Süddeutsche Zeitung

"Schön doof" zu Weihnachtsgeschenken:Wünsch dir was!

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Je älter man wird, desto mehr erwarten Familie und Freunde eine aktive Teilnahme an der Auswahl des eigenen Geschenks. Unser Autor findet, das muss aufhören.

Von Jan Stremmel

Sicher, irgendwo ist auch mal Schluss. Weil man sich ja über vieles beklagen kann, aber doch bitteschön nicht darüber, wunschlos glücklich zu sein. Fein, hätten wir das dann geklärt? Es gibt da nämlich ein dringendes Problem: Ich muss mir was wünschen. Sehr bald.

Ungefähr fünf verschiedene Menschen warten darauf. Meine Eltern, meine Schwester, meine Oma und die Mutter meiner Freundin. Sie schicken Nachrichten, sie sprechen auf die Mailbox. Manchmal lassen sie über Dritte, die mir noch näher stehen als die Mailbox, sogar ausrichten, ich möge doch bitte "endlich" mitteilen, "was ich denn gerne hätte".

Es ist schlimm. Und jeden Morgen, an dem andere Menschen ein Türchen im Adventskalender öffnen und glücklich seufzen, weil Weihnachten wieder einen Tag näher ist, wird das Problem größer: Menschen, die einen mögen, erwarten, dass man ihnen sagt, was sie einem schenken können. Damit sie damit dann wiederum zeigen können, dass sie einen mögen. Seufz.

So sitzt man also abends todmüde vor dem Computer und durchstöbert den großen Internetladen auf der Suche nach irgendwas, das man geschenkt bekommen könnte. Das ausreichend luxuriös ist, um als wertiges Geschenk durchzugehen - aber auch nicht unbescheiden teuer. Und lieferbar bis zum 23.!

Amazon ist ein großer Wunschvernichter

Nennt man das vielleicht Erwachsenwerden? Je eigenständiger einen die engsten Angehörigen wahrnehmen, desto mehr erwarten sie offenbar aktive Teilnahme an der Auswahl eines geeigneten Geschenks. Das ist doppelt vertrackt, weil einen "Wunsch" zu haben als Erwachsener doch Unsinn ist. Früher führte man ab dem Spätsommer eine Liste an Wünschen, deren Zusammensetzung und Hierarchie bis Weihnachten wohlbedacht austariert werden musste. Wenn man aber heute gerne einen, sagen wir, Designer-Schneebesen hätte, bestellt man sich halt einen.

Übrigens ist das ein Vorwurf, den man Amazon viel zu selten macht: Es ist ein großer Wunschvernichter! Dazu kommt eine mit dem Alter offenbar wachsende Unsicherheit seitens der Freunde und Familie, einfach irgendwas zu schenken. Je erwachsener man ist, desto mehr gilt das unabgesprochene Präsent als potenzielles Fettnäpfchen, das es zu vermeiden gilt. (Trägt er überhaupt Schals? Wünscht er sich nicht doch vielleicht lieber eine Baggerfahrt bei Jochen Schweizer?) Auf der anderen Seite gilt die Weigerung, einen Wunsch zu äußern, als geradezu respektlose Übergriffigkeit.

Ja, das ist absurd. Vor allem, weil doch gerade wieder alle klagen, sie müssten am Samstag "nochmal in die Stadt", sie hätten ja "noch gar keine Geschenke". Ich finde, wir müssen uns entscheiden. Entweder, wir schreiben ausnahmslos alle wieder Wunschzettel - dann darf niemand mehr über Stress bei der Geschenkesuche klagen, weil die ja dann nur noch eine gut planbare Geschenke abholung wäre. Oder wir jammern weiter über den höllischen Stress mit der Suche. Aber dafür fragt dann bitte niemand mehr, was wir uns wünschen. Dann quält sich gefälligst jeder selbst.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2015
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