Samstagsküche:Herbsttrompeter

Armin Mairhofer einen Wald-und-Wiesen-Koch zu nennen, geht in Ordnung. Kaum einer hat ein so natürliches Verhältnis zu Pilzen und Kräutern wie der Südtiroler.

Von Titus Arnu

Armin Mairhofer hat mit Pilzen an diesem kühlen Nachmittag im Grödnertal kein Glück. Da hilft es auch nichts, dass er eigentlich eine Art Experte für dieses Thema ist. Zwischen den Felsen des Sella-Massivs liegt schon Schnee, weiter unten glühen die Laubbäume golden in der Herbstsonne. Und wo Mairhofer auch hinschaut, alles ist abgegrast. Normalerweise findet man in den Wäldern unterhalb der Seiseralm zu dieser Jahreszeit Steinpilze, Pfifferlinge, Herbsttrompeten, Butterpilze, Herrenpilze und Birkenpilze. Aber diesmal: nix, niente! "Pilze suchen ist auch Talentsache", meint Mairhofer, "während andere mit vollen Körben aus dem Wald kommen, gehe ich meistens leer aus."

In dieser Saison ist es aber auch besonders schwer. Kein gutes Pilzjahr. Schon im April war es zu warm. Juni, Juli und August waren zu heiß und zu trocken. Die wenigen Steinpilze, die in Südtirol wuchsen, sind längst abgesammelt. "Die Pilz-Profis aus Italien durchkämmen die Wälder, markieren die besten Stellen per GPS und kommen dann im nächsten Jahr wieder", klagt Mairhofer, "dann sind die guten Stellen noch schneller abgeerntet." Schade, denn eigentlich würde der Spitzenkoch in seinem Restaurant am liebsten heimische Pilze verwenden. Pfifferlinge und Steinpilze aus den Dolomiten riechen und schmecken ganz anders als Pfifferlinge und Steinpilze aus Osteuropa - würziger, waldiger, kräftiger. Und die Erklärung ist einfach.

Je weiter oben am Berg die Pilze wachsen, desto mehr Aroma haben sie

In Südtirol wachsen die Pilze bis in Höhen von 1800 Metern, in Rumänien, Bulgarien oder Ungarn nicht ganz so hoch. Je höher, desto intensiver der Geschmack. Und bei den Steinpilzen gilt: je kleiner, desto besser. Dann lassen sie sich einfacher hobeln und schneiden, und sie schmecken natürlicher und erdiger. Natürlich, erdig, einfach - das sind Mairhofers Lieblingsadjektive, sie stehen für seine Art zu kochen und zu denken. Der Gault Millau hat ihn mal ein wenig schwurbelig als "erdverbundenen Philosophen unter Südtirols Spitzenköchen" bezeichnet. Mairhofer selbst sieht sich eher als Handwerker, auch wenn er einen hohen theoretischen (und etwas abstrakten) Anspruch an sein Essen stellt: "Jedes meiner Gerichte soll Harmonie vermitteln, zwischen dem Menschen, seiner Umgebung, seiner Tradition und dem Körper."

Samstagsküche: Steinpilze sind im gebirgigen Südtirol leider nicht mehr so leicht zu finden, sagt Spitzenkoch Armin Mairhofer. Seit Profisammler planmäßig die Dolomiten durchkämmen und die besten Stellen mit GPS markieren.

Steinpilze sind im gebirgigen Südtirol leider nicht mehr so leicht zu finden, sagt Spitzenkoch Armin Mairhofer. Seit Profisammler planmäßig die Dolomiten durchkämmen und die besten Stellen mit GPS markieren.

