Töpfern mit Sara Nuru:"Ich mag schon den Geruch"

Lesezeit: 6 Min.

Kam während der Pandemie zum Töpfern: Sara Nuru. (Foto: Anne Morgenstern)

Das Handy zur Seite legen und sich die Hände richtig schmutzig machen: Model und Unternehmerin Sara Nuru liebt es, an der Töpferscheibe aus Ton die schönsten Tassen zu formen.

Von Anne Goebel

Den hellen Frühlingsmantel legt sie lieber gleich ab, duftiges Pastellrosa, das ist viel zu riskant für diese Umgebung. Es könnte schmutzig werden in den nächsten anderthalb Stunden. Besser gesagt, das soll es sogar, je mehr Flecken und Spritzer, umso besser. Jedenfalls macht Sara Nuru den Eindruck, als könne sie es gar nicht erwarten, die Hände in graues Schlickwasser zu tauchen und die Töpferscheibe zu starten im Studio db-Pottery. "Ist ewig her, seit ich das letzte Mal getöpfert habe", sagt sie. "Viel zu lange jedenfalls." Der Mantel kommt auf die Garderobenstange, die große Tasche mit den Sportsachen landet in einer Ecke, es kann losgehen. Nuru atmet tief ein. "Ich mag schon den Geruch, dieses Lehmige."

Zürich West, Schiffbaustraße, genau der richtige Ort für ein Keramikatelier. Rund um ehemalige Industrieanlagen haben sich die Kreativen der Stadt eingerichtet, das Schauspielhaus hält hier seine experimentellere Dependance in einer denkmalgeschützten Fabrikhalle. Als Sara Nuru auf die Hausnummer 9 zusteuert (mit sehr energischem Gang), kommt das Viertel gerade erst auf Touren bei Cappuccino und Flat White in der Vormittagssonne. Ein paar Leute drehen die Köpfe. Wer ist das noch mal, woher kennt man das Gesicht? Ist ja auch ein paar Jahre her, dass Sara aus München, aufgewachsen in Grünbach bei Erding, die vierte Staffel von "Germany's Next Topmodel" gewann. 2009 war das Format noch neu und aufregend, die Siegerinnen der ersten Runden haben sich mehr eingeprägt als heute.

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Inzwischen ist die 33-Jährige nach Zürich umgezogen, sie hält ihre Fair-Trade-Kaffeefirma Nuru Coffee auf Kurs und hat Anfang des Jahres ein Kind bekommen. Daher der energische Gang, berufstätige Mütter sind immer für irgendetwas zu spät dran. Und ein Gegengewicht zu Zeitdruck, Hektik, Anspannung kann die Entschleunigung beim Töpfern sein. Sie streift die Leinenschürze über, durch die Geburt ihres Babys ist es Wochen her, seit sie das letzte Mal mit Ton hantiert hat. "Im Alltag ist man so kontrolliert und darauf bedacht, trotz Kind einigermaßen ordentlich auszusehen", sagt sie. "Wenn ich die Schürze anziehe, kann ich die Kontrolliertheit ein bisschen ablegen. Sie bedeutet, jetzt habe ich endlich Zeit für mich." Ein Seufzer, der ehrlich erleichtert klingt. Es muss also etwas dran sein an dem Hype.

Kaum eine körperliche, zugleich kreative Tätigkeit steht heute so sehr für die vielgepriesene Achtsamkeit wie an der Drehscheibe zu sitzen und etwas aus Lehm zu formen. Entspannung, Meditation, Demut vor dem Werden und Vergehen: Pottery, dauerpräsent auf Instagram und Tiktok, ist eine Art Hochamt der Selbstfürsorge. Und bei Sara Nuru ging es auch ganz genauso los, während der Pandemie nämlich, als die halbe Menschheit entweder mit Brotbacken oder selbstgemachter Keramik gegen Gefühle von Leere und Verlorenheit anzukämpfen schien. Zwei Trends, die bis heute anhalten (und mit denen sehr viel Geld verdient wird), "ich war auf der Töpfer-Seite", sagt sie. "Ich habe es bei einer Freundin das erste Mal ausprobiert und wusste sofort, das will ich weitermachen." Sie knetet im Stehen einen Ballen Ton weich und schiebt mit dem Ellbogen das Handy beiseite. Von Anrufen oder Nachrichten lasse sie sich jetzt ungern stören. "Außerdem sind die Hände zu schmutzig."

