Warten und Anstehen:Von Menschentrauben und Schlangenlinien

Strandbad Wannsee

Nicht gerade wie mit dem Lineal gezogen, aber noch als Reihe zu betrachten: eine Warteschlange vor dem Strandbad Wannsee.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Nicht jeder verliert in der Schlange die Nerven, manche verdienen auch Geld damit. Über die Kultur des Anstehens in anderen Ländern.

Von Violetta Simon

Nicht jeder verliert in der Schlange die Nerven, es gibt durchaus kulturelle Unterschiede im Umgang mit der Ansteherei. Experten sprechen Bürgern sozialistischer Staaten zum Beispiel eine sogenannte "Schlangenmentalität" zu, weil sie aus Zeiten des Sozialismus lange Wartezeiten gewöhnt sind und sich in der Regel geduldiger verhalten. Auch stellten sich Leute manchmal an, ohne zu wissen, was es zu Kaufen gab. Mitunter, um Neuigkeiten zu erfahren und sich unbehelligt auszutauschen.

Einen tadellosen Ruf genießt Schlangestehen in Japan. Dort gilt das Motto "hayai mono gachi" - was wir in etwa mit "Der frühe Vogel fängt den Wurm" übersetzen würden. Sei es für den Mittagstisch, das neueste Apple-Gadget oder Konzertkarten: Sich für etwas anzustellen, lohnt sich immer. Immer mehr Menschen verdienen sogar Geld damit, diese Aufgabe für andere zu übernehmen. Auch in den USA und Europa gibt es mittlerweile Agenturen und entsprechende Apps, die professionelle Ansteher vermitteln.

Den Briten, quasi den Erfindern des sogenannten "Queuings", wird ohnehin Disziplin und Contenance in allen Lebenslagen nachgesagt. Zum Beispiel würde es einem Briten nie einfallen, bei Öffnung einer weiteren Kasse einfach von hinten nach vorne ans Laufband zu schießen, als würde der Vordermann im Weg stehen und nicht in der Reihe.

Die Italiener kennen zwar den Ausdruck "Fare la fila" oder "Stare in coda", bilden aber auch gerne Trauben, wie man in Bars und Cafés häufig beobachten kann: Die Gäste überlassen sich vertrauensvoll der Aufmerksamkeit des Barista und nutzen die Zeit lieber zum Reden. Auch sonst setzen Italiener auf Kommunikation: Wer einen öffentlichen Raum betritt, erkundigt sich, wer als Letzter dazukam.

Menschentrauben sieht man in Schweden kaum, an der Bushaltestelle stehen Wartende schön brav hintereinander. Und wenn eine Schlange keinen Platz hat? Blogs wie Hejsweden berichten, dass man in Ämtern, Apotheken und Läden mit Servicetheken einen Nummerlapp (Nummernzettel) zieht und wartet, bis die Nummer erscheint und ein "Bing" oder "Di-dööö" erklingt.

Von den US-Amerikanern darf man wohl behaupten, dass sie geradezu leidenschaftlich in Schlangen warten. Eine Stunde für ein Sandwich anstehen, einmal um den Häuserblock für ein Theaterticket? Keine Seltenheit. Besonders ausdauernd scheinen die New Yorker zu sein. Die Schlangen der Foodies, die sich für ein angesagtes Hype-Gebäck, ein Waffeleis oder eine Teigmischung anstellen, ziehen sich oft über Hunderte von Metern.

Noch länger standen wohl nur die Kanadier im Oktober 2018 für etwas an - als Justin Trudeau den Verkauf von Marihuana legalisierte.

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