Samstagsküche:"Aaah, da kommt sie"

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Die Spitzenküche ist manchmal auch nur eine weitere Bühne für männliche (Selbst-)Darsteller. Eine der seltenen weiblichen Hauptrollen spielt seit mehr als 30 Jahren Léa Linster aus Luxemburg.

Von Marten Rolff

Man muss sich kümmern, am besten persönlich und stets mit Herz, sonst wird es nichts. Das ist in all den Jahren ihr Credo geblieben, egal ob es um Gäste geht, um die goldene Kruste auf ihren Brötchen oder um die Abstimmung der Servietten auf das Porzellan. Deshalb holt Léa Linster Besucher gern selbst vom Flughafen ab. Und wenn sie im Ankunftsbereich wartet, weiten sich ihre Mundwinkel schon mit den Flügeln der automatischen Tür. Für die Begrüßung nimmt sie beide Hände, auch wenn man sich noch nie gesehen hat, und ihr fast schon rheinischer Singsang - "Wie schön, dass Sie da sind!" - umhüllt das Willkommen bald wie eine warme Decke gegen den kühlen Frühling da draußen. Schnell schiebt sie den Besucher über den Parkplatz und hinein in die graue Mercedeslimousine, auf deren Türen in geschwungenen Lettern ihr Name und ihr Motto prangen: "Léa Linster, avec amour". Dann braust die kleine Köchin mit dem großen Auto in die kleine Hauptstadt.

Gesehen zu werden sei wichtig, erklärt sie, als man im Wagen sitzt und nach dem Schriftzug fragt, gerade bei Luxemburg sei da leider etwas Nachhilfe angebracht. Das Land hat ja kaum mehr als eine halbe Million Einwohner, man kennt sich also. Doch nach Linsters Erfahrung bedeutet das noch lange nicht, dass man hier auch genügend Notiz voneinander nimmt. Erst kürzlich hat sie es wieder erlebt. Sie wurde von der Polizei angehalten, in der Hauptstraße, nur einen Steinwurf von ihrem Restaurant entfernt, weil sie fünf Kilometer pro Stunde zu schnell gefahren war. Und beim Abkassieren taten die Herren dann hartnäckig so, "als wüssten sie nicht, wer ich bin". Trotz des schönen Linstermobils.

Der Sterneküche schönstes Strahlen: Léa Linster mit männlichen Handlangern. (Foto: Paul Schirnhofer/Agentur Focus)

Nun ist es eine Sache, dass man Prominenz in Luxemburg von jeher mit einer gesunden provinziellen Skepsis zu begegnen pflegt. Viel schwerer wiege allerdings, so glaubt die berühmteste Köchin der Mini-Nation: "Die Luxemburger hätten in dieser Position natürlich viel lieber einen Jungen gehabt."

Mit Ende des kleinen Vortrags über Respekt wäre man dann also beim Thema: Das Frauending, das auch in der Biografie, die Linster gerade vorgelegt hat ("Mein Weg zu den Sternen", Kiepenheuer & Witsch), eine große Rolle spielt. Weil die Frage der Gleichberechtigung ausgerechnet in Restaurantküchen so unbeantwortet ist wie sonst nur in den Vorständen großer Konzerne.

Seine Memoiren zu schreiben wird nun auch bei bekannten Köchen immer beliebter. Und das wirft natürlich die Frage auf, wer das alles lesen soll. Ob man wirklich wissen muss, dass der Typ, dessen Rezept für Spaghettisoße zu Hause so gut ankommt, schon zwei Scheidungen, einen Burn-out und ein Bankett für George Clooney hinter sich hat. Aber bei Linster liegen die Dinge dann doch etwas anders. Schließlich gibt es in der Sterneküche ohnehin sehr wenige Frauen. Zählt man aber jene zusammen, die sich erst in der Fachwelt Respekt erkocht haben und dann populär geworden sind, so bleibt sie - zumindest was die deutsche Wahrnehmung betrifft - beispiellos.

