Russland:Putins ehrgeizige Tourismus-Pläne

Russland: Karnevaleske Atmosphäre in Russland.

Karnevaleske Atmosphäre in Russland.

(Foto: Franck Fifie/AFP)

Die WM sollte nur der Anfang sein. Russland will auch langfristig Reisende anlocken - und verfolgt dieses Ziel mit teils überraschenden Methoden.

Von Frank Nienhuysen

Die schöne Bank ist zerstört, da gibt es keinen Zweifel, die Holzplanken sind gebrochen. Und der Bürgermeister ist nicht mal sauer. Erst vor fünf Jahren war die Nikolskaja-Straße in Moskau in eine Fußgängerzone verwandelt worden, am Tag vor der Eröffnung waren die nagelneuen Sitzbänke behutsam von einer Plastikplane geschützt, bevor sie für die Öffentlichkeit freigegeben wurden. Dass nun einige von ihnen krachend zusammenbrachen, lag an den vielen Touristen, die aus der Verbindungsstraße zwischen dem Roten Platz und dem Lubjanka-Platz mit dem Sitz der Geheimdienstzentrale eine Partymeile gemacht haben, in der man manchmal nur im Trippelschritt vorankam. Oder überhaupt nicht.

Die Nikolskaja-Straße in Moskau ist zum Symbol geworden für die karnevaleske Atmosphäre bei der Fußball-Weltmeisterschaft, die sich vor allem für die russische Hauptstadt gelohnt hat. "Die zerbrochenen Bänke sind ein kleiner Preis für den Aufschwung bei den Einnahmen aus dem Tourismus-Boom", sagte nun Sergej Sobjanin, Moskaus Bürgermeister.

Noch zwei Wochen nach dem Ende der WM schwärmt mancher in Russland von dem Ereignis - und hofft, dass die große Welle nun auch noch eine Menge kleinerer Wellen nach sich zieht. Dafür wird gelockert: Die Fan-ID - jenes Dokument, das aus Sicht von Datenschützern unnötig viele Angaben erforderte, um ins Stadion zu kommen, andererseits jedoch verhältnismäßig wenige, um überhaupt nach Russland einreisen zu können - wird gerade verlängert. Was Präsident Wladimir Putin direkt nach WM-Ende verfügt hat, ist nun per Gesetz im Eiltempo vom russischen Parlament abgenickt worden. Jetzt muss nur noch der Föderationsrat zustimmen (und der Präsident, aber der hatte das Gesetz ja selber vorgeschlagen). Alle Ausländer mit Fan-ID dürfen damit nach Russland ein- und ausreisen, so oft sie wollen. Bis dieses Jahr zu Ende ist.

Die Großzügigkeit zu den Fußball-Anhängern ist bemerkenswert. In einem Land, in dem auch kleinere Diebstähle sonst für Russen schon mal zu einer mehrjährigen Haftstrafe führen können, ließ sich Moskaus Vize-Bürgermeister plötzlich so zitieren, nachdem Fans eine Fußgängerzonen-Beleuchtung mitgehen ließen: "Macht nichts. Wir hängen später eine neue auf, aber die Fans werden mit einem Souvenir aus Moskau heimfahren." Und, so offenbar das Kalkül, auch wieder mal zurück nach Russland kommen.

Früher haben sogar viele Russen im Urlaub das eigene Land vermieden

Das Land will den Wind nutzen, den die WM ausgelöst hat, und weiter am frisch aufgebesserten Tourismus-Image arbeiten. Denn Urlauber bringen Geld, und Arbeitsplätze, all das, was Russland in wirtschaftlich schwieriger Zeit gebrauchen kann. Allein Amerikaner hätten während des Turniers fast 60 Millionen Dollar ausgegeben, berichtet eine Kreditkartengesellschaft, die mit dem Fußball-Weltverband Fifa zusammenarbeitet. Chinesen ließen 35 Millionen Dollar im Land, obwohl beide Länder nicht einmal qualifiziert waren bei der WM. Drei Millionen Ausländer haben die Austragungsstädte zwischen Kaliningrad an der Ostsee, Rostow im Süden und Jekaterinburg in Westsibirien besucht, sagte Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew, und der dürfte besonders zufrieden sein. Denn er hatte vor einigen Jahren selber einmal beklagt, welch "schlechter Service" den Touristen geboten werde. Damals war er noch Russlands Präsident.

Lange hatte die Tourismusbranche wegen mangelnder Infrastruktur, schlechter Straßen, weniger, dafür teurer Mittelklassehotels, und auch wegen miesepetriger Stimmung beim Personal wenig Aussicht auf Begeisterung bei den Gästen. Sogar viele Russen haben Urlaub im eigenen Land gern vermieden, wenn sie sich Antalya leisten konnten oder Scharm-el-Scheich. In einem Provinzhotel gelte es schon als Halbluxus, wenn in einem Zimmer ein elektrischer Teekessel stehe, schrieb ein russischer Blogger einmal.

Dann begann Russland zu investieren, auch in die Ausbildung. An einer Tourismus-Universität bei Moskau, die inzwischen mehrere Ableger hat, wird in Rollenspielen die Kultur des Lächelns und des aufmerksamen Service gelehrt. Nun hofft die Regierung den Flow aus den vier WM-Wochen auch im nächsten Jahr für 15 Prozent mehr Touristen zu nutzen. Ein langfristiger Plan sieht vor, dass der Tourismus bis zum Jahr 2025 sechs Prozent des russischen Inlandsprodukts ausmacht, und dazu müsste die Zahl der Touristen doppelt so schnell wachsen wie die Wirtschaft.

Die meisten Touristen in Russland kamen einst aus Deutschland. Das ist jetzt anders

Das schlechte politische Verhältnis zum Westen hat bei Europäern den Reiz für Russland-Reisen begrenzt, demgegenüber steht jedoch der schwache Rubelkurs, den auch die WM-Touristen ausgekostet haben. Trotzdem, die Rangliste der Urlauber hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Deutschland, früher die größte Gruppe der Russland-Touristen, ist verdrängt von Chinesen, die es auch deutlich näher haben zum legendären Baikalsee.

In Moskau aber lagern für Touristen die größten Schätze. Nicht nur im Kreml und am Roten Platz, der seinen Platz als Hotspot Nummer eins an den neuen gegenüberliegenden Park Sarjadje abgegeben hat. Mit das stärkste Interesse galt während der WM der Suche nach Erinnerungen an die Sowjetära, einem Stalin-Bunker in der Wolgastadt Samara und dem Kosmonautenmuseum in Moskau. So ist das: Die einen wollen nach vorn, die anderen stöbern in der Vergangenheit.

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