Schön doof:Leise rieselt der Schnee

Schön doof: Illustration: Bene Rohlmann

Illustration: Bene Rohlmann

Weihnachten ist die Zeit der Weihnachtsmärkte und des Vorweihnachtsgeschäfts. Es ist aber auch die Zeit der permanent und überall laufenden Weihnachtsmusik. Hilmar Klute findet das unvermeidlich. Und er weiß: Alles endet irgendwann.

Von Hilmar Klute

Weihnachten ist die Zeit der Weihnachtsmärkte und des Vorweihnachtsgeschäfts. Es ist aber auch die Zeit der permanent und überall laufenden Weihnachtsmusik. Unser Autor findet das unvermeidlich. Und er weiß: Alles endet irgendwann

Das Erstaunliche an Weihnachten ist ja, dass seine Vorboten als degoutant, konsumterroristisch und geschmacksverirrt angesehen werden, während das Fest an sich in unseren Köpfen und Herzen relativ gut aufgestellt ist. Anders gesagt: der Heilige Abend und seine beiden sanften Brüder, die Weihnachtsfeiertage, gelten als soweit in Ordnung. Allein der lange Weg zum Fest macht die Seele irgendwie klebrig. Weihnachtsmärkte gelten im allgemeinen Empfinden der urbanen Menschen als Fressbuden, Weihnachtsfeiern werden als Trinkgelage und als Gelegenheiten für billig zu habende Affären mit Kollegen geächtet; das Weihnachtsangebot in den Kaufhäusern wird als zivilisatorisches Entfremdungsgedöns im Adorno'schen Sinn wahrgenommen, aber am schlimmsten, heißt es, sei die unablässige Gegenwart von Weihnachtsliedern im öffentlichen Raum.

Der öffentliche Raum ist seit einigen Jahrzehnten das, was früher die Kirchen waren: voller Menschen und Lieder. Die Weihnachtsmusik gilt in der abendländischen Kultur als "froher Schall" und darf darum überall abgespielt werden, wo wir Menschen sind. Und wir Menschen sind bekanntlich bei Kik, bei Eduscho, im Kaufhaus des Westens, beim Beck am Rathauseck und in der Frankfurter Zeil. Besonders zu Weihnachten sind viele von uns dort, und falls wir einmal vergessen sollten, warum wir ein Kaufhaus betreten, erinnert uns die Weihnachtsmusik daran, dass wir Geschenke kaufen sollen. Oder anders gesagt: dass wir all das Zeug, das wir in den Regalen und Wühltischen sehen, als potenzielle Geschenke wahrnehmen.

Die Ware an sich ist ja beziehungslos, hat Theodor W. Adorno in den Minima Moralia geschrieben. Wenn wir aber bei der Ansichtigwerdung des Kult Pro Power Entsafters von Philips zum Beispiel das "Fallt mit Danken fallt mit Loben" aus dem Bach'schen Weihnachtsoratorium hören, wird der Entsafter unter Umständen dermaßen kulturell aufgeladen, dass wir ihn umgehend kaufen.

Weihnachtslieder im öffentlichen Raum sind die sakralen Gleitmittel für unseren soziologisch so schlecht beleumundeten Konsum. Sie wollen uns sagen: Was immer du jetzt kaufst, erwirbst du in einem anderen, im schönsten Fall höheren Geist, dem Geist des Schenkens! Und dazu gibt es noch eine kleine Handreichung für den unzuverlässigen Verstand. Wer die Texte der Weihnachtslieder übers Jahr vergessen hat, wird in der Haushaltsabteilung von Karstadt daran erinnert, dass die zweite Zeile des sehr alten Lieds Es ist ein Ros entsprungen, "aus einer Wurzel zart" lautet und keineswegs, wie der respektlos kalauernde Großvater dem Enkel weismachen wollte: "aus einem Pferdestall".

Die Weihnachtsmusik ist eine Art spiritueller Starkstrom, der uns in diesen Wochen durch die Fußgängerzonen, Kaufhäuser und am Ende in die Cafés und Restaurants treibt. Man muss damit leben, man kann auch mitsingen und man sollte unbedingt wissen: Es geht von der Weihnachtsmusik keine unmittelbare Gefahr aus.

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