Süddeutsche Zeitung

Schön doof:Teilchenphysik

Zur Weißwurst gehört eine Breze unbedingt dazu. Das sagen nicht nur Experten, das sagen alle, die diesem Ernährungskonzept zusprechen. Aber taugt sie auch als Welterklärungsmodell, fragt sich Titus Arnu. Es kommt wie immer auf den Senf an.

Quarks und Quanten haben nicht viel mit Quarktaschen zu tun. Teilchenphysik ist nicht die Lehre von Nusshörnchen, Mohnschnecken und Streuselstücken. Es geht hier um Teilchen, die den gesamten Kosmos beeinflussen: Die Teilchen-Forscher David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz bekommen den Physik-Nobelpreis 2016; sie haben "eine Tür zu einer unbekannten Welt geöffnet, in der Materie seltsame Zustände annehmen kann", heißt es in der Begründung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Wie seltsam diese Zustände sind, demonstrierte Thors Hans Hansson vom Nobelpreiskomitee mit einer Brezel, einem Bagel und einer Semmel.

Früher benutzten Menschen Orangen, Äpfel und Trauben, um Planetenbahnen anschaulich zu machen. Noch früher hieß es, die Erde sei flach wie eine Scheibe Salami. Die Wikinger glaubten, vor der Entstehung der Welt existierte nur ein Abgrund namens Ginnungagap, der mit den sterblichen Überresten eines bösen Riesen gefüllt wurde - aus seinem Blut entstanden das Meer und alle anderen Gewässer, aus seinem Fleisch die Erde und aus seinen Knochen die Berge, aus den Haaren wurden die Bäume, aus dem Hirn die Wolken, seine Hirnschale wurde zum Himmel.

Ein Himmel aus Hirn, Hilfe! Das klingt total irre, aber es ist immer noch leichter vorstellbar als das Forschungsgebiet von Thouless, Haldane und Kosterlitz. Es geht dabei um "Drehimpuls-Änderungen von Teilchen (Spins)". So, und jetzt kommen die Gebäckstücke ins Spiel. Zur Erklärung ihres Modells benutzten die Physiker Methoden der Topologie. In diesem Teilgebiet der Mathematik geht es grob gesagt um Eigenschaften von Objekten, die sich durch Verformung nicht prinzipiell ändern. Ein Donut etwa lässt sich zu einer Tasse mit Henkel umformen, beide sind theoretisch gesehen gleich: Sie haben genau ein Loch, das Brötchen hat keines, die Breze dafür zwei oder drei Löcher.

Und was bringt das im Alltag? Es ist nicht so leicht, da seinen Senf dazuzugeben. Ein Donut lässt sich vielleicht mit etwas Geschick zu einer Tasse umformen - aber der Kaffee würde sofort versickern. Nein, man muss das global sehen, und dann wird ein Schuh daraus (der hat im Idealfall auch nur ein Loch). Eine Breze als Welterklärungsmodell, was könnte aus bayerischer Sicht schöner und logischer sein? Zusammengefasst hat uns diese Nobelpreis-Woche eine seltsam verschlungene Erkenntnis gebracht. Die Erde ist keine Scheibe. Sie ist eine Breze!

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Quelle:
SZ vom 08.10.2016
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