Schönheitsideale:"Brüste haben oft etwas Anarchisches"

'Valerian And The City Of A Thousand Planets' European Premiere - Red Carpet Arrivals

Sängerin Rihanna bei der Premiere des Films "Valerian".

(Foto: Getty Images)

Rihanna zeigt sich mit besonders tiefem Dekolleté und eine Debatte bricht los. Wir haben Soziologinnen gefragt, warum große Brüste so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Egal, ob sie gerade "in" sind oder nicht.

Von Hannah Beitzer

Die Frau ist das einzige Säugetier, das auch dann noch eine runde Brust hat, wenn es nicht stillt. Biologen deuten das als Zeichen, dass die Brust nicht allein zum Babyfüttern da ist. Dass sie so ins Auge fällt, habe mit dem aufrechten Gang der Menschen zu tun. Die Vagina verschwinde beim Menschen zwischen den Beinen, weswegen Frauen die Aufmerksamkeit der Männer mit einem anderen Körperteil auf sich ziehen müssen. Mit ähnlichen Argumenten interpretieren andere Biologen die Brust als eine Art hochgerutschten Po.

Soweit, so gut. Aber das erklärt noch nicht ganz, warum es jedes Mal eine kleine Sensation ist, wenn eine Brust ein Stückchen weiter als sonst aus einem Kleid schaut. Genauer: Wenn es eine einigermaßen große Brust ist. In diesem Sommer gibt die Sängerin und Schauspielerin Rihanna den Anlass für eine neue Brust-Debatte. Sie hatte auf einer Filmpremiere ein Kleid an, in dem man ihr jetzt-auch-nicht-total-riesiges-aber-doch-eindrucksvolles Dekolleté sehen konnte und zack: "Big boobs bounce back", schrieb das Boulevardblatt Sun.

Also etwa: "Große Brüste sind zurück", wobei "bounce" auch "federn, prallen, hüpfen" bedeuten kann. Das wirft Fragen auf: Von welchem Ort sind die großen Brüste denn "zurück"? Ist ihr "Comeback" ein Grund zur Freude? Und warum ist das überhaupt ein Thema?

Aber alles der Reihe nach. Wo waren die großen Brüste in den vergangenen Jahren? Jedenfalls nicht auf der Foto-Plattform Instagram, die ja eine Art Schaufenster der modernen Schönheitsideale ist. Das sagt die Soziologin Anna-Katharina Meßmer, die über Schönheitsoperationen promoviert und sich in diesem Zusammenhang auch mit weiblichen Körperbildern beschäftigt hat: "Auf Instagram sehen wir kleine, feste Brüste." Also kindliche Körper, so ähnlich wie in den 90er Jahren, als alle verrückt nach Kate Moss waren?

Nicht ganz. "Die Brüste werden jetzt schon sexy und weiblich präsentiert, oft in engen Tops oder Sport-BHs", sagt Meßmer. "Aber eben nicht zu sexy, nicht ausladend." Das entspreche dem Körperideal auf Instagram: Durchtrainiert ist das neue Dünn. Ein Frauenkörper soll nicht nur schlank sein, sondern auch noch "gesund" aussehen - ähnliches wird übrigens auch von Männerkörpern erwartet. "Das hat sehr viel mit Selbstkontrolle zu tun", sagt Meßmer. Klar: Moderne Körperbewusste achten auf ihre Ernährung, zählen ihre Schritte mit dem Schrittzähler, lassen eine App ihren Schlaf überwachen, rauchen nicht, treiben Sport.

Große Brüste passen da nicht unbedingt hinein. "Brüste haben oft etwas Anarchisches, sie tun nicht das, was man von ihnen will", sagt Meßmer, "allein, weil man sie nur schlecht muskulär ansteuern kann." Die Soziologin und Körperforscherin Paula-Irene Villa von der LMU nennt das vorherrschende Körperbild "skulptural". Wie Marmorstatuen sähen viele der "Influencer" auf Instagram aus. "Es soll nichts hängen, nichts auslaufen, sich nichts bewegen." Es gilt, den Körper jederzeit unter Kontrolle zu halten.