(Foto: Arik Oberrauch)

Im Moment wünscht er sich allerdings etwas Bodenständiges, in Form von Pilzen. Immerhin findet er am Wegrand ein paar Büschel Pimpernelle, wenig später auch etwas Spitzwegerich. Diese Wiesenkräuter benutzt er gerne zum Würzen von Pilzgerichten. Möglichst nahe an der Natur bleiben, Kräuter und Pilze von den Wiesen und aus den Wäldern rund um die Küche, Fleisch und Fisch von heimischen Produzenten - was heute fast jeder ambitionierte Koch mit großem Tamtam zur "Philosophie" erhebt, war schon vor 15 Jahren Armin Mairhofers Credo. Lange bevor die nordische Küche das Verwenden regionaler Produkte wie Pilze, Flechten und Wiesenkräuter zum Dogma erhob, kochte der Südtiroler im Stillen mehr oder weniger genau so. Aber nicht wegen einer Ideologie oder eines Trends, sondern weil es ihm naheliegend erschien: "Ich bin Minimalist. Für mich ist das Einfachste das Beste."

Als Lehrling war sein Platz unter der Stiege. Kartoffeln schälen, stundenlang

Mairhofer läuft nun gestikulierend und erzählend über die Luis-Trenker-Promenade zurück nach St. Ulrich. Mit seinen tiefschwarzen Augen und den tiefschwarzen Haaren sieht er aus wie ein Sizilianer; die Art, wie er sich in ein Thema hineinsteigern kann, erinnert ein bisschen an den berühmten Geschichtenerzähler und Bergfilmpionier, der aus St. Ulrich stammte. Anekdotenreich schildert Mairhofer seine Laufbahn. "Als ich meine Kochlehre begann, war ich 14 Jahre alt und wog nur 36 Kilo", erzählt er, "mein Platz war unter der Stiege, wo ich Kartoffeln schälte. Ich musste 16 Stunden täglich arbeiten, und alle haben gedacht: Das packt der nie!" Hört sich an wie eine Harry-Potter-Geschichte mit einer Prise Charles Dickens. Aber so war es eben. Mairhofer war als Jugendlicher ein Hänfling, er war drei Monate zu früh zur Welt gekommen. Um zu beweisen, dass er es doch packt, war er besonders ehrgeizig. Auch bei der Wahl seiner Stationen.

Der 1965 geborene Südtiroler sammelte beim Drei-Sterne-Koch Gualtiero Marchesi in Mailand Erfahrungen, bei Heinz Winkler im Münchner Tantris und bei Raimund Frötscher in Meran, er arbeitete in Japan und in den USA, bevor er in seine Heimat zurückkehrte. Von 2003 bis 2011 war er Küchenchef in den "Anna Stuben" in St. Ulrich. Dort erkochte er 2007 seinen ersten Michelin-Stern, 2011 stand er kurz vor dem zweiten Stern - und warf zur Überraschung vieler hin. Ihm war der Druck zu groß geworden, er mochte keine Gänseleberpastete, keine Hummer und keinen Kaviar auf die Karte setzen, im Gegenteil, er wollte zurück zu seinen Wurzeln. Zur einfachen Küche seiner Kindheit - und zu gesunden Zutaten aus der ehemals bäuerlichen Gegend rund um St. Ulrich.

Schon als Kind hatte er eine Passion für Pilze und Kräuter. "Eine Nachbarin von uns, die Burgl, wurde von allen ,Kräuterhexe' genannt", erzählt er. Sie wusste alles über Heilpflanzen, Früchte und Pilze - und sie nahm das neugierige Kind gerne mit auf ihre Spaziergänge. "Von ihr habe ich gelernt, wie gesund Knoblauch und Wacholder sind", sagt Mairhofer, "dass man Gundelrebe wie Spinat verwenden kann und vieles mehr." Als er damit anfing, auf den Wiesen und in den Wäldern rund um St. Ulrich Grünzeug für sein Restaurant zu sammeln, wurde er noch belächelt. "Heute sprechen alle von ,Terroir' und finden das ganz einzigartig", sagt Armin Mairhofer, "ich nenne es Bodenständigkeit und finde es ganz selbstverständlich." Sein Sammelgebiet umfasst das ganze Tal bis in eine Höhe von 2000 Metern, zwei- bis dreimal pro Woche ist er unterwegs, um wilden Salbei, Gundelrebe, Waldmeister, Schafgarbe zu pflücken - und nach Möglichkeit auch ein paar frische Pilze.

"Ich suche in der Küche nicht die Perfektion, sondern die Harmonie."