Eigentlich eine typische "Me Time", wie Hobbys oder andere Vergnügen inzwischen heißen: Alle Geräte abstöpseln und bei etwas Wohltuendem sich selbst fühlen, sogar Brad Pitt erklärte in einem Interview, beim Töpfern spüre er seine Emotionen. Von Sara Nuru hört man solche Modebegriffe eher nicht, dafür sieht sie das Ganze zu pragmatisch. Klar tut es gut, auf das Handy zu verzichten, "aber meine Zeit ist nun mal begrenzt". Deshalb gehört der Blick auf die Uhr auch in der Auszeit dazu. Und neben den hellen Jeans in angenehmer Weite ist das zweitwichtigste Zubehör beim Töpfern: ein kleiner Reisewecker. Der steht immer in Sichtweite, weil ein endloses sich Versenken in die monotone Drehbewegung der Scheibe zwar ein schöner Gedanke, aber in der Praxis schwer umzusetzen ist. "Ich bewundere andere Mütter, die seelenruhig im Café sitzen können", sagt Nuru. "Wenn bei mir der Babysitter zu Hause ist, habe ich dauernd das Gefühl, ich muss schnell zurück. Das wird hoffentlich noch besser."

Anfängerfehler: Zu kleine Hohlkörper formen

Wobei sie die hypnotische Wirkung der Drehscheibe gut nachvollziehen kann, das habe etwas extrem Beruhigendes, gleichzeitig entsteht etwas Neues. Denise Kratzer, die das db-Pottery-Studio in der Schiffbaustraße betreibt - ähnliche Ateliers schießen überall in Zürich gerade aus dem Boden - schaut kurz vorbei. "Und, klappt es noch?" Ja, es klappt noch, so schnell verlernt man die Grundschritte auch nach ein paar Monaten Pause nicht. Mit nassen Fingern formt Nuru auf der rotierenden Platte einen Zylinder, sie prüft, ob die Wand gleichmäßig dick und der Boden nicht zu dünn ist. Und vor allem, ob der Hohlkörper, aus dem ein Becher werden soll, nicht zu klein gerät. "Anfängerfehler", sagt sie. "Die Sachen schrumpfen beim Brennen."

Sara Nuru formt eine Tasse - ziemlich viele davon hat sie schon an Freunde verschenkt. (Foto: Anne Morgenstern)

Nach einem mehrwöchigen Töpferseminar in Italien vor zwei Jahren - der Preis: ihr gesamter Jahresurlaub - schaffte sich Sara Nuru aus Begeisterung eine eigene Scheibe für zu Hause an, die allerdings nur auf dem Balkon Platz gefunden hat. Im Sommer sei es da zu heiß, im Winter zu kalt; um die kurzen Nutzungsperioden im Frühling und Herbst zu erweitern, töpfert sie am Ende doch oft in einer der vielen offenen Werkstätten. "Irgendwoher müssen die Tassen kommen, die es von mir zu allen Geburtstagen gibt. Ein perfektes Geschenk!" Vorbild für ihre eigenen Entwürfe sind die Schälchen oder Becher, die ihr unter Anleitung der Lehrer bei dem Workshop in der Toskana gelangen. Mit viel Mühe und krummem Rücken, "aber sie motivieren mich bis heute".

