Kolumne: Vor Gericht:Richter ohne Roben

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Schöffen sind das Rückgrat der Strafjustiz. Warum aber wollen nur so wenige Menschen diesen Job machen?

Von Verena Mayer

Das Bild, das die meisten Menschen von der Strafjustiz haben, ist folgendes: ein undurchdringlicher Apparat, auf den man als Normalo keinen Einfluss hat. Das Gegenteil ist der Fall: Ohne Normalos wäre ein Großteil der Strafjustiz gar nicht möglich. Damit Urteile gesprochen werden können, müssen in jeder Strafkammer Schöffinnen oder Schöffen sitzen.

Wie zeitgemäß die Beteiligung von Laien an der Rechtsprechung ist, wird gerne diskutiert. Die einen halten sie für einen Grundstein der Demokratie: Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus, so steht es im Grundgesetz. Die anderen sehen darin ein Relikt des 19. Jahrhunderts. Vor allem, weil es so schwierig ist, Menschen für dieses Ehrenamt zu finden. Sie werden nach einem komplizierten System für eine Amtsperiode von mehreren Jahren gewählt. Gerade suchen deutsche Gerichte wieder händeringend Zehntausende Leute, die Zeit und Lust haben, einen Teil ihres Lebens als eine Art Nebendarsteller vor Gericht zu verbringen. Um einen Job zu machen, für den es weder Lohn noch Anerkennung gibt, der langwierig ist und manchmal sehr langweilig sein kann.

Oft konnten Gerichtsverhandlungen nicht starten, weil ein Schöffe im Stau stand

Ich selbst finde ja, dass sich jede und jeder einmal im Leben für dieses Amt bewerben sollte. Nicht nur, weil die Justiz auf Freiwillige angewiesen ist. Sondern auch, weil man vor Gericht Einblicke in die Gesellschaft bekommt, die man sonst nicht hat. Ein Schöffe hat mir einmal erzählt, dass er den Angeklagten und Zeuginnen immer ins Gesicht sehen könne - eine Perspektive, die die meisten Prozessbeteiligten nicht haben.

Vor allem aber gibt es wohl kaum einen anderen Ort, an dem die eigene Stimme so sehr ins Gewicht fällt. Eine Große Strafkammer mit drei Berufs- und zwei Laienrichtern darf jemanden nur dann zu einer Strafe verurteilen, wenn sich mindestens vier Richter dafür aussprechen. Stimmen beide Schöffen dagegen, muss der Angeklagte freigesprochen werden. Die Richterinnen und Richter ohne Robe entscheiden also nicht zuletzt darüber, was Recht und Unrecht ist.

Wie verantwortungsvoll ein Job ist, merkt man immer daran, wie viel schiefgehen kann. Ich habe es unzählige Male erlebt, dass eine Gerichtsverhandlung nicht starten konnte, weil ein Schöffe im Stau stand. Ein langwieriger Prozess um den Tod eines Kindes platzte, weil am Tag der Urteilsverkündung einer der Schöffen starb. Der ohnehin schon für alle Beteiligten schwierige Prozess musste noch einmal komplett aufgerollt werden.

Und immer wieder beschäftigen die Schöffen selbst die Gerichte. Weil ein Laienrichter zu Beginn einer Verhandlung unaufmerksam war beziehungsweise "für mindestens eine Minute lang die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet und eine erschlaffte Sitzhaltung eingenommen hatte", wie der Bundesgerichtshof später feststellte, musste die Anklage neu verlesen werden. Noch schlimmer traf es einen Schöffen aus Duisburg, der in einem Mafiaprozess urteilen sollte, es ging um internationalen Kokainhandel. Weil er während der Aussage des Kronzeugen eingeschlafen war, wurde er für befangen erklärt und aus der Strafkammer entfernt.

Kolumne: Vor Gericht: An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten.

(Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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