Süddeutsche Zeitung

Schicksal:Pass ins Leben

Als Ghizela Fekete an Leukämie erkrankt, bedeutet das für die Rumänin ein Todesurteil. Doch es kommt anders.

Von Peter Münch

Sie sitzt im Garten und lächelt. Es ist ein strahlendes Lächeln. "Normalerweise gehen wir nicht viel raus", sagt Ghizela Fekete. "Tagsüber ist es zu heiß, außerdem müssen wir aufpassen wegen Corona", ergänzt ihr Mann Csaba. Doch jetzt, am frühen Abend, hat sich die israelische Sommerschwüle ein wenig gelegt und es weht sogar ein leichter Wind. Es ist Zeit zum Genießen, zum Entspannen, soweit das möglich ist. "Mein Blut ist sauber, es geht mir gut", sagt Ghizela Fekete. "Aber ich habe trotzdem dauernd Angst."

Es ist die Angst vor der Krankheit, die sie erwischt hat wie ein Überfall, die scheinbar weg war und dann wiederkam: ALL, Akute lymphatische Leukämie. "Akut heiß schnell, heißt aggressiv", erklärt Csaba Fekete. Ghizela atmet durch. Seit zwei Jahren kämpft sie mit dieser Krankheit, seit der Diagnose im Oktober 2018. Sie hat alle nur möglichen Behandlungen bekommen und die neuesten Medikamente. Doch was am Ende ihr Leben gerettet hat, war etwas anderes: ein neuer Pass.

Ghizela Fekete, Lehrerin aus Cluj, vormals Klausenburg in Rumänien, ist nun israelische Staatsbürgerin. Wie es dazu kam und warum das geholfen hat, ist eine Geschichte voller Wendungen und kleiner Wunder, und sie beginnt mit einem Todesurteil. Zehn Tage gaben ihr die Ärzte in Rumänien noch, dann hätte eine rettende Chemotherapie mit anschließender Knochenmarktransplantation beginnen müssen. Doch für eine solche Behandlungen gibt es lange Wartelisten. Keine Chance, sagten die Ärzte zu Hause - und empfahlen als letzte Hoffnung eine Behandlung im Ausland. Sie nannten eine Klinik in Belgien, eine in Heidelberg und das Sheba-Hospital in der Nähe von Tel Aviv, Israels größtes und modernstes Krankenhaus.

Zehn Tage. "Von Anfang an war es ein Rennen gegen die Zeit", sagt Csaba Fekete. Er schrieb sofort an alle drei Kliniken. Die Belgier, so erzählt er, lehnten ab, die Heidelberger antworteten nicht, die Israelis riefen nach zwei Tagen an. "Asher" hieß der Anrufer, daran erinnern sich noch beide. Asher von der "Abteilung für medizinischen Tourismus", und er sagte, sie könnten sofort kommen. Einzige Bedingung: 100 000 Dollar müssten hinterlegt werden für die Behandlungskosten, umgerechnet rund 85 000 Euro.

Freunde haben geholfen, das Geld aufzubringen. "Das war unglaublich", sagt Ghizela Fekete. Als Lehrerin hat sie in Rumänien 500 Euro im Monat verdient, das sind die Relationen. Wiederum zwei Tage später saßen Ghizela und Csaba Fekete im Flugzeug nach Israel. Sie kannten das Land von einer Urlaubsreise 2016. Außerdem gibt es dort entfernte Verwandtschaft. Denn Ghizela Feketes Großvater, Chaim war sein Name, ist jüdisch gewesen.

Das Krankenhaus war erst ein Schock. "Das ist eine andere Welt", sagt Ghizela Fekete. "Es gab Sprachprobleme, und wir hatten Angst." Die Behandlung aber war hoch professionell, alles ging Schlag auf Schlag, alles kostete Geld. Die hinterlegten 100 000 Dollar waren schnell aufgebraucht. "Für jeden Tag in der Klinik werden 2000 Dollar berechnet, ohne Medikamente", sagt sie. Medizin-Tourismus ist weltweit ein gutes Geschäft.