Linsters Osterzopf

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(Foto: imago)

Rezept: Ganz früher, sagt Lea Linster, habe Hefeteig sie immer etwas eingeschüchtert, "weil der so ein seltsames Eigenleben entwickelt". Die Angst war natürlich unbegründet, weil Hefe eigentlich nur zweierlei braucht: etwas Wärme und viel Geduld. Wie beim Teig für ihre Brötchen, den Linster abends ansetzt und dann über Nacht sowie noch zwei weitere Male am nächsten Tag gehen lässt; so wird das Brot locker, fest und kross zugleich. Ein Kardinalfehler, den viele Hobbybäcker bei süßem Hefegebäck machten, sei, am Salz zu sparen, findet die Luxemburgerin, das Ergebnis schmecke dann immer etwas hefig und muffig. Die Sterneköchin stammt aus einer Konditorenfamilie. So weiß sie: Gebäck braucht nicht nur Sorgfalt, sondern muss manchmal eben trotzdem schnell gehen. Besonders zu Ostern. Für den traditionellen Osterzopf empfiehlt sie daher ein Rezept, das sich relativ leicht umsetzen lässt. Zutaten: 450 g Mehl , 2 Eier (Zimmertemperatur), 55 g Zucker, 28 g Hefe, 160 g Milch, 8 g Salz, 120 g Butter (Zimmertemperatur), 30 g Orangeat, 30 g Zitronat, 40 g geröstete Mandelblätter. Zum Bepinseln: 1 Eigelb. Für die Glasur: 3 EL Puderzucker, Saft einer halben Bio-Orange, etwas Orangenzeste, Puderzucker zum Bestäuben. Zubereitung: Das Mehl sieben, die Milch warm machen (nicht kochen!) und darin die Hefe und den Zucker verquirlen, beiseite stellen. Mehl, Eier und Salz mit den Knethaken verrühren (oder in der Rührschüssel der Küchenmaschine), die Milch mit der aufgelösten Hefe und dem Zucker zugeben und alles einige Minuten lang mit den Haken weiterverrühren. Dann stückchenweise die Butter und schließlich Orangeat und Zitronat zugeben und alles verkneten, bis sich der Teig zur glatten Kugel formen lässt. Den Teig (am besten zugedeckt) für mindestens 30 Minuten an einem warmen Ort gehen lassen. Anschließend auf einer sauberen Arbeitsfläche den Teig noch einmal durchkneten und zu einem etwa 90 cm langen Strang formen. Diesen ohne zu schneiden in drei gleichlange Stücke teilen und daraus einen Zopf flechten. Den Zopf auf ein gebuttertes Blech setzen und erneut etwa eine Stunde an einem warmen Ort gehen lassen. Währenddessen den Backofen auf 175 Grad vorheizen. Dann den Zopf mit etwas verquirltem Eigelb bepinseln und für 35 bis 40 Minuten backen (beobachten, denn jeder Ofen ist anders!). Nach dem Backen den Puderzucker mit Orangensaft und Zeste glattrühren und den noch ofenheißen Zopf sofort bepinseln und mit Mandeln bestreuen. Etwas abkühlen lassen, vor dem Servieren mit Puderzucker bestäuben.

Bis heute ist Léa Linster die einzige Frau, die den "Bocuse d'Or", den wichtigsten Kochwettbewerb der Welt, gewonnen hat. Und wie sie als alleinerziehende Mutter in ihrem konservativen luxemburgischen Dorf ein Sternerestaurant aufzieht, wie sie sich gut 30 Jahre im Geschäft hält und schließlich den verdünkelten Gourmetkosmos mit Brigitte-Kolumnen, mit der braven Herd-Didaktik in den dritten Programmen oder den trashigen Kochshows des Privatfernsehens (Linster ist Jurymitglied bei "The Taste" auf RTL) in Einklang bringt, das interessiert dann doch.

In die Gastronomie ist Linster, wie viele andere der wenigen Küchenchefinnen, hineingeboren worden. Das Café der Familie, zu dem auch eine Tankstelle gehört, ist damals der Mittelpunkt des kleines Ortes Frisange. Es gibt gute, meist einfache Gerichte, die Leute buchen das Lokal für Geburtstage, Hochzeiten oder Trauerfeiern, und die vier Kinder des Hauses spielen zwischen den Gästen, helfen mit oder fragen die englischen und holländischen Touristen aus, die hier auf der Fahrt nach Süden volltanken.

Doch es ist Léa, die als einzige alles probieren will, die den Gästen als Zehnjährige eigene Knödel serviert und einen bemerkenswerten Sinn für Geschmack zeigt. Als der Vater später überraschend stirbt, steht für alle fest, dass sie übernimmt. Nur im Dorf ziehen sie jetzt die Augenbrauen hoch, denn: Wofür hält sich diese 25-jährige Frau, feine Gerichte auf die Karte zu setzen, das Lokal umzubauen und - zu Beginn der noch ziemlich kartoffelsuppigen 80er-Jahre ist das ein Verbrechen - die Kegelbahn zu schließen?