Das Ideal der "deutschen Brust"

Übrigens ist der Trend zu festen, kleinen Brüsten keine vollkommen neue Entwicklung. "Die ersten Brust-Operationen in der Geschichte waren Brustverkleinerungen", sagt Anna-Katharina Meßmer. Um 1900 herum hätten Frauen sich nach einer kleinen Brust gesehnt, die damals übrigens als "deutsche Brust" galt, wie der Historiker Sander L. Gilman in seinem Buch "Making the body beautiful" schreibt. "Große, ausladende Brüste standen für den Körper schwarzer Frauen, die damals als unzivilisiert und primitiv galten", sagt Meßmer.

Das Ideal der kleinen Brüste hatte damals also viel mit Rassismus zu tun - weswegen Meßmer es bedenkenswert findet, dass sich die Diskussion dieses Sommers wieder an einer schwarzen Frau entzündet.

Warum aber interessiert uns das Thema überhaupt so? "Brüste sind das Körperteil, mit dem Menschen auf den ersten Blick Männer von Frauen unterscheiden", sagt Meßmer. "Deswegen ist die Brust in einer Gesellschaft, die so auf das Geschlecht eines Menschen fixiert ist wie unsere, sehr wichtig." Brüste sind das Sinnbild der weiblichen Erotik. Dazu komme noch ihre Funktion als Nahrungsquelle für Babys, die sie zusätzlich auflädt.

Haben es Frauen mit großen Brüsten schwerer?

Das macht es für Frauen mit großen Brüsten zum Beispiel im Berufsleben, wo Männer in den Chefpositionen dominieren, schwerer. Denn sie sind eben sehr offensichtlich kein Mann, eine besonders starke Abweichung von der männlichen Norm, werden mit Attributen wie "mütterlich" assoziiert - oder eben auf der sexuellen Ebene mit Pornografie, sagt Meßmer: "In Pornos sind große Brüste nach wie vor sehr präsent."

Paula-Irene Villa sagt: "Frauen mit großen Brüsten haben oft Angst, nicht ernst genommen zu werden." Sie beschäftigten sich besonders im Berufsleben intensiv mit der Frage: Was kann ich anziehen, was betont meine Brüste, was kaschiert sie? "Die Brüste sind eine sehr sexualisierte Körperregion. In einem professionellen Zusammenhang wollen oder müssen viele Frauen sie daher unsichtbar machen." Sie sagt aber auch: "Viele Menschen nehmen große Brüste zwar auf den ersten Blick wahr - können diese Wahrnehmung aber relativ rasch abstellen, wenn sie nicht zum Kontext gehört." Wir sind also durchaus in der Lage, die Chemikerin mit den großen Brüsten in erster Linie als Chemikerin wahrzunehmen und zu respektieren. Nicht als Sexsymbol.

Aber mal den Job beseite: Welche Brüste eine Gesellschaft schön findet, hat mit dem idealen Frauenbild der jeweiligen Zeit zu tun. Auf die Phase der "deutschen Brust" folgte zum Beispiel im 20. Jahrhundert eine Phase, in der größere Brüste modern waren, Frauen einerseits mütterlich, anderseits auch sinnlich sein sollten. In den 30er und 40er Jahren lösten daher die Brustvergrößerungen die Brustverkleinerungen als bevorzugte Brustoperation ab, sagt Anna-Katharina Meßmer. Das Ideal der sinnlichen Frau steigerte sich zum archetypischen Sexsymbol des 20. Jahrhunderts, Marilyn Monroe.

