Schichtarbeit:Körper aus dem Takt

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Wechselnde Schichtdienste sind nicht nur besonders anstrengend, sondern bergen auch gesundheitliche Risiken - bis zum Herzinfarkt.

Hanno Charisius

Hormonchaos, erhöhte Blutfettwerte, Infarktrisiko: So sieht es im Körper eines Mannes aus, der binnen zwei Wochen sieben Tag- und sieben Nachtschichten auf einer Ölplattform in der Nordsee gearbeitet hat.

Zwei Hafenarbeiter in Hamburg zu Beginn der Nachtschicht. (Foto: Foto: AP)

Bei Kollegen, die in der gleichen Zeit nur nachts oder nur tagsüber gearbeitet haben, finden sich weitaus geringere Spuren der Verwüstung im Blut, das fanden britische Chronobiologen im vergangenen Jahr heraus. ,,Die Wechselschicht ist ein Killer'', sagt Josephine Arendt, eine an der Untersuchung beteiligte Wissenschaftlerin von der University of Surrey in Südengland.

"Die Wechselschicht ist ein Killer"

Die Studie zeigt: Schichtarbeit ist nicht nur anstrengend, sondern für viele Menschen auch gesundheitsschädlich. 27 Prozent der Frühverrentungen von langjährigen Schichtarbeitern führen Ärzte des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB auf deren spezielle Arbeitsbedingungen zurück.

Frauen leiden den Ergebnissen zufolge stärker unter wechselnden Arbeitszeiten als Männer. Schlafprobleme, erhöhtes Unfallrisiko, Bluthochdruck, Verdauungsbeschwerden und Herzkreislauferkrankungen sind die typischen Folgen eines Lebens gegen die innere Uhr, wie es mehrere Millionen Menschen in Deutschland von Berufs wegen führen müssen - und das obwohl viele nicht einmal anerkanntermaßen Schichtarbeiter sind.

In jeder unserer Körperzellen tickt ein molekularer Taktgeber. Ein reiskorngroßer Zellklumpen im Gehirn, der suprachiasmatische Nukleus, kurz SCN, kontrolliert den Gleichlauf dieser Billionen Uhren. Der französische Philosoph und Naturforscher René Descartes hielt ihn für den Sitz der Seele.

Ein Leben gegen die innere Uhr

Dieses innere System synchronisieren Licht und Dunkelheit mit der Umwelt. Unnatürliche Licht-Dunkel-Wechsel und schwere Mahlzeiten mitten in der Nacht bringen den Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander - mit gravierenden Folgen für die Gesundheit der betroffenen Menschen.

Manche Forscher halten es sogar für möglich, dass Schichtarbeit die innere Uhr so sehr durcheinander bringt, dass sie die Entstehung von Krebs begünstigt.

Erst kürzlich fanden japanische Epidemiologen in ihren Datensätzen Hinweise darauf, dass Wechselschichtarbeiter häufiger an Prostatakrebs erkranken als Männer mit festen Arbeitszeiten ( American Journal of Epidemiology, Online-Ausgabe). Ähnliche Studien ergaben ein leicht erhöhtes Brustkrebsrisiko für Frauen, die in Wechselschichten arbeiten.

Chaos der Hormone

Durch die Störungen der inneren Uhr könne der Hormonhaushalt durcheinander geraten, argumentiert Tatsuhiko Kubo von der Universität für Umweltgesundheit im japanischen Kitakyushu, der an der Studie beteiligt war.

Und beide Krebsarten seien stark abhängig sowohl von Sexualhormonen als auch vom Schlafhormon Melatonin, das der Körper normalerweise abends und nachts produziert, wenn ihn nicht künstliches Licht und ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderbringen. Eine gestörte Melatonin-Produktion könnte laut Kubo eine Ursache für die Krebsentstehung sein.

Laborversuche haben ergeben, dass das Hormon Melatonin die Vermehrung von Krebszellen bremst. In der Krebstherapie habe sich das Hormon bislang jedoch noch nicht bewährt, sagt Thomas Kantermann, Mitarbeiter im Münchner Zentrum für Chronobiologie. Kantermann arbeitet zurzeit an einer so genannten Metastudie über die gesundheitlichen Folgen der Schichtarbeit.

In seiner Untersuchung wertet er viele verschiedene wissenschaftliche Veröffentlichungen zu dem Thema aus. Den Daten der japanischen Epidemiologen attestiert er wegen der angewendeten Erhebungsmethode und der Argumentation lediglich ,,schwache Aussagekraft''. Und das sei das allgemeine Problem der Chronobiologie, sagt Kantermann: ,,Wir wissen bereits sehr viel. Aber viele Dinge wissen wir noch nicht sicher.''

