Kolumne „Schön doof“ Schluss mit dem P-Wort!

Lesezeit: 2 Min.

(Foto: Markus Hertrich/dpa)

Von Frauenmördern bis Markus Lanz: „Problematisch“ ist das Modewort unserer Zeit. Es passt irgendwie auf alles, ist bei genauerer Betrachtung aber ziemlicher Quatsch. 

Von Jan Stremmel

Was haben folgende Dinge gemeinsam: die Gästeauswahl bei „Markus Lanz“. Das propalästinensische Protestcamp an der LMU. Der lässige türkische Olympia-Pistolenschütze. Das Jugendwort „Talahon“. Ein Frauenmörder namens Wade Wilson. Und Oliver Pocher. Na? Alle gelten auf Tiktok, X und Threads, den Meinungsmarktplätzen der Gegenwart, in dieser Woche als „problematisch“.

Problematisch ist das Modewort unserer Zeit. Ein Adjektiv wie ein Maler-Overall aus dem Baumarkt: Es passt irgendwie auf alles, erfüllt halbwegs zuverlässig seinen Zweck.

Doch es ist, wenn man mal genauer hinschaut, ziemlich fadenscheinig. Gleichzeitig mit einer zunehmend erhitzten Streitkultur im Netz und im echten Leben hat sich in den vergangenen Jahren sprachlich eine auffallende Vagheit ausgebreitet. Wo früher im Diskurs Argumente möglichst konkret zerlegt und kritisiert werden mussten – zum Beispiel als irreführend, geschmacklos, glatt gelogen – passt nun scheinbar alles unter ein nebulöses sprachliches Konstrukt: „problematisch“. Von falschen Aussagen über unliebsame Meinungen bis hin zu unmoralischen Handlungen kann es absolut alles meinen – mitunter sogar ganze Menschen. Ist das nicht ein bisschen, Verzeihung: problematisch?

Die Karriere des Worts, dessen Erwähnung in Google-Suchanfragen sich in den vergangenen fünf Jahren etwa verdoppelt hat, ist einerseits Zeichen einer gewissen Faulheit: Weil, genauer analysieren, was nun eigentlich genau problematisch ist, zum Beispiel an der Podcasterin Jule Lobo oder dem „Tagesschau“-Sprecher Constantin Schreiber, das müsste dann bitte mal jemand anders. Kein Wunder, dass das Wort oft in bewusst vage gehaltener Frageform auftaucht: „Finde eigentlich nur ich es problematisch, dass ...?“

Das Wort ist Ausweis einer Überforderung

Andererseits ist das Wort auch Ausweis einer berechtigten Überforderung. Wir leben in Zeiten, in denen enorm viel Widerspruchsarbeit nötig ist. Wann musste sich je eine Generation mit so viel diskursivem Stumpfsinn, so viel reichweitenstarker Idiotie beschäftigen wie im Zeitalter von Social Media? „Problematisch“ ist damit auch eine Art bequeme Dog Whistle der Progressiven, die der eigenen Gruppe signalisiert: Über dieses Thema oder jene Person müssen wir gar nicht mehr reden. Genaueres dann irgendwann.

Nur nimmt der Breitbandbegriff damit selbst rechtmäßiger Kritik den nötigen Biss. Vom Bond-Bösewicht Elon Musk bis zur Buchautorin Sophie Passmann ist das Spektrum der in letzter Zeit als problematisch gelabelten Menschen dann eben doch etwas arg weit. Und wie griffig und genau klingen dagegen Wörter wie sexistisch, unlustig, reaktionär, weltfremd oder rassistisch! Oder warum nicht mal wieder eine Aussage als „strunzdumm“ bezeichnen, wenn sie’s nun mal ist? Alles besser als ein Allzweck-Adjektiv, das mit jeder Verwendung an Bedeutung verliert.

Jan Stremmel reagiert auf dummes Gelaber im Alltag selbst oft mit einem Allzweck-Ausruf aus dem Netz: „Lol“.
Jan Stremmel reagiert auf dummes Gelaber im Alltag selbst oft mit einem Allzweck-Ausruf aus dem Netz: „Lol“. (Foto: Bernd Schifferdecker)
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