Schönheitsideal im Wandel:Die Verheißung von Glück

Der Skandal um schädliche Brustimplantate wurzelt in der Geschichte eines alten menschlichen Traums: durch künstliche Eingriffe der Medizin schöner zu werden. Doch was früher als vollendet galt, ist heute alles andere als begehrt.

Jeanne Rubner

Bin ich schön? Das hat sich wohl schon jeder einmal gefragt. Und vielleicht insgeheim sogar überlegt, ob nicht die kleinen Fältchen an Augen oder Oberlippe ein wenig Botox verdient hätten. Oder die Nase eine leichte Korrektur. Oder die Brust eine kleine Vergrößerung. Wir wollen schön sein, auch wenn Schönheit nur die Verheißung von Glück ist, wie es der französische Schriftsteller Stendhal treffend beschrieben hat. Aber was überhaupt ist schön?

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Die Sehnsucht nach Schönheit ist so alt wie die Zivilisation. Der Skandal um die minderwertige Brustimplantate sind unter anderem das Ergebnis dieser Sehnsucht: Tausende von Frauen müssen sich die Implantate nun entfernen lassen.

(Foto: AFP)

Die Venus von Willendorf, jene 25.000 Jahre alte Figur mit üppigen Rundungen, die heute als fettleibig gelten würde? Auch wenn die Steinzeitfigur ein Fruchtbarkeitssymbol war - Gebärfähigkeit muss damals, in einer Zeit extrem hoher Sterblichkeit, als etwas besonders Attraktives gegolten haben. Nofretete, Gemahlin des Pharao Echnaton aus dem 14. Jahrhundert vor Christus, würde eher unserem heutigen Schönheitsideal entsprechen: mandelförmige Augen, sinnlicher Mund, schlanke Nase. Doch schon bei der Venus von Milo, einem der großen Werke hellenistischer Kunst, die wie viele antike griechische Frauenfiguren zwar ausgewogene Körpermaße hat, könnte manche Frau von heute mäkeln: zu breite Hüften, zu kleine Brüste. Die Rubens-Damen gar mit ihrem wogenden Fleisch würden heute keinen Schönheitswettbewerb mehr gewinnen - doch so war das Schönheitsideal in den barocken Zeiten der Malerei.

Die Zeit gehört zu den Variablen der Schönheit, aber auch der Ort und die Kultur gehören dazu. Eine universelle Schönheitsformel gibt es also nicht, auch die westlichen Schönheitsideale lassen sich nicht so recht fassen. Die Symmetrie scheint eine Rolle zu spielen, aber nicht nur, denn wenn Testpersonen entscheiden sollen, ob Gesichter schön sind oder nicht, deuten sie auch auf solche mit winzigen Makeln. Ein Durchschnittsgesicht hat paradoxerweise bessere Aussichten als schön zu gelten, und wer sich seine Kindlichkeit - glatte Haut, große Augen, hohe Stirn - erhalten hat, geht oft als schön durch.

Schönheit hat auch mit dem Körperkult zu tun. Die Wertschätzung des Körpers ist enorm gestiegen: Spätestens seit dem Aufkommen des Bürgertums ist er zum Schauplatz des menschlichen Selbstverständnisses geworden, schreibt der Sportprofessor Thomas Alkemeyer von der Universität Oldenburg.

Körper als Kapital

Damals, im 18. Jahrhundert, wurde der Gang aufrecht und stolz - als Unterscheidungsmerkmal zur gebückten Haltung der arbeitenden Klasse. Bürgerliche Leibeserziehung, Freikörperkultur, Bodybuilding verbreiteten sich. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat sogar vom Körper als Kapital gesprochen, das man einsetzen kann. Der Körper ist Materie, die man optimiert, sagt Paula-Irene Villa, Soziologin an der Universität Hannover. Wir setzen uns in gläserne Fitnessstudios, wir gehen joggen, wir legen uns fast nackt an den Strand.

Denn Schönheit von Körper und Gesicht gilt als Garant für Glück und Erfolg: Nicht ganz falsch ist ja die gängige Vermutung, dass schönere Menschen besser durchs Leben kommen. Der US-Ökonom Daniel Hamermesh hat herausgefunden, dass schöne Menschen mehr verdienen als mäßig attraktive - in den USA kann der Unterschied im Schnitt bis zu 90.000 Dollar ausmachen. Zwischen durchschnittlich Aussehenden und besonders Hässlichen beträgt die Differenz sogar 140.000 Dollar. Bevor man aber nun gleich einen Termin beim Schönheitschirurgen vereinbaren will - eine Operation lohnt sich zumindest aus finanzieller Sicht nur selten, warnt Hamermesh.

Man mag sich immer wieder darüber lustig machen und auf die inneren Werte verweisen - wahr bleibt, dass Schönheit und das Streben nach ihr so alt sind wie die Menschheit. Allerdings können es sich heute weitaus mehr Menschen leisten, für Schönheitsoperationen zu bezahlen. Die hässliche Augenfalte, die krumme Nase, das Fett unterm Kinn - sie sind längst nicht mehr Schicksal. Schönheit ist käuflich, sie ist erschwinglich geworden.

Nasen-OP im alten Indien

Als früheste Schönheitseingriffe gelten Operationen der alten Hochkulturen in Indien und Ägypten. An mehr als 3000 Jahre alten ägyptischen Mumien entdeckte man angenähte Ohren, und der indische Chirurg Sushruta, der vermutlich im frühen 6. Jahrhundert vor Christus lebte, listet in seinem umfangreichen Operationskatalog auch eine Art Hauttransplantation auf, ebenso wie Nasenkorrekturen. Insbesondere soll Sushruta Stirnhaut benutzt haben, um eine Nase zu rekonstruieren. Die Inder galten lange als die Nasenoperateure schlechthin, noch im 18. Jahrhundert reisten britische Chirurgen nach Indien, um sich dort fortzubilden.