Doch diesmal, wie gesagt: Fehlanzeige. Die Hauptzutaten für den Pilzstrudel, den er am nächsten Tag in der Küche des Hotels Adler Balance zubereitet, kommen deshalb nicht aus den Wäldern rund um St. Ulrich, sondern von einem Händler. Den Strudelteig zieht er mit professioneller Ruhe erst lang, dann breit, dann wieder lang, bis er so hauchdünn ist, dass Mairhofer zufrieden ist. In seiner Küche wirkt er nicht wie ein Chefkoch. Geduldig und in seine Arbeit versunken, lässt er sich über die Schulter gucken. "Ich suche nicht die Perfektion, eher die Harmonie", sagt er, Geschmack, Konsistenz und Inhaltsstoffe sollen ein rundes Gesamtbild ergeben. Pilze verwendet er gerne klassisch zu Wildgerichten, im Risotto oder mit Bandnudeln. Besonders gute Exemplare, wie etwa einen frischen, festen Herrenpilz, der zur Familie der Steinpilze gehört, grillt er pur oder hobelt ihn im rohen Zustand auf einen Teller und gibt etwas Olivenöl darüber.

Und immer, wenn man gerade darüber nachdenkt, wo bei ihm die Linie zwischen puristisch und konventionell verläuft, haut dieser Koch - wie nebenbei - eine Überraschung raus. Dann mahlt Mairhofer zum Beispiel getrocknete Totentrompeten in der Kaffeemühle zu Pulver, streut Pulver von Zirbennuss, Latschenkiefer und Preiselbeere dazu auf eine kleine weiße Platte, daneben drapiert er gebratene Jakobsmuschel. Zusammen schmeckt das exotisch - so als hätte sich ein Meeresbewohner in den Wald verirrt. Wer will, kann das als Reminiszenz ans Erdmittelalter begreifen. An eine Zeit, als die Dolomiten noch Korallenriffe auf dem Meeresgrund waren. Terroir gestern und heute gewissermaßen, und schöne Grüße von der Avantgarde. Man kann sich aber auch daran erinnern, dass Pilze und Meeresfrüchte, ob in Japans oder Frankreichs Küche, von je her eine zwar ungewöhnliche, aber bewährte Kombination sind. Eine - wie Mairhofer zeigt - überraschend harmonische.

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(Foto: Arik Oberrauch)

Rezept für Wiener Pilzstrudel mit gutem Heinrich

Zutaten für den Strudelteig: 170 g Mehl 4 EL Sonnenblumen- oder Rapsöl 100 g lauwarmes Wasser 1 Prise Salz

Zutaten für die Füllung: 1 kg gemischte Waldpilze (Pfifferlinge, Steinpilze, Herbsttrompeten) 400 g "guter Heinrich" (Wiesenspinat) 1 Handvoll Kürbiskerne etwas Pimpernelle, eventuell Petersilie, Salz, Pfeffer, Olivenöl, etwas Knoblauch

Zutaten für die Zabaglione: 2 Eidotter 100 g Weißwein etwas Hühnerbrühe Salz, Zucker, etwas natives Bucheckernöl, alternativ Haselnussöl

Außerdem: 200 g geklärte Butter

Zubereitung: Alle Zutaten für den Ziehteig zügig zu einem glatten Teig kneten und in Klarsichtfolie gewickelt etwa eine Stunde ruhen lassen. Die gesäuberten Pilze in einer Pfanne mit etwas Olivenöl rasch knackig sautieren, die Spinatblätter dazugeben und mit Salz, Pfeffer und etwas feingehacktem Knoblauch abschmecken. Den Teig auf einem bemehlten Tuch mit den Händen hauchdünn ausziehen, ein Drittel der Fläche mit den Pilzen belegen und den Rest mit der flüssigen geklärten Butter bestreichen. Mit Hilfe des Tuches alles zu einem Strudel zusammenrollen, auf ein Backblech geben und im Rohr bei 200°C etwa acht Minuten lang goldbraun backen. Für die Zabaglione alle Zutaten im Wasserbad schaumig schlagen und mit dem Strudel servieren.

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