Kleine Brüste als Rebellion

In den 60er Jahren war es damit vorbei. "Da sollten Frauen eher androgyn sein, wie zum Beispiel Twiggy", sagt die Soziologin Villa. "Das hatte auch mit dem Geist der Zeit zu tun: Frauen sollten wild sein, verwegen, nicht mütterlich." Die Revolte gegen Konventionen war schick und sexy - und mit ihr kleine Brüste. In den 70er Jahren wurden die sehr zierlichen Frauen in den Hochglanzmagazinen abgelöst von Frauen wie Jane Fonda, die Villa "Aerobic-Frauen" nennt, ihre Körper waren muskulös und straff. Powerfrauen, die sich durchsetzen konnten, ganz im Sinne der Frauenbewegung.

Eine Steigerung erfuhr dieses Ideal in den 80er Jahren, der Ära der Supermodels. "Das Aussehen von Models wie Claudia Schiffer hatte etwas sehr Erwachsenes, Selbstbewusstes." Ihre Brüste waren zwar nicht üppig oder gar ausladend, aber deutlich zu sehen. In den 90er Jahren verschwanden sie hingegen mit dem "Heroin-Chick" wieder. "Es gab bei Models wie Kate Moss eine sehr starke Rücknahme der Weiblichkeit", sagt Villa. Frauen wie Männer in der Werbung wirkten verletzlich, androgyn, geradezu ungesund.

Und heute? "Es gibt durchaus unterschiedliche Körperbilder in den Medien", sagt Villa. Doch generell, ergänzt Meßmer, nähere sich das Ideal des weiblichen Körpers durch die Betonung des Sportlichen, Durchtrainierten, dem männlichen Körper an.

"Es lastet zum Beispiel auf Müttern ein unglaublich großer Druck, nach der Geburt eines Kindes schnell wieder einen straffen Körper zu haben", sagt Meßmer. Das sei eine Abkehr vom Ideal der Mütterlichkeit, viel mehr aber noch ein Zeichen von Kontrolle über den eigenen Körper. Auch die immer wieder präsente Diskussion über Stillen in der Öffentlichkeit sei dafür ein Indiz. "Eine Geburt ist ja ein sehr großer Kontrollverlust. Das passt nicht in unsere Zeit."

Das Entblößen der Brust als Befreiung

Ist ein Dekolleté wie das von Rihanna also tatsächlich ein Befreiungsschlag? Endlich, Frauen mit großen Brüsten, da könnt Ihr die beiden mal wieder ans Licht lassen, freute sich zum Beispiel die Welt. Einerseits eine verständliche Reaktion, findet Anna-Katharina Meßmer: "Aus feministischer Sicht ist jede Entwicklung gut, die darauf aufmerksam macht, dass es unterschiedliche Körper gibt." Wenn sie nur nicht immer gleich im Paket mit neuen Körpervorschriften an Frauen daherkommen würde. "Kleine Brüste sind nicht mehr in Mode", schrieb die Sun in ihrem Jubel-Artikel über Rihanna.

Was einigermaßen absurd ist, als könnte man sich kleine oder große Brüste wie Mom-Jeans oder rosa Sneakers im Internet bestellen und somit den eigenen Körper in das gerade moderne gesellschaftliche Verständnis von "sexy" ändern. Immerhin, nach dieser Logik müsste man einfach nur ein bisschen warten, bis die eigenen Brüste wieder "in" werden - sich dann aber nicht zu lange freuen, denn das nächste "Out" kommt bestimmt.

Dennoch, das "Befreien" der Brust, ganz egal ob groß oder klein, hat als emanzipatorischer Akt eine lange Tradition, sagt Paula-Irene Villa: "Es geht dabei oft um die Überwindungen von Normen, die als unfrei, einengend kritisiert werden." Nicht umsonst ist die entblößte Brust der Marianne das Symbol der französischen Revolution. Auch als Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts das Korsett ablegten, galt das als Befreiung, ebenso das Ablegen von BHs in der Frauenbewegung. "Die Brust ist ja ein spezifisches Merkmal des weiblichen Körpers. Deswegen gilt ihre Entblößung häufig Normen, die speziell Frauen beschränken."

Und so können entblößte Brüste eben auch bedeuten: Hier bin ich, ich bin eine Frau, ich habe Brüste. Und die sind nicht zu Eurer Unterhaltung da.

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