kleinen Insel befindet sich eine Höhle, die wie das exakte Gegenstück des Giant's Causeway aussieht: Hexagonale Basaltsäulen führen vom Meer aus zum zwölf Meter breiten und etwa 22 Meter hohen Höhleneingang und von dort aus sogar noch über siebzig Meter tief in das Gestein hinein. Boote können hier nur sehr selten anlegen oder gar in die vom Meer ausgespülte Höhle hineinfahren. Doch führt von oberhalb der Klippen ein Weg über die auch hier von den Säulen gebildeten Stufen mitten in die Höhle hinein. Ist es möglich, dass die beiden Sehenswürdigkeiten tatsächlich die Überreste ein und derselben Brücke sind?

In den verschiedenen überlieferten Fassungen seines Konfliktes mit Benandonner besiegt Fionn den Riesen bisweilen, doch die vorherrschende Erzählung ist in Anbetracht der landläufigen Tapferkeit von Helden eine sympathisch hasenfüßige: Als Fionn merkt, dass der Riese viel größer ist als er selbst, verlässt ihn der Mut. Seine Frau verkleidet ihn als Baby und weist den Riesen ab. Als dieser das in seinen Augen monströse Kind sieht und sich vorstellt, wie groß der Vater erst sein muss, flieht er und reißt hinter sich den Damm ein - der Giant's Causeway ist Geschichte.

Die Insel Staffa ist heute unbewohnt und nur im Sommer mit Bootstouren erreichbar. Womöglich wäre sie jedoch in Vergessenheit geraten, hätte die Höhle im 18. und 19. Jahrhundert nicht einen Hype in der europäischen Künstlerszene ausgelöst. Damals trug sie noch ihren gälischen Namen Uamh-Binn, "The Cave of Melody", da sich das Echo des Meeresrauschens hier besonders fängt. In den 1760er-Jahren jedoch erfuhren die Sagen um Fionn in Großbritannien ein Revival: Der Schriftsteller James Macpherson hatte unter dem Titel "Gesänge des Ossian" mehrere Sammlungen altgälischer Sagen über den König Fingal im mythologischen Königreich Morven der Highlands zusammengetragen und veröffentlicht - zumindest behauptete er das zunächst. Bald stellten sich die Gesänge jedoch als reine Erfindung heraus, angelehnt an die Fionn-Sagen.

Auch Theodor Fontane kam, um sich die Höhle anzusehen

Allerdings war es da schon um Macphersons Leserschaft geschehen: Der Ossian-Zyklus hatte bereits die europäische Kunstszene aufmerksam werden lassen und beflügelte die aufkeimende Romantik. Der Naturforscher Joseph Banks entdeckte die Höhle 1772 nach der Lektüre wieder und taufte sie um in "Fingal's Cave" - unter diesem Namen firmiert sie auch heute noch. Die britischen Romantiker William Wordsworth und John Keats reisten an, ebenso Walter Scott und Theodor Fontane. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy schrieb 1829 unter dem Eindruck seines Besuchs die Ouvertüre "Die Hebriden", William Turner malte zwischen 1831 und 1832 "Staffa, Fingal's Cave". Spätestens jetzt war die Insel ein Pilgerort, den alle, die im viktorianischen England etwas auf sich hielten, gesehen haben mussten.

Doch ist etwas Wahres dran an all den Sagen, Fiktionalisierungen und Überhöhungen? Die Erklärung ist zwar ein wenig profaner als Fionns Steinwürfe und kämpferische Ambitionen, aber dennoch eine geologische Besonderheit: Beide Gesteinsformationen sind vulkanischer Natur und stammen aus dem Paläozän, sind also die Überreste von 60 Millionen Jahre alten Basaltformationen. Säulen wie diese entstehen beim sehr langsamen Abkühlen von Lava, die dann der Länge nach aufreißt und in langen Prismen mit drei- bis achteckigen Grundflächen erstarrt. Der Giant's Causeway und Fingal's Cave, sie sind also tatsächlich miteinander verwandt, wenn auch nicht von Fionn gebaut: Sie sind die sichtbaren Überreste von Millionen Jahre altem Lavagestein, das sich über den gesamten Nordatlantik von Island ausgehend bis nach Grönland, Norwegen und den britischen Inseln erstreckt.

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