Linsters Lebensweg wirkt also, als wäre es für sie immer klar gewesen, sich einmal an den Herd zu stellen. Doch wer die Köchin heute nach ihren Motiven fragt, der kriegt als Antwort eher "Bestätigung" als "Bestimmung". Sie hatte ja schon angefangen, Jura zu studieren ("natürlich ein Irrtum "). Nun wollte sie auch dem bewunderten Vater nacheifern, der aus einer Konditorenfamilie stammte und kreativer war, als die Karte des Cafés es vermuten ließ. Als er die Tochter, die damals noch ein kleines Mädchen ist, einmal fragt, was sie später machen wolle, da sagt sie: "Wenn ich groß bin, dann soll die Tür von der Küche zum Saal aufgehen, und alle Gäste sollen sagen: Aaah, seht nur, da kommt sie!" Und so ist es gekommen.

(Foto: N/A)

Nun gibt es viele erfolgreiche Köche mit großem Geltungsbewusstsein, aber nur wenige, die damit so offen offensiv umgehen wie Léa Linster. Auf der Tour durch Luxemburg unterstreicht sie die Bedeutung der eigenen Marke mit hartnäckigem Charme. Ob in ihrer kleinen Konditorei - "Sieht sie nicht aus wie ein Laden von L'Oréal?" - nahe der Residenz, wo die feinen Madeleines verkauft werden, die "der Großherzogin immer so gut geschmeckt haben". Oder in ihrem Lokal in Frisange, wo schlicht "die beste Crème brûlée der Welt" auf den Tisch kommt. Doch wenn Linster dann am Ende eines solchen Urteils die Stimme hebt, halb ironisch, halb abwartend provokant, dann versteht man gut: Hier wird auch ein Recht eingefordert, das die Branche mit all ihren Adabeis und Schokoladenschleimern bei den männlichen Kollegen niemals hinterfragen würde.

Das ist ähnlich wie in den Spitzenküchen selbst, in denen Ton und Hierarchie den Regeln beim Militär bis heute nahekommen. Linster musste lange lernen, Sanftheit, Mütterlichkeit, Witz und rigorose Strenge sorgfältig auszutarieren, bis selbst der letzte Souschef und Geschäftspartner verstand: Auch eine Generalin macht einen guten General. Denn es sei ja leider so, sagt sie: "Wenn ein Mann in der Küche laut wird, dann weiß er, was er will. Wenn eine Frau in der Küche laut wird, dann ist sie eine launische Kuh." Verbittert hat sie das gar nicht. Und manchmal muss man die Anerkennung auch nur zu lesen wissen. "Mon petit" - mein Kleiner (sic!) - hat der Luxemburger Michelin-Chef sie früh genannt. "Das war damals ein wunderschönes Kompliment."

Natürlich hätte sie gern einen zweiten Stern erkocht, sie hat das angestrebt, aber vielleicht geht eben auch nicht alles; Lokal und Kind, Kochbücher, Fernsehen und allerhöchste Weihen. Linster steht jetzt am riesigen Herd in ihrem Restaurant, das Ruhetag hat, und brät ihre - natürlich legendären - Kartoffelrösti. Nur mit Salz, Pfeffer und Raspeln von Bintje-Kartoffeln, die man gut ausdrücken muss, damit sie kross werden. Sie liebt solche Kniffe, die vermeintlich Einfaches aufwerten. Linster kann sich lustig ereifern über die Moden der Spitzenküche mit all ihren albernen Tupfern und Tonkabohnen-Exzessen, über Köche, die sich nicht am Geschmack orientieren. Ihr Stil verbindet bis heute feine französische Klassik mit luxemburgischer Bodenständigkeit, und ihr Sieger-Rezept vom Bocuse d'Or (Lamm im Kartoffelmantel) steht seit 1989 auf der Karte.

Sie wird 60 Ende des Monats und ist froh, dass ihr Sohn Louis, 25, dabei ist, das Lokal zu übernehmen. Linster hat sich fest vorgenommen, sich nirgends einzumischen. Im Gegenteil: "Ich werde absichtlich viele Fehler begehen, um ihm den Weg frei zu machen. Damit die Leute sagen: ,Sie konnte es nicht mehr. Endlich ist sie weg'."

Man glaubt ihr - natürlich - kein Wort.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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