Generation 50plus erobert die Werbung

Schönheit bis ins hohe Alter - nicht nur in der Werbung wird sie immer wichtiger.

(Foto: ddp)

Erfahrung mit Nasenkorrekturen hatte auch der italienische Chirurg Gaspare Tagliacozzi, der im 16. Jahrhundert lebte. Er publizierte 1597 eine schon früher in Italien entwickelte Technik und machte sie damit in Europa bekannt: Anders als bei der indischen Methode wurde dabei Haut aus der Innenseite des Oberarms entnommen und zu einer Nase geformt. Dass Ohren und Nasen damals beliebte Operationsobjekte waren, hatte einen simplen Grund: Beide Organe wurden oft schnell einmal beim Duell oder im Kampf verstümmelt, auch fiel die Nase häufig als erstes Körperteil dem syphilisbedingten Zerfall anheim. Die Methode wird noch heute als Lappenplastik bezeichnet und bei Weichteilen angewendet, Tagliacozzi wurde dadurch berühmt, und gilt seither als Pionier der plastischen Chirurgie.

Freilich: Schönheitschirurgie war das kaum, es handelte sich eher um die notdürftige Korrektur von unfallbedingter Hässlichkeit. Schönheitsoperationen im heutigen Sinn kamen erst Ende des 19. Jahrhunderts auf, nachdem die Anästhesie so weit entwickelt war, dass Chirurgen sich auch an Operationen wagten, die nicht überlebensnotwendig waren.

Deutsche gehörten zu den Ersten, die sich mit Facelifting und Brustvergrößerung beschäftigten: Der Berliner Chirurg Erich Lexer straffte 1906 als nachweislich Erster ein Gesicht. Ein paar Jahre zuvor hatte der Heidelberger Krebsspezialist Vincenz Czerny bei einer Patientin eine zuvor abgenommene Brust mit Fettgewebe aus dem Oberschenkel rekonstruiert. Allerdings wurde das implantierte Gewebe nicht ausreichend durchblutet, die Folge war, dass es regelrecht abstarb und knochenhart wurde. Zur selben Zeit versuchte Robert Gersuny, ein österreichischer Arzt, mit gespritztem Paraffin Brüste aufzubauen - doch es kam zu heftigen Abstoßungen, und die Methode wurde schnell wieder verbannt.

Brustimplantate aus Wolle

Weitere Versuche in den zwanziger und dreißiger Jahren waren ebenso wenig von Erfolg gekrönt: Glaskugeln, Elfenbein, Wolle - mit allen möglichen Brustimplantaten wurde experimentiert, meist waren die Ergebnisse verheerend. Auch die späteren, schwammähnlichen US-Medizinprodukte wie Surgifoam und Ivalon konnten sich nicht durchsetzen. An der Idee aber hielt man fest.

Amerikas kollektives Gewissen war bis in die fünfziger Jahre gespalten zwischen der Möglichkeit, zunächst noch die Brust so zu belassen, wie die Natur sie geschaffen hatte oder aber sie zu verbessern, sprich: zu vergrößern, setzten sich in den Zeitschriften allmählich üppige Oberweiten unter eng anliegenden Pullovern und Bikini-Oberteilen immer mehr durch. Und so war auch Amerika das Land, in dem die Schönheitschirurgie populär wurde.

Der Schauspieler Clark Gable ließ sich seine Ohren richten, Dean Martin seine Nase begradigen und Burt Lancaster fand nichts dabei, sich gleich liften zu lassen. Dass die frühen Techniken des Faceliftings ziemlich scheußliche Ergebnisse brachten - die gelifteten Faye Dunaway oder Cher sehen aus wie Mumien - störte die wenigsten.

Bei der Suche nach besseren Lösungen hatten sich während des Zweiten Weltkriegs die Firma Corning Glass Works und der Chemiekonzern Dow Chemical zusammengetan und das Schmiermittel Silikon entwickelt, eine chemische Verbindung von Silizium- und Sauerstoffatomen. Der Vorteil dieses Kunststoffs: Er lässt sich leicht auch in steriler Form herstellen. Silikon wurde zuerst in Japan in weibliche Brüste gespritzt. Obwohl es nach dieser Prozedur häufig zu Entzündungen kam, wurde das Verfahren wohl bald so populär, dass es zu einer Silikon- knappheit kam. Später verwendete man medizinisches Silikon, es heißt, dass sich insgesamt 50.000 Frauen zu dieser Zeit spritzen ließen.

Silikon brachte den Durchbruch

Den Durchbruch für die Brustvergrößerung brachten allerdings erst die Silikon-Implantate: 1962 nutzte die mit dem Industrie-Silikon reich gewordene Firma Dow Corning ihr Know-how, um die ersten mit Silikon gefüllten Kissen herzustellen. Das Unternehmen stieg zum Weltmarktführer auf, doch musste es - Ironie des Schicksals - 1995 Insolvenz anmelden, weil fast 20.000 Frauen wegen Gesundheitsschäden die Firma verklagten und mehr als zwei Milliarden Dollar Schadenersatz fällig wurden.

Silikon ist dennoch das Mittel der Wahl für Brustimplantate geblieben, man hat die Füllungen verbessert. Entzündungen sind selten geworden, Komplikationen auch - wenn nicht gerade ein krimineller Unternehmer seinen Profit maximieren will, wie jetzt in Frankreich geschehen. So viel ist sicher: Das Geschäft mit der Schönheit wird weitergehen.

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