Schlaf: Negatives Image:Schlafbedürfnis - ein Fehler der Evolution?

Schlaf ist gesund, doch in der Realität gilt er als Manko, dem der Kampf angesagt wird. Immer mehr Menschen wehren sich gegen diese Vorstellung.

Franziska Seng

Lange Zeit rätselten Forscher über den Nutzen nächtlicher Ruhe: "Wenn der Schlaf nicht eine absolut lebenswichtige Funktion hat, dann ist er der größte Fehler, der dem Evolutionsprozess je unterlaufen ist", urteilte der US-Amerikaner Allan Rechtschaffen, ein Pionier der Schlafforschung, im Jahr 1978. Und obwohl wissenschaftliche Studien mittlerweile die positive Wirkung des Schlafs auf den Organismus belegen, gilt er in der Realität noch immer als fehlerhafte Begleiterscheinung, die so weit wie möglich ausgemerzt werden muss.

Schlaf Karriere

Ein kurzer Mittagsschlaf steigert die Leistungsfähigkeit - dafür haben viele Mitarbeiter mit Imageproblemen zu kämpfen.

(Foto: Foto: istock)

"Wer von der Heiligkeit des Schlafes spricht, hat die letzten zwanzig Jahre verpennt", resümiert eine Figur in dem auf Fakten basierenden Roman Wir schlafen nicht, für den die Schriftstellerin Kathrin Röggla Ansichten moderner Berufstätiger protokollierte und einen Nerv der Zeit trifft: Wer schläft, so die gängige Vorstellung, der arbeitet nicht, ist nicht wettbewerbsfähig. Denn die Konkurrenz schläft bekanntlich auch nicht. Doch es gibt immer mehr Menschen, die gegen diese Vorstellung ankämpfen.

Im Büro gilt nicht selten derjenige als Leistungsträger, der mit möglichst wenig Schlaf auskommt - oder dies zumindest behauptet. Wer dagegen zugibt, ausgiebig Schlaf zu benötigen, gerät schnell in den Verdacht, träge, nicht belastbar und faul zu sein. Gerne wird in diesem Zusammenhang Napoleon mit seinem berühmten Ausspruch zur angemessenen Schlafenszeit zitiert: "Vier Stunden die Männer, fünf die Frauen und sechs die Dummköpfe." Was verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass Napoleon tagsüber oftmals eingenickt sein soll vor Müdigkeit, manchmal sogar reitend auf seinem Pferd.

Männliches Machogehabe, das von Frauen kopiert wird

Professor Jürgen Zulley, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Universitätsklinikum Regensburg, steht den Napoleon-Verfechtern skeptisch gegenüber: "Die Prahlerei unter Kollegen, wenig Schlaf zu brauchen und trotzdem stark und leistungsfähig zu sein, ist männliches Machogehabe. Es wird aber auch von Frauen kopiert", so Zulley in einem Gespräch mit sueddeutsche.de. Befeuert werde solches Verhalten noch durch die Aussagen von Prominenten. "Vor der Presse betonte Edmund Stoiber gerne, ihm würden vier Stunden Schlaf reichen", so Zulley, "gleichzeitig wird berichtet, dass er bei Sitzungen nicht selten wegdöste."

Eine Ursache für das negative Image des Schlafs sieht Zulley unter anderem im westlichen Arbeitsethos: "Schlaf passt nicht zu unseren Vorstellungen von einer Leistungsgesellschaft. Dabei ist er ein höchst aktiver Zustand, in dem zum Beispiel erlerntes Wissen verarbeitet und gefestigt wird. Wir brauchen Schlaf, um wirklich leistungsfähig zu sein." Zu wenig sei dagegen fatal: "Schlafmangel beeinträchtigt den Organismus wie Alkohol. Nach einer durchgearbeiteten Nacht sind Sie so zurechnungsfähig wie mit einem Promill Alkohol im Blut."

Wir bleiben lange in der Arbeit, um den Kollegen zu imponieren, kommen am nächsten Tag unausgeschlafen ins Büro, arbeiten unkonzentriert, liefern schlechte Leistungen und können aufgrund des Stresses, den diese Belastung verursacht, bald noch weniger schlafen? Befinden wir uns also in einem Teufelskreis?