Was die Perfektion betrifft: Darüber habe sie beim Umgang mit Ton, der einerseits so flexibel, aber nach dem Brennen nicht mehr zu ändern ist, einiges gelernt. Sara Nuru ist als Tochter äthiopischer Einwanderer in einem Dorf in Oberbayern aufgewachsen, sie war das erste schwarze Baby auf der örtlichen Geburtsstation, hat, durchaus gegen Widerstände, ihren Weg als wissbegierige Schülerin gemacht, für die Jobs als Model dann die Schule abgebrochen (was sie heute manchmal bedauert) und für den Aufbau ihrer Firma Nuru Coffee das Modeln weitgehend reduziert. Gemeinsam mit ihrer Schwester vertreibt sie fair gehandelten Bio-Kaffee aus Äthiopien und fördert lokale Kooperativen und Kleinbäuerinnen. Zielstrebig? "Ja, kann man schon sagen, dass ich Ziele verfolge."

Beim Töpfern wirkt sie konzentriert und gleichzeitig gelöst. Schmuck wie die Ringe an den Fingern hat sie in einer mitgebrachten Schale abgelegt, damit sie nicht stören, die Geschwindigkeit der Scheibe passt sie genau den Arbeitsschritten an. Mehr Tempo, wenn die Außenwand des Bechers geglättet wird, weniger, wenn sie mit einem kleinen Spatel ein Wellenmuster in die Oberfläche ritzt. Inzwischen sind ihre Unterarme hellgrau gesprenkelt von lehmigem Wasser. Den Blick wendet Sara Nuru kaum ab, Plaudern nebenher geht trotzdem (über den besten Bolognese-Sugo zum Beispiel), und philosophisch wird es auch noch ein bisschen.

Beim Töpfern habe sie gemerkt, wie wichtig es ist, Dinge auch mal laufen zu lassen. Nicht immer noch etwas zu verändern und zu optimieren. Die letzte kleine Biegung des Vasenrands, den finalen Schnörkel am Ornament einer Schale brauche es oft gar nicht. "Ich habe gelernt, darauf zu vertrauen, dass eine Sache okay so ist, wie sie ist." Loslassen. Bloß nicht zu viel Perfektionismus. Was übrigens auch, ein Blick zur Uhr und Richtung rosa Mantel, jetzt muss sie wirklich los, eine gute Schule sei "für das, was ich gerade zu Hause übe: Mutter sein."

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände braucht Sara Nuru zum Töpfern:

Die Schürze

(Foto: Anne Morgenstern)

"Beim Töpfern wird man zwangsläufig schmutzig, das ist Teil der Arbeit mit den Händen. Trotzdem gehört es für mich dazu, mir eine Schürze umzubinden. Nicht nur zum Schutz, sondern auch, weil mir das signalisiert: Jetzt bin ich wirklich angekommen und kann mich richtig auf das Töpfern einlassen. Es ist toll, dass die Studios Schürzen vorrätig haben, dann muss ich nicht jedes Mal meine eigene mitbringen, die außerdem selten so schön sauber ist."

Der Wecker

(Foto: Anne Morgenstern)

"Das finde ich großartig beim Töpfern: das Handy einfach mal weglegen. Ganz ohne Blick auf die Uhrzeit geht es trotzdem nicht, auch wenn es schön wäre, die Zeit zu vergessen. Ich stelle mir immer meinen kleinen Reisewecker in Sichtweite. Ich mag das Modell sehr, ein Klassiker. Es gibt eine Limited Edition von Paul Smith mit bunten Zeigern, die auch hübsch aussieht, aber zeitlos schlicht finde ich am schönsten."

Das Schälchen

(Foto: Anne Morgenstern)

"Darauf bin ich sehr stolz, die kleine Schale habe ich bei einem Workshop in Italien gemacht. Das war ein echtes Erfolgserlebnis für mich, und ich mag sie bis heute. Die milchige Glasur, die wenigen Akzente in Rot und Grün, sie ist richtig gut geworden. Und sie liegt schön in der Hand. Während ich töpfere, lege ich gern meinen Schmuck darin ab. Ich benutze die Schale aber auch zum Räuchern mit Kräutern, man sieht, dass sie kleine Flecken davon hat."

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