Sack Reis:Was-sa-mä-lo-ne!

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Wer als Deutscher in ein Taxi in China steigt, erfährt sehr viel spontane Wertschätzung, die sich aus seiner nationalen Herkunft ergibt. Was er dann zu hören bekommt, muss er aber nicht immer unter der Rubrik "wertvoll" ablegen.

Von Kai Strittmatter

Was den chinesischen Blick auf uns angeht, haben wir Deutschen ziemlich Dusel. Erinnert sich noch jemand an den deutschen Kaiser, der im Juli 1900 in Bremerhaven ein Expeditionskorps mit den Worten verabschiedete, sie sollten ihre Waffen so führen, "dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzuschauen"? Die Chinesen aber: feine Menschen. Haben uns am Ende nicht den zweiten Wilhelm übelgenommen, nicht den VW Santana, und haben noch nicht einmal Horst Tappert scheel angeschaut, der als "Derrick" auch durch chinesische Wohnzimmer stiefelte.

Deutschland, das war noch in den 90er-Jahren für viele Chinesen Kaiserin Sisi, Mercedes-Benz und Heintje, dessen "Kleine Kinder, kleine Sorgen" bis heute eine gemütliche Ecke in den Gehirnwendungen sämtlicher Chinesen über vierzig bewohnt und noch immer gerne mal Freigang bekommt, geträllert wie gepfiffen. Konversationen mit Taxifahrern liefen damals meist so ab:

Fahrer, interessiert: "Wo kommst du her?" Fahrgast, zögerlich: "Deutschland . . . " Fahrer, begeistert: "Ha! Bei-ken-bao-er!" Oder so: Fahrer, interessiert: "Wo kommst du her?" Fahrgast, ahnungsvoll: "Deutschland." Fahrer, noch begeisterter: "Ha! Xi-te-le!" Gleichzeitig schnellte der Arm zum Hitlergruß in die Höhe, knapp vorbei am Rückspiegel, an dem die Mao-Plakette baumelte.

Den Hitler kriegt man heute kaum noch serviert, den Beckenbauer auch nicht. Die deutschen Tugenden schon. Reinkarniert. "Ha! Shi-wei-yin-shi-tai-ge!" Den Bastian Schweinsteiger gibt's wie bei uns auch als "Schweini": "Ha! Xiao zhu!", wobei das eigentlich "Ferkel" heißt. 74 Prozent der Chinesen finden Deutschland toll, hat eine Studie herausgefunden. Erwidert wird die Liebe jedoch nicht: Nur jeder vierte Deutsche hat ein positives Chinabild. Wobei, der springende Punkt hier ist: Die Skepsis gilt nicht den Leuten, einem herzlichen und offenen Menschenschlag, sie gilt dem autoritären Staat China und seiner wachsenden Macht.

Die Hochachtung der Chinesen für uns wiederum ist manchmal so überbordend, dass man sich schnell schämt als normalsterbliches deutsches Mängelexemplar. Kürzlich erst machte in Chinas sozialen Netzwerken eine dreiseitige Liste die Runde mit Charaktereigenschaften, welche die Deutschen angeblich schon in frühester Kindheit auszeichne. Die Liste begann mit den Tugenden Regelbewusstsein, Mitgefühl, Willensstärke und Höflichkeit und hörte bei Pünktlichkeit, Umweltbewusstsein, Gemeinsinn und Zuverlässigkeit noch lange nicht auf. Wobei einen die wahre Intention des chinesischen Autors ziemlich schnell ansprang. "Die Deutschen stehen freiwillig Schlange", stand da zum Beispiel. "Und sie halten sich an die Verkehrsregeln." Seht in den Spiegel, Söhne und Töchter Chinas!, sollte das heißen.

Es gibt die Klischees, und es gibt die Überraschungen. Wieder im Taxi. Der Fahrer, aufgeregt: "Deutschland?!?" Räuspert sich. "Warte mal, warte mal." Der Fahrgast (denkt): Oje, jetzt kommt's wieder. Der Fahrer holt tief Luft, dann schmettert er: "Was-sa-mä-lo-ne". Das Wort spritzt durch den Himmel von Peking, andächtig blicken wir ihm beide nach. Dann erklärte er mir, wie er über dieses eine deutsche Wort gestolpert war, das einzige in seinem Besitz. Ich könnte Ihnen die Erklärung jetzt verraten, aber ich bin sicher, Sie finden eine noch schönere.

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