Ein einfacher Trick für mehr Schlaf

"Ich sehe erste Anzeichen eines Wandels", so Jürgen Zulley. "Mittlerweile gibt es zum Beispiel einige Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Räume für einen kurzen Mittagsschlaf zur Verfügung stellen." Mitverantwortlich für diesen Wandel sind auch Menschen wie Arianna Huffington und Cindi Leive.

Beiden kann man nicht vorwerfen, träge oder faul zu sein: Die 59-jährige Huffington ist Mitbegründerin und Chefredakteurin der Online-Zeitung Huffington Post, Sachbuchautorin und alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern. Leive ist 43, Chefredakteurin der Glamour und ebenfalls Mutter von zwei Kindern. Zusammen haben sie die "Sleep Challenge 2010" ins Leben gerufen. Als Neujahrsvorsatz haben sie sich nicht weniger vorgenommen, als zu schlafen: Arianna Huffington acht Stunden, Cindi Leive siebeneinhalb Stunden pro Tag. Die negativen Auswirkungen des Schlafmangels hatte Huffington bereits in der Vergangenheit schmerzhaft zu spüren bekommen: Vor Erschöfpung war sie ohnmächtig geworden, sie brach sich das Wangenbein und musste mit fünf Stichen genäht werden.

Einen Monat sollte das Experiment dauern, über das Huffington und Leive in einem Blog berichteten. Vor allem an die Frauen wollten sie sich wenden, stellen sie doch die Mehrzahl jener, die über Schlafmangel und Schlafprobleme klagen. "Frauen, die sich zwingen, mit wenig Schlaf auszukommen, werden niemals wissen, zu welchen Höchstleistungen sie fähig sind", so die beiden in ihrem Blog. Und sie werden noch deutlicher: "Frauen, es ist Zeit, dass ihr euch nach oben schlaft. Buchstäblich."

Dieses Projekt, auch wenn es nur einen Monat dauerte, gibt Hoffnung. Nicht nur, weil sich bei beiden Frauen innerhalb kürzester Zeit die positiven Auswirkungen bemerkbar machten. Arianna Huffington etwa stellte fest, dass sie plötzlich ohne Wecker aufwachte, pünktlich, frisch und ausgeschlafen.

Was noch erstaunlicher erscheint, ist jedoch die Tatsache, dass es selbst mit Familie und anstrengendem Job möglich ist, den gesetzten Schlaf-Vorsatz halbwegs einzuhalten. Huffingten hat sich dazu eines einfachen, aber sehr wirksamen Tricks bedient: "Ich merkte, wie wichtig es war, Schlafen als eine Priorität anzusehen. Ich machte einen Schlaf-Termin aus und behandelte ihn so ernst, als wäre es ein Geschäfts- oder Arzttermin", schreibt die Bloggerin rückblickend über das Projekt. Fest gewillt, auch in Zukunft an ihren neuen Schlafgewohneiten festzuhalten.

Huffington erhielt großes Feedback auf die Aktion: "Hunderte Leute haben mir geschrieben oder mich auf der Straße aufgehalten, um mir von ihren Schlaferfahrungen zu erzählen - oder ihrem Mangel daran." In der Kommentarfunktion des Blogs tauschten sich die Leser über ihre Schlafprobleme aus und gaben sich Einschlaftipps, etwa sich abends einen Wecker für die Schlafenszeit zu stellen oder den Laptop strikt aus dem Bett zu verbannen.

Mit ihrem Blog haben Huffington und Leive darüber hinaus bewirkt, dass die Problematik in den US-amerikanischen Medien an Popularität gewinnt. Und auch Tony Schwartz, Journalist, Bestsellerautor und Unternehmenscoach hat in seinem neuesten Buch The Way we're working isn't working dem Schlaf ein ganzes Kapitel gewidmet. "Schlaf oder stirb" ist es benannt und unter anderem werden darin Katastrophenfälle aufgezählt, die auf Schlafmangel von Beteiligten zurückzuführen seien: die Kernschmelze im Three-Mile-Island-Kraftwerk, das Tankerunglück der Exxon Valdez und die Explosion der Challenger.

Vielleicht würden damit auch hartnäckige Kurzschläferinnen und Kurzschläfer wie Sabine Christiansen überzeugt werden können, die in einer ihrer Sendungen verlauten ließ: "Die Deutschen schlafen zu lange. Eine Kuh beispielsweise kommt mit drei bis vier Stunden Schlaf am Tag aus. Ich auch."

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