Drei Wecker einfach überhören

Sicher ist jedoch, dass es in Deutschland sehr viel mehr Menschen mit Schichtarbeiter-Gefühlen gibt, als die amtlichen Statistiken erfassen. Thorsten Dietrich zum Beispiel überhört morgens regelmäßig drei kurz nacheinander schrillende und piepsende Wecker. Er schläft einfach weiter.

Die Arbeitszeit des 39-jährigen Zahntechnikers aus Bremen beginnt um acht, nicht ungewöhnlich früh für die meisten Arbeitnehmer in Deutschland aber für Dietrichs innere Uhr ist das mitten in der Nacht. Obwohl er eigentlich zu ganz normalen Zeiten arbeitet, leidet sein Körper wie der eines Schichtarbeiters.

Sozialen Jetlag nennen Chronobiologen wie Till Roenneberg, Professor am Institut für medizinische Psychologie der Universität in München, dieses Phänomen. Denn für den Körper ist Schichtarbeit vergleichbar mit einer Reise über mehrere Zeitzonen hinweg. Die Folgen sind allerdings nicht so harmlos wie die eines kurzfristigen Reise-Jetlags. Ein permanentes Leben gegen die innere Uhr wirkt sich langfristig schädlich aus.

Das interne Uhr-Programm ist genetisch festgelegt und unterscheidet sich von Mensch zu Mensch - manchmal geringfügig um ein paar Minuten, manchmal aber auch gewaltig wie beim Bremer Zahntechniker Dietrich, einem ,,späten zirkadianen Phasentyp'', den Chronobiologen auch als Eule bezeichnen, weil er naturgemäß erst weit nach Mitternacht müde wird und entsprechend länger schlafen sollte.

Bäcker in der Großbäckerei von Kamps: 400.000 Brötchen pro Nachtschicht. (Foto: Foto: AP)

"Lerchen" und "Nachteulen"

Doch stattdessen muss sich Dietrich jeden Morgen vom Wecker aus seinem angeborenen Lebensrhythmus reißen lassen. Umgekehrt gibt es auch den Frühtypus, die ,,Lerche'', die bereits um vier in der Nacht wach wird, dafür aber am liebsten schon kurz nach der Tagesschau zu Bett gehen möchte. ,,35 Prozent der Deutschen sind ausgesprochene Frühaufsteher'', sagt Roennebergs Mitarbeiter Thomas Kantermann. Etwa die Hälfte der Erwachsenen zählt er zu den Eulen.

,,Wobei spätes Aufstehen nicht bedeuten muss, dass man lange schläft'', betont Kantermann, auch um die Spätaufsteher vom Stigma des Müßiggangs zu befreien. Ebenso wenig sagt der Chronotypus etwas über die Schlafdauer aus - nur dass extreme Phasentypen wie Dietrich eben häufig an permanentem Schlafmangel leiden, der sich zu den typischen Schichtarbeiter-Risiken auswachsen kann.

Die Münchner Chronobiologen empfehlen daher flexiblere Arbeitszeiten, damit jeder Arbeitnehmer seiner inneren Uhr gehorchen kann. Das funktioniert sogar unbewusst, wie das Team um Roenneberg herausfand.

Arbeiter der Früh- und der Nachtschicht des Automobilherstellers Audi traten bei den Chronobiologen an, um Konzentrationsaufgaben zu lösen. Zur Überraschung der Forscher schnitten beide gleich gut ab. Sie hatten die Nachtschicht im Nachteil erwartet.

Doch als sie die Chronotypen der Probanden ermittelten, erkannten Sie den Grund: Die ,,Eulen'' hatten sich der späten Schicht zuweisen lassen, die ,,Lerchen'' arbeiteten besonders gerne in der Frühschicht. ,,Schichtarbeiter, die nach dem Test erwiesenermaßen frühe Chronotypen sind, sollte man entweder gar nicht in Nachtschichten einteilen oder sie über die damit verbundenen Risiken informieren'', sagt Kantermann.

Gentest für die innere Uhr

Um den persönlichen Chronotypus zu ermitteln, haben die Münchner Forscher einen Testbogen entwickelt, der jedem im Internet unter www.clock-work.org zur Verfügung steht und kostenlos ausgewertet wird.

An der Erforschung der Genetik der inneren Uhr arbeiten zwar laut Kantermann verschiedene Arbeitsgruppen. Aber weil sehr viele Gene die körpereigenen Taktgeber beeinflussen und deren Funktionen noch nicht eindeutig bestimmt sind, werde es noch ein paar Jahre dauern, bis man einen Gentest zur Vermessung der inneren Uhr anbieten kann.

(SZ vom 14.10.2006)

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