Schönheitswahn Dysmorphophobie:Der Feind im Spiegel

Die Hemmung, sich unters Messer zu legen, sinkt stetig. Doch manche treibt der Wunsch nach Schönheit in den Wahnsinn, sagt Psychiater Thomas Schläpfer.

Ulrike Bretz

Schlauchbootlippen sind passé: Die Schönheitschirurgie hat das Zauberwort "Natürlichkeit" entdeckt. Kleine Eingriffe sollen das Wohlgefühl steigern - fast wie beim Wellness-Wochenende. Wer heute nicht schön ist, ist selber Schuld. Die allgegenwärtige Schönheitswahn kann einen aber auch in den Wahnsinn treiben: Immer mehr Menschen leiden an einer dysmorphophoben Zwangsstörung - dem Wahn, hässlich zu sein. Und das, obwohl sie eigentlich ganz normal aussehen.

Professor Thomas Schläpfer, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum in Bonn, hat sich auf die Behandlung von Menschen spezialisiert, die ihren Körper zu ihrem Feind erklärt haben. Mit einer Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie versucht er, den Patienten ein weitgehend normales Leben zu ermöglichen. Eine komplette Heilung aber ist eher unwahrscheinlich.

sueddeutsche.de: Ein glücklicheres Leben durch eine kleinen, sanften Eingriff beim Schönheitschirurgen - das hört sich doch toll an. Finden Sie nicht?

Thomas Schläpfer: Das sind hübsche Worte - dagegen kann zunächst niemand etwas sagen. Und in der Tat: Die Schönheitschirurgie kann Menschen, die wirklich entstellt sind, viel Lebensqualität zurückgeben. Aber der Arzt muss immer abwägen, ob eine Operation wirklich zum Wohlbefinden der Person beiträgt.

sueddeutsche.de: Bei einer von einer Zwangsstörung betroffenen Person wird er wohl nicht immer auf Einsicht stoßen. Welche Makel sehen Patienten mit Dysmorphophobie denn an sich?

Schläpfer: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Sehr häufig sind angebliche Makel der Gesichtshaut, da wird geliftet und gespritzt. Danach stören sie sich an den OP-Narben - es folgen unzählige Eingriffe zur Narbenkorrektur. Ganz viele haben ein Problem damit, wie die Haare fallen. Und es gibt Patientinnen, die mit der Form ihrer Schamlippen nicht einverstanden sind. Ich habe auch schon eine Patientin behandelt, die überzeugt davon war, sie habe abstehende Ohren. Der Chirurg hatte ihr gesagt, da gebe es nichts zu operieren. Da hat sie sich mit Sekundenkleber die Ohren an den Schädel geklebt.

sueddeutsche.de: Wie kann der Schönheitschirurg denn erkennen, ob ein Eingriff sinnvoll ist, oder ob jemand sich einen Makel nur einredet und in Wirklichkeit an Dysmorphophobie leidet?

Schläpfer: Natürlich gibt es eine große Bandbreite, was noch akzeptabel ist. Doch in der Regel kann man sehr gut sagen, ob jemand beispielsweise abstehende Ohren hat oder nicht. Die meisten Kollegen klären das auch richtig ab. Tragischerweise gibt es dennoch viele unnnötige und damit schädliche Operationen.

sueddeutsche.de: Warum lassen sich manche Chirurgen zu so einem Eingriff hinreißen?

Schläpfer: Weil die Patienten fest von ihrem Makel überzeugt sind. Sie bedrängen die Schönheitschirurgen oftmals so sehr, dass diese in eine Operation einwilligen, nur damit die liebe Seele Ruhe hat. Und dann vergessen Sie nicht: Die Entscheidung, einen Patienten zu operieren, hat immer auch ökonomische Konsequenzen. Man muss sich schon im Klaren darüber sein, dass es bei der Schönheitschirurgie weniger um die Behandlung von Krankheiten geht, sondern vielmehr um die Befriedigung von Kundenwünschen.

Auf der nächsten Seite: Wenn der Gedanke an die eigene Hässlichkeit das Leben bestimmt.

Nach der ersten OP wird es schlimmer

sueddeutsche.de: Ist der "Kunde" denn dann wenigstens mit den größeren Brüsten, den volleren Lippen und der geraden Nase zufrieden?

Schläpfer: Nein, die Symptomatik kommt dann meist erst richtig in Gang. Die Betroffenen sind mit dem Ergebnis der Schönheitsoperation nicht zufrieden und wünschen sich die nächste Operation, um die neuen Mängel zu beheben. Oder sie empfinden plötzlich ganz andere Körperteile als entstellt, die auch wieder operiert werden sollten. Viele meiner Patienten haben eine sehr lange Geschichte von Operationen hinter sich. Das ist ganz typisch bei dieser Form von Zwangsstörung.

sueddeutsche.de: Welche Symptome gibt es noch?

Schläpfer: Der Gedanke an die eigene Hässlichkeit kann, wie bei anderen Zwangserkrankungen auch, den ganzen Tagesablauf einnehmen. Ein Fall für den Psychiater wird es dann, wenn der Patient an nichts anderes mehr denken kann. Arbeiten ist dann nicht mehr möglich. Dysmorphophobie ist nicht einfach eine Krankheit der Wohlfühlgesellschaft. Sie kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen - von Depression bis hin zu Suizid.

sueddeutsche.de: Und das, obwohl die Betroffenen eigentlich ganz normal aussehen?

Schläpfer: Genau. Alle Probleme im Alltag werden auf den vermeintlichen Makel geschoben: die erfolglose Bewerbung, der fehlende Partner - alles Unglück hat nur mit den abstehenden Ohren, der großen Nase oder den Narben im Gesicht zu tun.

sueddeutsche.de: Ab wann wird der Glaube, hässlich zu sein, Wahn? Sind die Grenzen da nicht fließend?

Schläpfer: Eine Dysmorphophobie ist keine Off-on-Erkrankung, die man hat oder eben nicht. Das kleinste Symptom kann sich über Monate hinweg zu einer fixen Idee von einem entstellten Körper entwickeln. Die Patienten argumentieren beispielsweise, niemand würde jemanden mit solchen Narben einstellen.

sueddeutsche.de: Nicht ganz zu Unrecht. Bei einer Bewerbung ist das Foto ja auch sehr wichtig.

Schläpfer: Das ist leider absolut richtig. Wir wissen, dass die Attraktivität von Bewerbern eine ganz zentrale Rolle bei der Stellenbesetzung spielt. In gewisser Weise leiden wir wirklich an einem kollektiven Schönheitswahn. Insofern sind Krankheitsbilder wie die Dysmorphophobie auch von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt.

sueddeutsche.de: Nun hat doch wahrscheinlich jeder von uns irgendwo eine Stelle an seinem Körper, mit der er nicht ganz zufrieden ist ...

Schläpfer: Ja, sehr viele Menschen sind mit irgendetwas an ihrem Körper nicht zufrieden, vor allem Frauen. Für sie spielt Attraktivität eine noch größere Rolle, aber auch für Männer wird das Aussehen immer wichtiger.

sueddeutsche.de: Dann leidet die ganze Gesellschaft in gewisser Weise an einem Hässlichkeitswahn?

Schläpfer: Wenn Sie so wollen, ja. Wir sollten uns wirklich Gedanken darüber machen, was normale Ansprüche an die Schönheit sind. Und ob es nicht alternative Quellen der Lebensqualität gibt als nur die äußere Attraktivität.

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