Ghizela Fekete kämpfte gegen den Krebs, ihr Mann Csaba und ihre Schwester Eniko zu Hause in Rumänien kämpften darum, das Geld für die Behandlung aufzubringen. Sie setzten auf Fundraising über Facebook, Konzerte und Charity Dinner. Freunde, Nachbarn und die Eltern von früheren Schülern haben gespendet. "Eigentlich wollte ich das gar nicht, wir haben nie um Geld gebettelt", sagt Ghizela Fekete, "doch wir hatten keine andere Wahl."

Anderthalb Jahre lief die Behandlung - mit Fieberschüben und mit Schmerzen, mit Hoffnung und mit Rückschlägen, mit einer zwischenzeitlichen Rückkehr nach Rumänien und einer neuen Reise nach Israel. 600 000 Dollar hat die Familie aufgebracht, am Ende hat die Schwester noch ein Haus verkauft. Und dann kam das Coronavirus. Ghizela und Csaba Fekete saßen fest in Israel, das Fundraising in Rumänien funktionierte nicht mehr, und ohne Geld gab es keine weitere Behandlung mehr im Sheba-Hospital. "Die Ärzte wollten helfen, die sind toll, aber wenn es ums Geld geht, sind sie hilflos", sagt sie.

Wieder war die Lebenserwartung auf wenige Wochen geschrumpft, wieder war es ein Rennen gegen die Zeit - und dann passierte etwas, das Ghizela Fekete vorkommt "wie in einem Film". Aus dem Nichts tauchte Hilfe auf in Gestalt von Dinu Mendrea. Er arbeitet als Fotograf in Israel, immer wieder auch für die Süddeutsche Zeitung. Als 15-Jähriger war er mit seinen Eltern 1985 von Rumänien aus eingewandert, und über sehr viele Ecken herum erfuhr er von Ghizelas Geschichte. Das war am 8. April 2020, und er nahm die Sache in die Hand.

"Man kann doch nicht zulassen, dass sie stirbt, wenn sie alles Recht hat zu leben", sagt er. Natürlich hat sie alles Recht, doch Dinu Mendrea meinte das nicht nur moralisch, sondern auch juristisch. Schließlich hat Ghizela Fekete einen jüdischen Großvater und damit nach israelischem Gesetz ein Recht auf Einbürgerung. Und wer einen israelischen Pass hat, bekommt auch eine israelische Krankenversicherung.

Auch Ghizela und Csaba Fekete hatten schon daran gedacht. Sie hatten die ersten Papiere besorgt und übersetzen lassen. Doch es fehlte die Kraft, das voranzutreiben, es fehlte ihnen als Fremde in Israel auch die Hoffnung, damit zum Ziel zu kommen. Zu kompliziert, zu langwierig, denn normalerweise dauert das alles viele Monate, mindestens. Doch mit Dinu Mendreas Hilfe schafften sie es in drei Wochen, und das mitten im Corona-Lockdown.

Eine Anwältin wurde eingeschaltet mit einschlägiger Erfahrung, Gutachten eingeholt von einem rumänischen Historiker, unzählige Fragen waren zu klären und Hürden zu überwinden. Auch die israelischen Behörden spielten mit, weil alle wussten: Es geht darum, ein Leben zu retten. Am 30. April fuhr Mendrea mit Ghizela und Csaba Fekete zur Außenstelle des israelischen Innenministeriums in Beer Scheba, um den neuen Pass abzuholen. "Es war perfekt, wie im Traum", sagt sie. "Ich habe den Pass bekommen und geweint."

"Masel tov", viel Glück oder auch: herzlichen Glückwunsch, sagten die Ärzte, als sie zurückkam in die Klinik mit der neuen Krankenversicherung. Im Mai hat sie wieder eine Knochenmarktransplantation bekommen. Es geht ihr gut, das Blut ist sauber.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2020
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