Süddeutsche Zeitung

Samstagsküche:Fufu für alle

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Für ihren kulinarischen Afrika-Atlas sammelt die Berlinerin Tuleka Prah im Internet Alltagsrezepte vom ganzen Kontinent. Vor allem möchte sie gegen die Afrika-Schrumpfung ankämpfen.

Von Nadia Pantel

Das erste Problem ist die Holzgiraffe. An ihr muss man erst mal vorbekommen, um etwas über Afrikas Küche zu erfahren. Die Holzgiraffe ist das Gegenstück zu der Pling-Pling-Musik und dem Goldfischaquarium beim Chinesen um die Ecke. Sobald ein Restaurant "Savanne", "Massai" oder "Mama Afrika" heißt, drohen dort Giraffe (aus Holz), Krokodil (als Filet) und Akazie (auf die Wand gemalt, vor Sonnenuntergang). An diesen Orten schrumpft der Kontinent gern zu einem "exotisch-authentischen" Buffet zusammen. Neben Gambas und Avocados liegt ein Straußenwürstchen, denn Exotik heißt oft einfach nur, dass Tiere serviert werden, die normalerweise nicht serviert werden. Weder in Deutschland, noch in Afrika.

Tuleka Prah ist jemand, der gegen diese Afrika-Schrumpfung anarbeitet. Seit Oktober 2012 kartografiert die Berlinerin mit afrikanischen Wurzeln die Küchen des Kontinents. Ihr Konzept ist simpel: pro Land vier bis fünf Rezepte, dokumentiert in kurzen Videos, gesammelt und präsentiert auf Prahs Website "My African Food Map". In ihr Essensarchiv schaffen es die Gerichte, die, sagt Prah, "so gut sind, dass die Menschen Geräusche machen, um sie zu beschreiben, weil die passenden Worte fehlen". Die Köche in ihren Videos sind keine Köche, es sind Menschen, die einfach ihr Lieblingsgericht zubereiten. Die 33-jährige Dokumentarfilmerin lernt sie auf ihren Afrikareisen über Freunde kennen, über den Taxifahrer oder auf dem Markt.

So kochte in Ghana vor Prahs Kamera eine Modedesignerin Bohnen mit frittierten Kochbananen, ein Hausmeister die ingwerlastige Light Soup und eine Hausfrau macht Jollof Rice, ein Gericht, an dem sich vor Kurzem auch Jamie Oliver probierte. "Er ist völlig gescheitert" - Tuleka Prah ist nicht sehr gnädig, "das, was er gekocht hat, war Reis mit irgendwas, aber kein Jollof Rice." Jamie Oliver wurde auf Twitter für sein ghanaisches Experiment ziemlich bitter beschimpft. Was zunächst keine große Sensation ist, da der Shitstorm ja einfach nur Ebbe und Flut des Internets ist. Der Kern des Zorns war jedoch kein Gepöbel, er war politisch. Es ging darum, dass ausgerechnet ein britischer Koch sich berufen sah, eines der populärsten Gerichte Westafrikas bekannt zu machen. Und das ehrliche Reis-gekocht-in-Tomatensoße in ein Koriander-Cherrytomaten-Allerlei verwandelte. So als hätte Paul Bocuse aus der Maultasche ein weltgefeiertes Gratin-Gericht gemacht, ohne einen einzigen Schwaben um Rat zu bitten. Vielleicht hätte das der Maultasche sehr gut getan, es hätte nur nichts mehr mit Schwaben zu tun gehabt.

Womit wir wieder bei der Holzgiraffe wären. Sie ist Symbol von Safari-Afrika, das der Europäer in Safari-Shorts, im Safari-Jeep von der Safari-Lodge aus bereist. Es ist nicht das Afrika von Tuleka Prah. Geboren in London, der Vater Soziologie-Professor aus Ghana, die Mutter Computerspezialistin aus Südafrika. Die Familie lebte in England, Ghana, Kenia und Südafrika. Vor sieben Jahren zog Tuleka Prah nach Berlin und schrieb dort ihre Doktorarbeit über Afrika-Stereotype in Hollywood-Filmen.

Auf die Idee mit der Food-Map kam sie, als sie im Internet nach einem Kontomire Rezept suchte, einem Eintopf aus den Blättern der Cocoyam-Pflanze, eben nach ihrem kulinarischen Afrika. "Ich wollte nachkochen, was ich als Kind gerne gegessen habe, aber alle Rezepte, die ich fand, sahen furchtbar aus. Wie ein beige-grüner Haufen." Jemand, dachte sie, müsste die afrikanische Küche so präsentieren, dass Menschen Lust bekommen, sie nachzukochen und auszuprobieren. Als Prah 2012 die ersten Videos aus Kenia online stellte, wurden sie schnell tausendfach angeklickt. Sukuma Wiki, Pili Pili, Kachumbari, Pilau. Zunächst wollten vor allen Dingen Afrikaner, die in Europa oder den USA leben, sehen, wie man grünen Kohl, Chilisoße, Tomaten-Avocado-Salat und Reis mit Kreuzkümmel, Kardamom, Nelken und Fleisch zubereitet. Sie hinterließen begeisterte Kommentare.

Vier, fünf Minuten nehmen sich die Filme Zeit, um ein Rezept zu erzählen. Keine hektische Showküche, wie sonst im Fernsehen, sondern lange Einstellungen und dazu freundlich perlende Klaviermusik. Einmal fragt ein europäischer Sponsor bei Prah an und will das Projekt unterstützen. Seine Bedingung: Die Hintergrund-Musik müsse afrikanischer werden. "Irgendwas mit Trommeln." Tuleka Prah lacht, wenn sie das erzählt und fasst sich gleichzeitig in die eine Strähne in ihrem Haar, die schon grau geworden ist: "Genau so etwas will ich ja vermeiden." Die Foodmap blieb also ein unterfinanziertes Taschengeldprojekt.

In Prahs Neuköllner Wohnung hängt ein Berlin-Stadtplan an der Wand, durch den sich ein Netz bunt ausgemalter Straßen zieht. Als ihre Mitbewohnerin vor ein paar Jahren nach Berlin zog, markierte sie alle Straßen, die sie bereits entlanggegangen war. Ähnlich subjektiv und aufs Detail konzentriert ist auch Prahs Foodmap. Sie erklärt nicht "die afrikanische Küche", die es so komprimiert ja auch gar nicht geben kann. Sie sammelt und dokumentiert. Der Hausmeister, den sie in Ghanas Hauptstadt Accra dazu brachte, sein Light-Soup-Rezept vorzukochen, sagt, was kein Koch sagen würde: "Diese Suppe kann jeder anders machen, so wie er gerne möchte." Und dann isst er seine Suppenversion auf einem Schemel vorm Haus, während ihn zwei junge Katzen neidisch beobachten.

Der Hausmeister mit seiner Suppe ist einer der inzwischen 25 Protagonisten, die auf Prahs Webseite den Fokus auf Länder lenken, die bisher im Massengeschmack nicht vorkamen. In Nordafrika gibt es Tajines, in Äthiopien guten Kaffee und Sauerteigfladen, und in Südafrika bringen die Restaurants Asien und Europa zusammen. Doch was ist mit Ghana, Kamerun oder Senegal? Vertraut man international erfolgreichen Kochbüchern, wird in Afrikas Nord- und Südzipfel passabel gegessen. Im Kontinent dazwischen eher gar nicht.

Diese Wahrnehmung ändert sich rasant. Prahs Webseite war noch ein Prototyp, da baten erste Medien schon um Interviews. CNN berichtet über den Aufstieg "afrikanischer Superfoods" und stellt fest: "Essensfanatiker wenden sich verstärkt afrikanischen Produkten zu." Der Guardian schreibt von einer "Foodie Revolution" in Westafrika und dem neuen kulinarischen Selbstbewusstsein der ghanaischen Mittelschicht. Die Jeunesse dorée in Accra gehe nicht mehr teuer italienisch essen, sondern bestelle zu Cocktails auf Palmwein-Basis eine Portion Fufu, klebrigen Brei aus Maniok oder Kochbananen.

Eine Gourmet-Revolution in Ghana? "Nein", sagt Prah, "Die Leute essen das Gleiche wie vor zehn Jahren. Was sich verändert hat, ist, dass sich der Rest der Welt jetzt dafür interessiert." Lust auf Kontomire oder Jollof Rice ist keine Frage des finanziellen Hintergrunds, sagt sie. Frisches Obst und Gemüse kaufen in Ghana alle auf dem Markt, nur dass manche danach die Taschen selber nach Hause tragen, während andere lieber im klimatisierten Haus warten, bis der Koch nach Hause kommt. Reiche Leute in Afrika erkennt man daran, dass sie nicht schwitzen, sagt Prah. Und dass sie öfters glauben, öffentlich Geld für exotisches Essen ausgeben zu müssen. Was in Deutschland das Krokodilfilet ist, ist in Ghana der Mozzarella.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2015
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